„Wenn ich mir vorstelle, wie viel Musik wir überhaupt nicht zu hören bekommen, weil sie gar nicht mehr entstanden ist …“ formulierte Daniel Hope später am Abend. Denn der Ort, an dem die Musik dieses Abends komponiert wurde, war fast bis Kriegsende, bis zum Abzug der SS am 5.Mai 1945, eine todbringende Vorhölle.
Nicht nur, weil statt 6.000 zivilen Einwohnern nun rund 60.000 Menschen zusammengepfercht wurden, sondern weil das verlogen vom „Führer… den Juden geschenkte“ Theresienstadt in Propaganda, Film und für betriebsblinde Besucher vom Internationalen Roten Kreuz zwar ärmliche Kriegsnormalität vorspiegelte – in Wahrheit aber von 1941 bis 1945 für 140.000 Häftlinge das Lebensende bedeutete: 38.000 starben im Ort, rund 90.000 wurden von dort in die Vernichtungslager im Osten abtransportiert. Dennoch formulierte Komponist Viktor Ullmann in seinem Aufsatz „Goethe und Ghetto“ noch 1944 über sich und seine Künstlerkollegen, „dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und dass unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war“.
Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter ist dieses spezielle Konzert „Theresienstadt – Musik als Zuflucht“ auch ein persönliches Anliegen: Ihr Vater war in den Kriegsjahren schwedischer Diplomat in Berlin und saß auf einer mehrstündigen Zugfahrt am 20.August 1942 in einem Abteil mit dem SS-Hygiene-Chef Kurt Gerstein zusammen, der ihn detailliert über die Juden-Vernichtung informierte; Göran von Otter erreichte jedoch durch die Weitergabe der Informationen nichts und litt bis an sein Lebensende an dieser Ohnmacht. Ohne emotionale Drücker erzählte die Sängerin dies – und genau aus dieser ruhigen Sachlichkeit heraus bekam der Abend seine bedrückende Größe.
Zwei Lieder Ilse Webers (1903-1944) umrahmten das Programm: die hochengagierte und kämpferisch eingestellte Frau betreute kranke Kinder, dichtete und komponierte – „Ich wandre durch Theresienstadt“ besingt in einfachen Linien die Sehnsucht „nach Haus“; ihr liebevoll beruhigendes Schlaflied „Wiegala“ soll sie sogar gesungen haben, als sie „ihre“ kranken Kinder freiwillig in die Gaskammer in Auschwitz begleitete – da lastete langes Schweigen im Raum, ehe vorsichtig der Beifall einsetzte.
Zuvor hatte Daniel Hope mit Bengt Forsberg am Klavier die einzig erhaltene Komposition von Robert Dauber (1922-1945) vorgestellt, in dessen „Serenade für Violine und Klavier“ der „Gesang“ überwiegt und die leisen Wendungen anrühren. In gespenstisch „herrlichem“ Kontrast dazu standen der kecke „Terezíner Marsch“ des Komiker-Talents Karel Svenk (1917-1945), der auf dem Weg zur Zwangsarbeit auf Tschechisch gesungen wurde und endet mit „auf den Ghettotrümmern werden wir lachen“ – mehr noch die Verballhornung des „Gräfin-Mariza“-Hits „Komm mit nach Varazdin“ in „Ja, wir in Terezín, wir nehmen’s Leben sehr leicht hin …“.
Bariton Christian Gerhaher und sein Begleiter Gerold Huber hatten zuvor an den Janácek-Schüler Pavel Haas (1899-1944) erinnert, der von Kollegen neu motiviert in Theresienstadt „Vier Lieder nach chinesischer Poesie“ komponierte: eine radikal poetische Gegenwelt zum täglichen Horror, der am 15. Oktober endete, als Haas, Viktor Ullmann und Hans Krása in die Auschwitzer Gaskammern deportiert wurden.
Bengt Forsberg spielte im Mittelteil vier Teile von einem Überlebenden: Karel Berman (1919-1995) komponierte die achtteilige Klavier-Suite „Reminiscences 1938-1945“, in der er ruhiges Familienleben, die Auschwitzer „Körperfabrik“, Lager-Typhus und „24. Mai 1945 – Allein“ beschwört. All das erklang nicht, wie von Otter sehr treffend formulierte, um Anklage, Horror und Niedergeschlagenheit zu provozieren, sondern als Feier des Mutes, der Freude über das künstlerische „Dennoch!“ und Feier der Schmerz-Linderung durch Kunst.
Dies rundete noch die einstündige Dokumentation der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ab, in der Otter wie Gerhaher Theresienstadt besuchen und Daniel Hope darüber hinaus mit den Überlebenden Coco Schumann und der 108jährigen Pianistin Alice Herz-Sommer spricht. Ein ernster, bedrückender und doch auch „erhebender“ Abend.