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Ein imposantes Panorama der Moderne

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Von „Sacre du Printemps“ bis Georg Benjamin: Die Lucerne Festival Academy
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Nicht nur aus künstlerischer und pädagogischer Sicht ist die von Pierre Boulez vor fünf Jahren ins Leben gerufene Lucerne Festival Academy eine einzige Erfolgsgeschichte. Sie widerlegt auch gründlich das Vorurteil von der Publikumsferne der Neuen Musik. Eingebettet in das Lucerne Festival, eines der größten europäischen Klassikfestivals, gibt sie den rund 140 jugendlichen Teilnehmern die Möglichkeit, Referenzwerke des 20. Jahrhunderts und Uraufführungen einzustudieren und innerhalb des Festivalprogramms aufzuführen. Das Interpretationsniveau ist bemerkenswert hoch, und das Publikum strömt in Scharen.

 

Es ist kaum zu glauben, was der inzwischen 83-jährige Boulez, Spiritus rector und Motor der Academy, während der rund dreiwöchigen Veranstaltung alles leistet: Er ist verantwortlich fürs Ganze, gibt einen Meisterkurs in Dirigieren und leitet obendrein selbst noch zwei Konzerte. Daneben taucht er als anregender Gesprächspartner in öffentlichen Konzerteinführungen auf und steht bereitwillig allen Rede und Antwort, die etwas von ihm wissen wollen. Er gibt nicht nur enorm viel, sondern scheint vom Umgang mit den jungen Teilnehmern auch selbst eine Menge zu profitieren. Er wirkt zwanzig Jahre jünger.

Mit seiner ökonomischen Arbeitsweise stachelt er die Mitwirkenden zu Höchstleistungen an. Wer ihn beobachtet, wie er in seinem Dirigierkurs junge Dirigentinnen und Dirigenten mit einem Riesenorchester Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ proben lässt, wie er mit einer Mischung aus Freundlichkeit und sachlicher Strenge seine Anweisungen gibt, ist nicht erstaunt über die Professionalität, mit der die jungen Musikerinnen und Musiker dann im Konzertsaal dieses Stück spielen. Der Dirigierkurs ist in diesem Fall zugleich Orchesterprobe, die Musik geht den Ausführenden in Fleisch und Blut über.

Strawinskys „Sacre“ war ein Kernstück des Lucerne Festivals, das diesmal unter dem Motto „TanzMusik“ stand; es erklang auch bei einem Gastspiel der New York Philharmonic mit Lorin Mazel und war Thema einer Ausstellung der Paul-Sacher-Stiftung. In den Aktivitäten der Festival Academy bildete es den Höhepunkt des Abschlusskonzerts und versetzte das Publikum im vollbesetzten Saal in Begeisterung. In der ersten Hälfte dirigierte Boulez neben Orchesterstücken von Luciano Berio und Elliot Carter auch zwei Uraufführungen von Nachwuchskomponisten, die er selbst während der letzten zwei Jahre betreut hatte: „Change“, ein lautstark auftrumpfendes Gesellenstück des Kyburz-Schülers Johannes Boris Borowski, und „Endless Steps“ von Ondrej Adamek. Der in Paris lebende Tscheche, der bei Marek Kopelent studiert hat, lieferte ein klanglich ausgefeiltes Stück ab, das einen Sinn fürs Spielerisch-Fantastische und in der repetitiven Gestik seiner geräuschhaft zugespitzten Akkordfolgen auch einen Schuss Selbstironie verriet.

Eine ganze Reihe weiterer Ensembles präsentierte sich im Rahmen der Academy-Konzerte, darunter die zwölfköpfige Lucerne Festival Percussion Group mit Uraufführungen von Yann Robin und Gary Berger und das Ensemble der Festival Academy. Unter Jean Deroyer brachte es den abendfüllenden Zyklus „Des Canyons aux Étoiles“ von Olivier Messiaen zu einer klangprächtigen Wiedergabe, unter Boulez spielte es Werke von Varèse, Carter, Strawinsky, Boulez sowie „Palimpsest I und II“ von  George Benjamin. Das Konzertprogramm war zusammen mit Musikern des New Juillard Ensemble einstudiert und als Austauschprojekt mit der Juillard School im Januar bereits in New York ge­spielt worden.

Vom 48-jährigen Briten George Benjamin, Composer-in-Residence des diesjährigen Lucerne Festivals, war im Rahmen der Academy eine umfangreiche Werkauswahl zu hören, zudem brachte Pierre-Laurent Aimard in einem Gastkonzert des Cleveland Orchestra sein neues Klavierkonzert zur Uraufführung. Man lernte einen Komponisten kennen, dessen klanglich unerhört facettenreiche, bis ins letzte Detail ausgefeilte Werke dem Hören immer neue Perspektiven eröffnen – eine Musik, die sich so schnell nicht erschöpft.

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