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Grigory Shkarupa (Archbishop), Sónia Grané (Corinna). Foto: Vincent Stefan
Grigory Shkarupa (Archbishop), Sónia Grané (Corinna). Foto: Vincent Stefan
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Ein großes Missverständnis – Ernst Kreneks „Tarquin“ in der Werkstatt der Staatsoper Berlin

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Die Staatsoper Berlin im Schillertheater, die in ihrer Werkstatt-Reihe mit Opern des 20. und 21. Jahrhunderts im Vorjahr Ernst Kreneks „Vertrauenssache“ herausgebracht hat, versuchte sich nun in der Revitalisierung von dessen Kammeroper „Tarquin“ aus dem Jahre 1940. Das als Pendant zu Chaplins „Großer Diktator“, Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ und Brechts „Arturo Ui“ angekündigte Werk, mit „eine[r] grimmige[n] Karikatur Adolf Hitlers“ erweist sich als großes Missverständnis: ein verquastes, langatmiges Libretto mit wenig inspirierter Zwölftonmusik, szenisch langweilig umgesetzt.

Regisseurin Mascha Pörzgen stellt durch eine integrierte Sprechrolle die Behauptung auf, es handele sich hier um einen Laborversuch. Dafür werden den Zuschauern Laborkittel gereicht, damit sie im weißen Bühnenraum so aussehen wie die namenlosen Helfer in Hans Neuenfels’ Bayreuther „Lohengrin“-Inszenierung. Aber es gibt keine Ratten und die Besucher werden auch in keiner Weise ins Spiel integriert, so dass viele die unförmig hitzefördernden Kostümutensilien spätestens in der Pause ablegen.

Zum Stückbeginn wird mit weißen Vorhängen das obere Raumdrittel verdeckt; zusammen mit den brusthohen Trennwänden zwischen Publikum und Bühne entstehen unfreiwillige Assoziationen zum Pferderennen, nur dass dort das Publikum solche Sichtbeschränkungen, wie sie hier Ausstatter Johannes Gramm unter Missachtung von Sichtlinien-Grundsätzen des Theaters, verordnet, nicht akzeptieren würde.

Da die sprechende Laborleiterin mit einer Sängerin besetzt ist, darf die Mezzosopranistin Annika Schlicht in konzertanter Darbietung, neben einem der beiden Flügel stehend, drei Lieder von Krenek beisteuern; die Exzerpte aus den „Gesänge[n] des späten Jahres“, zählen musikalisch und in den gesanglichen Facetten zu den Positiva des Abends. Gerade diese drei Lieder aus dem Zyklus des Jahres 1931 zeigen die Kluft im Oeuvre des Komponisten, hier hintergründige Textausdeutung in freier Tonalität, dort ein serielles, endloses Dauerparlando. Endlich, aber viel zu spät, sorgen im letzten Teil Einsprengsel á la Kurz Weill, eine Paraphrase auf Bergs „Wir arme Leut’!“ und die Reprise der sanglichen Definition seines Schaffens durch den Erfinder Cleon für etwas musikalische Abwechslung.

Das Schlimmste aber ist das verquaste und völlig humorlose Libretto von Emmet Lavery, der vordem Drehbücher stark christlicher Intention verfasst hat. Die vom österreichischen Komponisten im amerikanischen Exil in englischer Sprache vertonte Oper lässt in ihrer Ausgangsszene, dem Schulabschluss, deutlich werden, dass Krenek als Lehrer am Vassar College in Poughkeepsie, einem musikalischen Lyzeum untergekommen ist. In der Fortsetzung zu seinem Opern-Thema „Der Diktator“ geht es eben nicht um eine Farce des Aufstiegs von Hitler, sondern um das Beispiel, wie Kirche und Glauben sich in einer Diktatur verhalten sollen, um den Diktator durch Liebe zur Einsicht und zur Umkehr zu bewegen. Tatsächlich kriecht der sich als Diktator selbst Tarquin nennende Marius, in Liebe zur Jugendfreundin Corinna vor dem Kreuz und singt vor seinem Tod eine lange Gebetsarie.

Die an Kreneks Schule nur fragmentarisch aufgeführte Oper wurde 1950 in Köln in deutscher Sprache ur- und erst 2017 in Linz halbszenisch erneut aufgeführt. Die dritte, die Berliner Produktion, ist die erste in englischer Originalsprache.

Und die Aufführung trägt leider wenig dazu bei, die Frage zu beantworten, warum denn gerade dieses Werk aus dem umfangreichen Oeuvre Kreneks zur Wiederaufführung gewählt wurde.

Dirigent Max Renne bemüht sich mit den in solistischer Besetzung aufspielenden Musikern der Staatskapelle Berlin – Violine, Klarinette, Trompete, Schlagzeug und zwei Klavieren – nachdrücklich für größtmögliche Tempo- und Stimmungswechsel in der arg gleichförmigen Partitur. Den jungen Sängerinnen und Sängern des internationalen Opernstudios der Staatsoper, die mit dieser Produktion ihr Abschlussprojekt erarbeitet haben, gibt er präzise Einsätze und sorgt für größtmögliche Unzerstützung.

Intensiv und ausdrucksstark gestaltet der Bariton Maximilian Krummen den erfolgsversessenen Marius als schwarz uniformierten Diktator. In der Rolle als angepasster (gleichwohl serieller?!) Komponist Tonio, der sich selbst trefflich am Klavier begleitet, gefällt der russische Bassist Grigory Shkarupa mit Witz sehr viel besser denn als endlos salbadernder Erzbischof. Die portugiesische Sopranistin Sónia Grané singt die Corinna recht schön, aber weder ihre Rolle als Ärztin, noch ihr Charisma als Heilige vermag die Produktion zu vermitteln; bei ihrer großen Gebetsarie hält sich die Sopranistin, offenbar von Gott und der Regie verlassen, an den Säulen fest oder reißt beliebig einen ihrer Steckbriefe ab. Stephen Chambers als ihr getreuer ehemaliger Mitschüler Cleon, Erfinder eines Geheimsenders in einem Wecker und „Krüppel“(!), tut ebenso sein Bestes, wie der amerikanische Tenor Jonathan Winell als rechte Hand des Diktators, der dann selbst an die Macht kommt, zunächst Corinna und dann auch den plötzlich friedliebenden Diktator tötet.

Wohl aufgrund der Premierenfülle durch das bevorstehende Berliner Theatertreffen war die Premiere am selben Abend wie Schönbergs „Moses und Aron“ (siehe nmz online) angesetzt worden. Die zwei mal zwei Reihen auf den Seiten der Werkstatt wurden bei der zweiten Aufführung durch eine niederländische Jugendgruppe und eine chinesische Delegation angefüllt. Die ersten Besucher verließen nach 45 Minuten den Saal, nach der Pause kehrten nur noch die hart gesottenen Opernfreunde zurück. Sie spendeten am Ende des unnötig gestreckten Abends Achtungsapplaus für die Sänger, die Instrumentalisten und den Dirigenten.

  • Weitere Vorstellungen: 23., 25., 27. und 28. April 2015.

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