nmz 2000/10 | Seite 17
49. Jahrgang | Oktober
Rezensionen
Ein Hauch flüchtiger Eleganz
Die „Etudes en série“ von Bill Hopkins
Bei den diesjährigen Darmstädter Ferienkursen gab der englische Pianist Nicolas Hodges ein viel beachtetes Konzert mit den rund dreiviertelstündigen „Etudes en série“ von Bill Hopkins. Es war das erste Mal, dass das Werk außerhalb Englands erklang und wohl das erste Mal überhaupt, dass ein internationales Publikum dem Namen des Komponisten begegnete.
Wer war Bill Hopkins? Geboren 1943 in Prestbury (Cheshire), begann er schon als Schüler mit seriellen Experimenten, besuchte dann einen Kompositionskurs bei Nono an der Dartington Summer School und studierte in Oxford unter anderem bei Egon Wellesz. Ende 1964 ging er mit einem Stipendium nach Paris, wo er als Hörer in die Klasse von Messiaen aufgenommen wurde, bei Jean Barraqué Privatunterricht nahm und Heinz-Klaus Metzger begegnete, der ihn mit dem Werk Samuel Becketts bekannt machte. Der knapp halbjährige Paris-Aufenthalt wurde zum Auslöser einer Reihe von Werken, unter denen die „Etudes en série“, komponiert zwischen 1965 und 1972, den Rang eines Hauptwerkes einnehmen. Zurück in England lebte er isoliert und schrieb nur noch eine Handvoll Werke, bis ihn 1981 der Tod in Form eines Herzschlags ereilte.
Zeitgleich mit der Darmstädter Premiere veröffentlichte Nicolas Hodges die „Etudes en série“ zusammen mit anderen Klavierwerken von Hopkins nun bei col legno. Der Pianist, der sich bisher als Einziger an die horrend schwierigen Werke heranwagte, hat auch die informativen Kommentare im Begleitheft verfasst. Mit seinem Engagement empfiehlt er sich als effizienter und überaus kompetenter Anwalt der Musik des bisher weitgehend unbekannten Komponisten. Die „Etudes en série“ sind luzid und mit viel Sinn für subtile Klangvaleurs komponiert – Eigenschaften, die unter den Händen von Hodges, der Debussy und Sciarrino zu seinen Favoriten zählt, besonders gut zur Geltung kommen. Als seriell durchorganisiertes Werk sind sie vollgepackt mit den charakteristischen Schwierigkeiten, die man schon aus den „Structures“ und der dritten Sonate von Boulez oder von Barraqués monumentaler Sonate her kennt: eine komplexe Polyphonie, weite Sprünge, funkelnde Ton- und Akkordkaskaden, die sich über den ganzen Tonraum erstrecken.
Das alles ist unverkennbar vom abstrakten Strukturdenken des Serialismus geprägt. Doch macht sich in ihnen ein neuer Ton bemerkbar. Ein Hauch von flüchtiger Eleganz durchzieht die Musik. Die strenge Polyphonie löst sich manchmal in eine fluktuierende Bewegung auf, die sich wellenförmig über den Tonraum ausbreitet, sich in Arabesken kristallisiert oder zu dramatischen Verdichtungen führt. Über längere Strecken hervortretende Basis- oder Spitzentöne schaffen eine flächige Harmonik, die die Form erkennbar gliedert. Auf hohem Abstraktionsniveau bilden sich somit immer wieder narrative Elemente heraus – Orientierungspunkte, die das Ohr dankbar zur Kenntnis nimmt. Gut möglich, dass diese außergewöhnliche Ausgrabung den Anfang für eine breitere Rezeption des vergessenen englischen Serialisten macht.
Bill Hopkins: Complete Piano Music (Etudes en série; Ebauches). Nicolas Hodges, Klavier Col legno WWE 1CD 20042