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v.li.: Michael (Kai Wessel, Countertenor), Thomas (Otto Katzameier, Bariton), und Matthias, im Bett liegend (Wolfgang Newerla, Bass) Quelle: Presse SWR
v.li.: Michael (Kai Wessel, Countertenor), Thomas (Otto Katzameier, Bariton), und Matthias, im Bett liegend (Wolfgang Newerla, Bass) Quelle: Presse SWR
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Ein extremes Stück zur extremen Situation: Uraufführung von „Thomas“, einer neuen Arbeit von Händl Klaus und Georg Friedrich Haas bei den Schwetzinger Festspielen

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Ob er wollte oder nicht, musste oder sollte der Tod bekanntlich lange ein Wiener sein – als hätten die Wortführer in der österreichischen Hauptstadt so etwas wie ein Monopol auf eine bestimmte Sorte schwarzen Humors. Doch auch der in Innsbruck geborene Klaus Händl und der aus Graz stammende Georg Friedrich Haas erweisen sich als Meister des makabren Fachs. Vor zwei Jahren schrieb der Schriftsteller, Dramatiker und Filmregisseur Händl das Libretto zur Oper „Bluthaus“ – in Anlehnung an die wahre österreichische Geschichte der Natascha Kampusch, die als Kind entführt wurde und ihre besten Jugendjahre in unfreiwilligem Gewahrsam verbrachte. Die Schwetzinger Festspiele brachten die von zarter besaiteten Gemütern als grenzwertig empfundene Arbeit (in Kooperation mit der Oper Bonn) heraus – und jetzt (in Zusammenarbeit mit dem Staatstheater Karlsruhe) wieder ein Stück von Händl und Haas: „Thomas“.

Es zeigt in absichtsvoller Langsamkeit das letzte Stündchen von Matthias in modernem Ambiente und bringt den Abschied zum Klingen, den der Lebenspartner Thomas nimmt. Es widmet sich exzessiv den heftig einsetzenden Erinnerungen und sarkastisch der Professionalität einer straff organisierten Sterbeindustrie. Vinzenz Gertlers Bühne gibt schmerzhaft realistischen Einblick in die heutigen Begleitumstände des Sterbens in der digital durchstrukturierten Welt. Ein halbes Dutzend Musiker – später kommen noch vier weitere hinzu – nähert sich im kleinen Graben des Schwetzinger Rokoko-Theaters dem Geräusch- und Klang-Repertoire der Palliativ-Medizin. Das Instrumental-Ensemble unter Michel Galante sekundiert dem ruhigen Bild auf der Bühne und entwickelt aus dem als Grundtempo sich durchziehenden ruhigen Andante heraus mit Mandoline, Zither, Akustik-Gitarre, Harfe und zwei Cembali einen ganz eigentümlichen mattsilbrigen Klang: Da liegt (als Matthias) der Bariton Wolfgang Newerla im Sterbebett und atmet rasselnd – mit immer größeren Pausen. Otto Katzameier gestaltet die Partie des in Liebe Abschied nehmenden und dann in seine Erinnerungen sich verstrickenden Thomas grandios. Kai Wessel countert als Krankenpfleger umsichtig und kenntnisreich. Mit hörbar bemüht verständnisvollem und freundlichem Tonfall versucht er, dem überlebenden Lebenspartner Lebenshilfe zu geben.

Herzversagen wird von dem ebenfalls (und noch deutlicher grotesk in höchsten Höhen singenden) Dr. Dürer als Todesursache festgestellt und vom Famulus Dominik protokolliert. Daniel Gloger ergänzt das Quartett der exzellenten Männerstimmen mit seiner Bravour-Nummer der technokratischen Medizin und des professionellen Beileids. Dann belebt, fast komödiantisch, der Auftritt der beiden katholischen Krankenschwestern die streng den Leichenprozeduren folgende Geschichte. Sie waschen den Toten, sagen und singen dabei – sich stets ins Wort fallend wie all die andern auch – sehr genau, was sie jeweils vorhaben oder tatsächlich tun. Die junge Regisseurin Elisabeth Gabriel erspart in ihrem schlichten Realismus den Zuschauern nichts.

Die Floskeln und Peinlichkeiten des berufsmäßigen Trosts werden von der Bestatterin Sarah Wegener mit ihrer von wachsender sexueller Erregung getriebenen Hilfsbereitschaft im wörtlichen Sinn auf den Gipfel getrieben: Frau Fink ist mit Leib und Seele für ihre Kunden da. Schließlich ist Thomas mit Matthias allein in seiner Trauer – und der Tote erhebt sich für den Überlebenden zu einem letzten Abendmahl, einem Liebesmahl mit erinnerungsträchtiger Aussprache, muss sich aber sagen lassen, dass er wirklich tot ist. Sichtlich und hörbar entwirft die neue Arbeit von Händl und Haas ein Gegenmodell zu Wagners „Tristan und Isolde“, dem hypertrophen Werk aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Es nähert sich der Banalität der Liebe und des Grauenhaften allerdings ganz anders und führt keine sagenumwaberte altkeltische Trieb- und Traumlandschaft vor Ohren, sondern die Prosa des Sterbens heute vor Augen. Zugleich aber, was das Festhalten an Liebe in diesem ungleich schwierigeren Umfeld bedeuten könnte. Ohne allen Verweis auf die Verheißung des ewigen Lebens. Allerdings mit einem musikgeschichtlichen – auf Glucks „Ach, ich habe sie verloren“ aus „Orfeo ed Euridice“.

Die Befürchtung, dass die Schwetzinger Produktion zumindest ein bisschen in Betulichkeit und Kitsch ausgleiten könnte, wurde in den 105 intensiven Minuten mit dem Theater in der Intensivstation widerlegt: Präzise gesetzte und treffsicher theatralische Musik führt, getragen vom exquisiten Quartett der Hauptdarsteller, zu einem hochkarätigen Musiktheaterabend. Nach den Kammeropern zu den (geisteskranken) Malern Adolf Wölfli (Graz 1981) und Lars Hertevig („Melancholia“, Paris 2008), nach „Nacht“ (Bregenz 1985) und „Hyperion“ (Donaueschingen 2006), spätestens mit „La profondeur“ (Amsterdam 2010) und „Nocturno“ (Bonn 2013) könnte auch ein skeptischer Kritiker in Versuchung kommen, zum bekennenden Haasianer zu werden.

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