Im vergangenen Dezember in Budapest in ungarischer Sprache uraufgeführt, feierte nun die deutsche Fassung von Peter Eötvös’ neuer Oper „Valuschka“ Premiere – ein Achtungserfolg für das Theater Regensburg.
Ein Lehrstück: Uraufführung der deutschen Fassung von Peter Eötvös’ „Valuschka“ in Regensburg
Zur Frage, ob dies nun eine zweite Uraufführung sei oder nicht, hatte es im Vorfeld einen geharnischten Brief des Generaldirektors der ungarischen Staatsoper Szilvezter Ókovács gegeben. Wie die Mittelbayerische Zeitung berichtete, hatte er das Theater Regensburg aufgefordert, davon abzusehen, die Premiere als Uraufführung zu bewerben. Brisant war aber vor allem der Versuch, die Deutungshoheit über das Stück für sich zu reklamieren. Ókovács verwahrte sich gegen die Regensburger Ankündigung, wonach die Oper als „Reflexion über das Wesen von Macht und Übermacht“ auf die politische Situation in Ungarn anspiele…
Dazu nur soviel: Nachdem das Theater Regensburg die deutsche Übersetzung des Librettos bei György Buda bestellt hatte und Eötvös – so Intendant und Regisseur Sebastian Ritschel – darauf zugeschnitten etwa 30 Prozent der Musik änderte, kann durchaus von einer Uraufführung die Rede sein. Und dass der Stoff aktuelle Brisanz besitzt, in Ungarn und anderswo, steht außer Frage.
Das Libretto von Kinga Keszthelyi und Mari Mezei kondensiert den 1989 erschienenen, umfangreichen Roman „Melancholie des Widerstands“ von László Krasznahorkai auf 12 Szenen. In gut 90 pausenlosen Minuten werden wir Zeugen, wie in einem Dorf eines nicht näher definierten Landes Gewalt und Anarchie ausbrechen, was nahtlos in eine Militärdiktatur übergeht. Strippenzieherin ist Tünde, die – jüngst zur Bürgermeisterin gewählt – ein doppeltes Spiel betreibt: Einerseits hat sie einen Wanderzirkus ins Dorf geholt, der mit einem ausgestopften Walfisch lockt und in Person eines unsichtbar bleibenden kleinwüchsigen Prinzen zu Verwüstung und Chaos aufruft. Andererseits hat sie eine politische Bewegung ins Leben gerufen, die schließlich auf nicht minder brutale Weise für Ordnung sorgt.
In der deutschen Fassung agiert diese unter dem populistischen Motto „Es Grünt So Grün“, was Peter Eötvös mit einem nahe liegenden Zitat aus „My Fair Lady“ würzt. Den Zeitungsausträger János Valuschka, einen von der Dorfgemeinschaft als Trottel behandelten Träumer, braucht Tünde, um ihren getrennt lebenden Gatten davon zu überzeugen, der neuen Bewegung kraft seines Ansehens als Professor die gewünschte Durchschlagskraft zu geben. Valuschkas Mutter, Frau Pflaum, wird eines der ersten Todesopfer des ausschließlich männlichen Mobs, dessen toxisches Gebräu sich schon in der zweiten Szene andeutet, als sie im Zug von einem „Mann in Lodenmantel“ belästigt wird.
Illustrative Musik, prägnanter Deklamationston
Proportional ist diese Szene deutlich zu lang geraten, dafür nutzt Eötvös sie für virtuos lautmalendes Zugruckeln und Dampflock-Pfeifen mittels geblasener Plastikflaschen. Die offenbar als Lokalkolorit gedachten Dialekt-Einsprengsel funktionieren eher nicht, weil weder Svitlana Slyvia als Bäuerin noch die betreffenden Chorherren des Bayrischen mächtig sind. Ansonsten erhält das Stück durch die deutsche Fassung aber eine Prägnanz, die das ungarische Original hierzulande nie erreichen würde.
Das liegt vor allem an den vielen gesprochenen Passagen (Wirt Hagelmayer ist als Erzähler eine Sprechrolle), die immer wieder gleitend ins Singen übergehen, und dem häufig angeschlagenen Deklamationston. Hier sind vor allem die fast 30 Männer des im Wortsinne unheimlich präsenten Chores gefordert, eine Herausforderung, die sie in der Einstudierung von Harish Shankar sehr gut meistern.
Das alles gibt der Oper einen Lehrstückcharakter, was zur Parabelhaftigkeit des Stoffes passt. Eötvös nennt sie eine „Tragikomödie mit Musik“ und im Untertitel eine „groteske Oper“. Witz und Leichtigkeit versprüht das Ganze aber nicht, die düstere Grundstimmung illustriert der Komponist vielmehr mit einer anfangs faszinierenden Palette aus Bläser- und Schlagwerkfarben, deren Anordnung im Graben bisweilen reizvolle Stereoeffekte ergibt.
Im Kontrast zu dieser schroffen, nach einiger Zeit zu einem Einheitsgrau verschwimmenden Klanglichkeit steht die von einer Bassklarinette grundierte Musik Valuschkas. In der schönsten Szene stellt dieser mit den Besoffenen im Wirtshaus eine Sonnenfinsternis nach – im grandios lyrischen Gesang des Baritons Benedikt Eder bleibt die Zeit stehen.
Schade, dass die begleitenden Bläserglissandi hier zu leise geraten, während Eötvös’ Partitur vom Philharmonischen Orchester unter GMD Stefan Veselka ansonsten grandios umgesetzt wird. Dass Tündes Mann Musikprofessor ist und im Roman über „Werckmeisters Harmonien“ (so auch der Titel von Béla Tarrs Verfilmung) philosophiert, spielt im Libretto überraschenderweise keine Rolle, immerhin geht aber die Musik mit Bach-Allusionen darauf ein.
Vordergründige Bebilderung
Im Gegensatz zur szenisch stilisierten Budapester Produktion – ein Mitschnitt ist noch bis Mitte Juli online verfügbar – setzt Sebastian Ritschel in Regensburg auf eine handfestere, leider auch recht vordergründige Bebilderung. In Kristopher Kempfs Bühnenbild, das in der Wirtshaus-Szene mit bewusst altmodischer Kulissenstaffelung aufwartet und mit einem verrosteten Coca-Cola-Automaten einen versunkenen Kapitalismus andeutet, öffnet sich der Zirkuswagen gerade so weit, dass ein Auge des Wals sichtbar wird. Anders als im Text vorgegeben bekommen wir den geheimnisvollen Demagogenprinzen aber tatsächlich zu sehen. In der allzu kalkuliert effektvollen Szene schwebt er in einem stroboskopisch erleuchteten Käfig als Gruselharlekin herein. Die plakative Musik, vor allem der trefflich dämonische Gesang des prinzlichen Assistenten (Paul Kmetsch), hätte hier völlig ausgereicht.
Überhaupt ist es das fantastische Regensburger Ensemble, das die szenisch wie von der musikalischen Substanz her nur bedingt überzeugende Produktion zu einem Achtungserfolg für das Theater macht, darunter Kirsten Labonte als Tünde, Theodora Varga als Frau Pflaum und Roger Krebs als Professor. Am Ende besucht dieser den ins Irrenhaus weggesperrten Valuschka und muss resigniert feststellen, versagt zu haben. Der Wal, dessen symbolische Kraft Valuschka als Einziger im Dorf erkannt hat, schwebt in voller Größe herein.
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