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Gastpiel an einem der Orte des Geschehens: „Schlafe, mein Prinzchen“ von Franz Wittenbrink am Theater Regensburg. Foto: Barbara Braun
Gastpiel an einem der Orte des Geschehens: „Schlafe, mein Prinzchen“ von Franz Wittenbrink am Theater Regensburg. Foto: Barbara Braun
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Ein „Lacrimosa“ in die Magengrube: Gastspiel von Franz Wittenbrinks „Schlafe, mein Prinzchen“ in Regensburg

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Mit großem Applaus und einem Podiumsgespräch ist Franz Wittenbrinks „Schlafe, mein Prinzchen“ als einmaliges Gastspiel des Berliner Ensembles in Regensburg über die Bühne gegangen. Der musikalische Abend über die Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen und in der Odenwaldschule war vor einem Jahr in Berlin uraufgeführt worden.

Die Berliner Produktion des Stückes (siehe nmz online vom 22.6.2015) war nach acht Vorstellungen abgesetzt worden, in Regensburg war zwischenzeitlich ein Videomitschnitt öffentlich zu sehen gewesen.

Nach anfänglichen nervösen Lachern konzentriert und bewegt verfolgte das Publikum den beklemmenden Abend, der mit größtem Einfühlungsvermögen die Szenen von Sadismus und sexueller Gewalt mit wunderbarer Musik überblendet. Wittenbrink gelingt mit seiner Zusammenstellung das Paradox, dass diese ihre Unschuld verliert und dabei doch ihre tröstende Kraft bewahrt. Das Mozart’sche „Lacrimosa“ am Ende ist dann aber ein Schlag in die Magengrube, und Veit Schubert liefert im Epilog als selbstgefälliger Odenwald-Rektor im Rollstuhl die perfideste Version von „My way“ ab, die sich vorstellen lässt.

Was das Schauspielensemble (!) neben der grandiosen darstellerischen Seite chorisch und solistisch leistete, war überwältigend. Entsprechend tosend fiel der Beifall aus und die meisten Zuschauer blieben auf ihren Plätzen, als der Regensburger Theaterintendant Jens Neundorff von Enzberg anschließend den Autor Wittenbrink (der die Vorstellung vom Klavier aus auch geleitet hatte), den Domspatzen-Chormanager Christof Hartmann sowie zwei Ensemblemitglieder zum Gespräch auf die Bühne bat.

Hartmann zeigte sich von der Aufführung tief beeindruckt und verwies auf die zugegebenermaßen verspätete und erst nach erheblichem öffentlichen Druck nunmehr in die Wege geleitete Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Eine eingehendere Diskussion zu dieser Frage mit Wittenbrink, der den Finger unter starkem Zwischenapplaus in die Wunden legte, entwickelte sich nicht, was vor allem daran lag, dass kein Kirchenvertreter mit auf dem Podium saß.

Toni Schmid, Ministerialdirigent im bayerischen Kunstministerium, hatte sich als Teilnehmer entschuldigen lassen. Als Statement ließ er aber verkünden, er habe alles, was er jetzt sei, seiner Zeit bei den Domspatzen zu verdanken, was Franz Wittenbrink einleuchtend als Gemeinplatz entlarvte. Leicht war schließlich aber eine Einigkeit darüber zu erzielen, dass das Theater durchaus einer der Orte sein könne und müsse, an dem ein solches Thema zu verhandeln sei. Was, so ließe sich ergänzen, vor allem auch etwas mit der künstlerischen Qualität zu tun hat, mit der es geschieht. Franz Wittenbrink hat gezeigt, wie’s geht.

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