Es war ein wuchtig-konzentrierter, ein symbolträchtiger, ein heikler Anfang. Nach der Weihe der Dresdner Frauenkirche am 30. Oktober vergingen nur wenige Tage, bis die schillerndsten Gipfel der Kirchenmusik erobert waren: Bachs Hohe Messe in h-Moll, Beethovens Missa solemnis, das Verdi-Requiem. 1800 Plätze waren stets ausverkauft. Mit gesicherten Klassikern begann der Konzertbetrieb in der 1945 ausgebrannten, eingestürzten, nun wieder aufgebauten Rundkirche George Bährs, einem der bedeutendsten protestantischen Sakralbauten barocker Zeit.
Die Frauenkirche hatte und hat wieder ihre eigene, reizvolle, herausfordernde Akustik. Dieser Punkt war wesentlich für Siegfried Matthus, der dem historischen Neubau ein Te Deum gewidmet hat. Der lichtdurchflutete, zugleich mahnende Lobgesang für sechs Vokalsolisten, Chor, Kinderstimmen, Orgel und Orchester erlebte am 11. November unter Kurt Masur seine Uraufführung. Gefeiert wurde das Werk, gefeiert seine hingebungsvolle Umsetzung durch die Dresdner Philharmonie, den Rundfunkchor Berlin, den Philharmonischen Kinderchor, internationale Solisten und Frauenkirchen-Organist Samuel Kummer. Vom „vielleicht wichtigsten Auftrag“ seines Lebens spricht der 1934 geborene Matthus, einer der meistgespielten Zeitgenossen, dessen Œuvre klangvolle Widmungen enthält – nicht zuletzt die zur Wiedereröffnung der Dresdner Semperoper 1985 geschriebene Oper „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. Matthus sieht in der riesigen Kuppel der Frauenkirche einen eigenen kompositorischen Raum. „Überirdisch“ nennt er die Akustik dort, in 40 Metern Höhe, von wo aus Trompeten, Kinderchor und einige Soli erklingen sollten – „real“ die Bedingungen unten, wo der Hauptteil des Apparats musizierte.
Dass allerdings Himmel und Erde akustisch weit schwieriger zu koppeln sind als per Partitur, musste Matthus in den Proben erfahren. Derart große Entfernungen führen zu Verzögerungen, die bei schnellen Tempi in den Bereich von Notenwerten gelangen. Mehr oder minder verschieben sich die musikalischen Ebenen vor den Ohren der Ausführenden und Hörer gegeneinander, je nachdem, ob man unten sitzt, in einer der logenartigen Betstuben oder auf einer der Emporen. So bliesen Trompeten die historische Te-Deum-Sequenz, mit der das Werk sanft anhebt, letztlich von unten – durchaus mit Effekt, denn wie Laub schwebte der Hall aus der Kuppel in den Raum zurück. Wenn indes Kinderstimmen wie hier das zarte Schluss-Amen von oben herab singen, dann gewinnt der Zauber die Oberhand über die Sinne.
Matthus scheut in der zwölfteiligen, 75-minütigen Komposition das musikalische Zitat nicht, lässt die berühmte Toccata d-Moll satt einfließen, um an Bachs Orgelspiel an diesem Ort zu erinnern. Der auf das Inferno von Dresden weisende Feuer-Chor seiner eigenen Cornet-Oper erklingt, leicht abgewandelt, auch im Te Deum. Das Geläut der Frauenkirche erhält seinen Platz im Werk, und immer wieder wird der eindringliche Gestus von Brittens „War Requiem“ fühlbar. Ebenso absichtsvoll bereichert Matthus den Lobgesang verbal, neben Rilkes Feuer-Versen mit Texten von Zachariae, Schiller und Kleist, mit Zitaten aus dem Alten Testament und Berichten von der Zerstörung der Kirche. So entsteht ein konkreter Bezug in einer Mischung aus Trauer, Trost und Freude. Kompositorisch ist ein typischer Matthus herausgekommen – klangsinnlich, effektvoll, verständlich.