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 Foto: Monika Rittershaus
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Ein Märchen mit Folgen – Zemlinskys „Der Zwerg“ an der Deutschen Oper Berlin

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Nun stehen also beide Opern der Tragödie eines hässlichen Mannes in Berlin auf dem Spielplan: „Die Gezeichneten“, deren Libretto Franz Schreker im Auftrag Alexander Zemlinskys für ihn geschrieben, aber selbst vertont hat, an der Komischen Oper und an der Deutschen Oper Berlin Zemlinskys dann auf ein Libretto von Georg C. Klaren als „Der Zwerg“ komponierte Version. Diese basiert auf Oscar Wildes Märchen „Der Geburtstag der Infantin“, das Schreker zuvor bereits als Pantomime komponiert und in Wien zur Aufführung gebracht hatte. Anders als die Umsetzung von Schrekers Bildwelt an der KOB im Januar des Vorjahres, wurde die stark autobiografische Sicht auf Zemlinskys Oper an der DOB widerspruchslos goutiert.

Der von Alexander Zemlinsky vertonte originale Dramentext Oscar Wildes zu „Eine florentinische Tragödie“ ist das deutlich bessere Libretto als das zum „Zwerg“, in welchem der Librettist Georg C. Klaren zwar die spezifischen Topoi von Oscar Wildes Kunstmärchen in Gesangstexte verwandelt, von der Nennung der Preziosen bis zur verbalen Zeichnung aufwändiger Kostüme, der Ausstatter Rainer Sellmaier eine heutige Bonbonbuntheit für die Hofdamen und weißes Hemd mit schwarzer Hose für die verdoppelte Titelpartie entgegensetzt. Zwar hat Alexander Zemlinsky auch in dieser Partitur die Kunst in der Kunst trefflich in Töne gefasst. Aber im „Zwerg“ fehlt gegenüber Wildes Vorlage der Schluss-Coup, wonach sich die Prinzessin nach dem von ihr verschuldeten Tod des Prinzen künftig ein Spielzeug wünscht, „das kein Herz hat“. Auch fehlt dem späteren Bühnenwerk, trotz aller Verspieltheit und großer Ausbrüche, die Stringenz der „Florentinischen Tragödie“, die man kurioserweise erst posthum zusammen mit dem „Zwerg“ zu einem Wildeschen Zemlinsky-Doppelabend gekoppelt hat.

Donald Runnicles bringt die „Zwerg“-Partitur oft zu laut, zu ungestüm aufs Tapet. Das ist vom Komponisten durchaus ziselierter, feiner angelegt. So wird die von der Seitenbühne, wie aus dem Garten fein und gefühlvoll erklingende Bühnenmusik zu einem besonderen Höhepunkt des Abends. Vielleicht rührt die ansonsten vorherrschend massive Klanggestaltung des nachschöpfenden Dirigenten her als Folge der hier als eine szenische Ouvertüre vorangestellten „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“ op. 34 von Arnold Schönberg, Aber außer der Tatsache, dass beide Komponisten befreundet und, im Bunde mit Erich J. Wolff, in Wien gemeinsame Wege beschritten haben, hat diese u. a. auch zwölftönige Komposition gar nichts mit der nachfolgenden, im Jahr 1922 uraufgeführten Musik gemein.

Wenn man, wie hier geschehen, den Einakter des halben Opernabends verlängern und dabei als dramaturgischen Auslöser das Schüler-Lehrer-Verhältnis Alexander Zemlinskys zu Alma Schindler ins Bild setzen will, dann hätte sich für einen derartigen Prolog eine weitere Partitur von Zemlinsky besser geeignet, etwa ein Satz aus seiner „Seejungfrau“ – welche naturgemäß dem Fischer ja auch die körperliche Vereinigung unmöglich macht, so wie die maximal zu Petting-Orgasmen bereite Alma ihrem Lehrer – denn die Schindler wollte gesellschaftlich höher hinaus: der Direktor der Hofoper, Gustav Mahler, musste es denn mindestens sein!

Bei der an der Deutschen Oper gewählten Partitur Schönbergs aus dem Jahre 1930 werden die Einsätze des sonst als Tasteninstrument ins Klangbild eingebetteten Klaviers mit seinen schraubenden Einsätzen über Gebühr betont.

Dabei beschränkt sich die Bebilderung des Regisseurs in diesem szenischen Vorspiel auf vage Annäherungsversuche des kleinen, wenn auch nicht zwergenhaften Lehrers (Evgeny Nikiforov als Zemlinsky) auf eine diesen Zuspruch genießende, aber den kleineren Mann verspottende Alma (Adelle Eslinger-Runnicles).

Die Haupthandlung spielt dann in einem weißen, erhöhten Kunstraum mit weißen Komponisten-Büsten, welche der singende Zwerg allesamt vom Podest wirft, auf dass der Haushofmeister Don Estoban (Philipp Jekal) gegen Ende eine Büste von Zemlinsky auf den mittleren Sockel heben kann. Zwischendurch senkt sich eine rampenparallele Spiegelwand in das in die Gegenwart gerückte Spiel.

Die in der Inszenierung von Tobias Kratzer praktizierte Idee, das Spiegelbild des Zwergs zu personifizierten, ist für Bühnenadaptionen des Wilde-Märchens nicht neu. Bereits in der musikdramatischen Urform, bei Franz Schrekers in der Sezession in Wien uraufgeführter Pantomime, teilten sich die drei Schwestern Wiesenthal in die Partien von Infantin, dem Zwerg und dessen Spiegelbild. (Schrekers klein besetzte Urfassung, in der auch musikalisch der Spiegel ein Spiegel ist, war – immerhin mit einer Puppe – unlängst im großen Konzertsaal der UdK durch die Berliner Symphoniker neu zu erleben.)

In Kratzers Inszenierung ist der Zwerg bereits von Anfang an zweigeteilt, in den zwergwürzigen Schauspieler Mick Morris Mehnert als einen beim stummen Kammerorchester auf der Bühne nicht so recht zum Zuge kommenden Dirigenten und in den zunächst an einem Pult auf der Seitenbühne Bühnenseite positionierten Sänger David Butt Philip.

Das stumme Orchester mit zwei Harfen richtet sich wütend gegen den Zwerg, wobei die Musiker-Statisten ihre Instrumente zerstören. Der Sänger übernimmt dann im weiteren Verlauf zusehends die Darstellungsaufgaben des Zwerges, und auf Knien singend ist er auch nicht größer ist als sein Double, welches er am Ende erdrosseln wird – was er dann selbst ebenfalls nicht überlebt.

Die Zofe Ghita, welcher ein trauriger Schlussgesang vorbehalten ist (einfühlsam und mit besonders warmer Timbrierung gestaltet von Emily Magee), hat statt eines Handspiegels ein Handy – wie auch die vom Damenchor vokal optimal verkörperten Hofdamen mit ihren Handys gerne Fotos des Zwerges und Selfies schießen. Als Infantin Donna Clara ist Elena Tsallagova im Glitzerkleidchen eine Augenweide, mit erstaunlich kraftvoller, runder Tongebung.

Was in Schrekers Urfassung die Tänze des Zwerges, das ist hier die künstlerische Darbietung des als Sänger klassifizierten Zwerges. Der amerikanische Tenor David Butt Philip intoniert zunächst wie ein Spinto, um dann immer dramatischere Töne zu entwickeln. Er gefiel mir dabei besser als vergleichbare Besetzungen mit lyrischen, am Ende überforderten Tenören oder gar mit Heldentenören, denen man das kindliche Wesen nicht abzunehmen war.

Sein trauriges Lied von einer Blutorange als einem Herzen wird szenisch aufgegriffen, wenn die Infantin mit dem Dirigentenstab des stummen Zwerges einen roten Luftballon, den er zuvor geküsst hatte, platzen lässt.

Die Personenführung ist exzellent gearbeitet, doch reiben sich die Aktionen häufig mit den Aussagen des Textes – so etwa, wenn der Zwerg anstelle des besungenen Polsters und Holzes einen heutigen Metallrohr-Stuhl liebkost.

Gleichwohl zeigte sich nach 75 Minuten das Publikum – in der Premiere, wie auch in der mit vier zentralen Kameras im Parkett gefilmten zweiten Aufführung – mit der szenischen Umsetzung dieses Jugenstil-Opus einverstanden und spendete allen Beteiligten viel Applaus.

  • Weitere Aufführungen: 30. März, 7. und 12. April 2019.

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