Was macht man als Künstler, wenn sich Klimaaktivisten am eigenen Gemälde festkleben? Kunst natürlich! Kurzerhand verscheucht Mathis einen nicht ins schmucke Warnwestenbild passenden Außenstehenden und schießt ein paar knackige, aus dem echten Leben gegriffene Fotos.
Ein Künstler scheitert an der Gegenwart: Hindemiths „Mathis der Maler“ in Nürnberg
Der Nürnberger Staatstheaterintendant Jens-Daniel Herzog hält sich in seiner Inszenierung von „Mathis der Maler“ nicht mit historisierendem Grübeln auf, sondern verortet Paul Hindemiths Oper über den Schöpfer des Isenheimer Altars im Hier und Heute. Um uns die im Libretto angesichts von Bauernkrieg und Religionsstreit zum Dozieren neigenden Figuren näher zu bringen, schickt er zur Ouvertüre einen Film voraus: Der Künstler Mathis, der spätere Kardinal Albrecht, die Kaufmannstochter Ursula und der Aufständische Hans Schwalb haben in den 1970ern offenbar in einer hippiesken Kommune zusammengelebt und für Frieden demonstriert. In der nachfolgenden Handlung treffen sie wieder aufeinander; während andere Kompromisse eingegangen sind, ist Schwalb in den bewaffneten Widerstand gegen das System gegangen. Mathis schließt sich dem an, scheitert aber.
„Dem Volke entzogst Du Dich, als Du zu ihm gingst“: So fasst Albrecht, dem Mathis mittlerweile lukrative Aufträge verdankt, dessen Dilemma zwischen gesellschaftlicher Wirksamkeit und künstlerischer Integrität zusammen. Hindemith hatte zur Entstehungszeit um 1934 genau dies zum Thema gemacht und im Blick zurück ins 16. Jahrhundert seinen Platz in einer vom Nationalsozialismus brutal geprägten Zeit zu finden versucht, um schließlich ins Exil zu gehen.
Mit einer vor dem dritten Bild eingeschobenen gesprochenen Szene treibt Regisseur Herzog seine nicht durchweg plausibel durchgearbeitete, über weite Strecken aber funktionierende Aktualisierung noch ein Stück weiter: Ein Schauspieler wendet sich, nachdem er in einer Mülltüte nach Essen gesucht hat, ans Publikum und schleudert ihm die soziale Schieflage der Gegenwart ins Gesicht. Die etwas platte, aber wirksame Szene wirft auch ein kurzes Schlaglicht darauf, dass ein subventioniertes Opernhaus in einem ähnlichen Relevanz-Dilemma steckt: Wie ruft man bei einer möglicherweise saturierten Zuhörerschaft mehr als ein paar Buhs – die gab es dann auch für Herzog an diesem ansonsten umjubelten Premierenabend – und wohligen Schauer hervor?
Die mitunter fast zu entfesselt aufspielende Staatsphilharmonie trifft unter der Leitung von Roland Böer die Balance zwischen Wohligkeit und kantiger Überrumpelung insgesamt recht gut. Der Interims-GMD holt aus Hindemiths formal streng gebauter Partitur (in einer gestrafften Version) alles an bühnenwirksamer Dramatik heraus. Dass er dabei nicht immer auf Subtilität und Durchsichtigkeit setzt, ist verschmerzbar. Der Vision des apokalyptischen Altarbilds, in der Mathis sich in der Rolle des von diversen Versuchungen auf die Probe gestellten Hl. Antonius wiederfindet, gibt dieser Zugriff jene orchestrale Wucht, die auch optisch von der hier einmal spektakulären Szenerie samt emporschwebenden Peinigern ausgeht (Bühne: Mathis Neidhardt).
Der unter Hochspannung stehende Chor (Einstudierung: Tarmo Vaask) und das Ensemble behaupten sich gegen die oft mit tiefem Blech gepanzerten Klangwogen erstaunlich gut. Samuel Hasselhorn hat in der Titelpartie nach all der hochdramatischen Dauerbeanspruchung noch die Kraft, seiner von der Regie leicht ironisch goldgerahmten Todesszene eine berührende lyrische Qualität zu geben. Neben Zoltan Nyari (Albrecht), Emily Newton (Ursula) und Martin Platz (Capito) brilliert vor allem Chloë Morgan als Schwalbs Tochter Regina mit schlackenloser Höhe. Ein Engelkonzert in höllischer Umgebung.
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