Leicht gespenstisch die Stimmung beim 55. Mozart-Fest in Augsburg. Das Rokoko-Schmuckkästchen Schätzlerpalais verströmt runderneuerten Glanz, Amadeus-Masken machen sich in der Stadt breit und als Cantus firmus singt man dazu das Lamento auf die in Auflösung begriffene Musikhochschule (siehe auch Seite 17). Und ausgerechnet Siegfried Mauser, der als Münchner Hochschulrektor wenig Mitleid mit den Augsburgern zeigt, führt in das Auftaktkonzert der kleinen Reihe „Mozart der Fortschrittliche“ ein, die neben Moritz Eggert und Manfred Trojahn auch den frisch dekorierten Siemens-Förderpreisträger Jens Joneleit mit einer Uraufführung betraut.
„Nah von fern“ heißt sein Streichquintett, ein Titel, der nicht nur auf Mozart bezogen einiges aussagt. Nähe und Ferne, das könnten auch die Kriterien sein, mit denen Joneleit sich der Quintettbesetzung annimmt. Die eröffnenden Flageolett-Flächen lassen wie durch das Flirren einer Glasharmonika hindurch erst allmählich eine Streicherklanglichkeit erahnen, die sich zunächst auf Pizzikati und unspezifisches Brummen am Steg beschränkt. Die „Gastbratsche“ – so Joneleits Formulierung – gibt mit melodischen Fragmenten erste Impulse für eine kammermusikalische Aufgabenverteilung, die sich von wechselnden Violin-Bratschen-Koppelungen aus langsam eine Selbstverständlichkeit bis hin zu Fragmenten von Tonalität erarbeitet. Ein Akkord schält sich heraus, eine emphatische Wiederholung setzt als Zielpunkt ein rhythmisches Ostinato frei. Mit fast Janácek’scher Intensität kreist es um einen durch die Stimmen wandernden Grundton, Reste von Bewegungsenergie stauen sich in endlos scheinenden Pizzikatoakkorden auf, die schließlich doch ein Ende herbeiführen.
Das Petersen Quartett mit dem fabelhaften Hartmut Rohde, das einen musikantisch zupackenden Mozart als Rahmen geboten hatte, war diesem sinnlich unmittelbar erfahrbaren, eindringlichen Stück Kammermusik in jeder Phase gewachsen.
In anderen Dimensionen bewegt sich der zunehmend gefragte, nach wie vor aber eigensinnig und autark wirkende Joneleit in seinem Orchesterstück „…von anderen Räumen – Angst – Leeres Schimmern“, das im Monat zuvor vom Radio-Sinfonieorchester Stuttgart uraufgeführt wurde. „A wie Angst“ könnte das knapp dreiviertelstündige, 2002 entstandene Werk auch überschrieben sein, so bedrückend macht sich der Orgelpunkt von den Kontrabässen aus breit. In quälenden 20 Minuten wird dieser Angst- und Erregungszustand mit dem C als angedeuteter Mollterz und dem H als Sekundspannung abgesteckt, ohne dass schneidende Schlagzeug- und Tuttielemente auch nur eine Andeutung von Entwicklung oder auch nur ein Weiterkommen herbeiführen könnten.
Schnell wäre hier der Vorwurf des Länglichen bei der Hand, ob in anderen Zeitdimensionen der danach erreichte Ruhepunkt die gleiche Wirkung erzielte, ist allerdings fraglich. Einsame, Bruckner’sche Weite atmende Streicherlinien bewegen sich endlich vom obsessiven A-Orgelpunkt weg, ein C-Dur scheint gar in der Ferne auf, das aber in gnadenlosen Unisonoschlägen vernichtet wird. Bald haben sich die Streicherlinien zu Blech verwandelt und kreisen ziellos einem Ende entgegen, das zu erwarten man irgendwann aufgegeben hat. Eine gewagte, durch und durch desolate Musik hat Joneleit da geschrieben, die bei der von Peter Hirsch unerbittlich dirigierten Uraufführung freilich das Pech hatte, hinter Helmut Lachenmanns Bahn brechender „Fassade“ von 1973 zum Stehen zu kommen, vom RSO Stuttgart bis in die feinsten Geräuschverästelungen hinein zum Tönen gebracht. Solchen Gegenüberstellungen standhalten zu müssen, ist die Kehrseite des Erfolges. Jens Joneleits Musik wird daran wachsen.