Hauptrubrik
Banner Full-Size

Ein offener Treffpunkt für die „gute Musik“

Untertitel
UltraSchall, das Festival für neue Musik in Berlin, findet im dritten Jahr sein Profil
Publikationsdatum
Body

Nicht ehrgeizig genug können die Konzepte sein, mit denen Veranstalter landauf landab ihrem Publikum die Neue Musik schmackhaft machen wollen. Das Stuttgarter Festival „Eclat“ ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Eher mit Understatement nähern sich die Macher von „UltraSchall“, die Rundfunkredakteure Rainer Pöllmann (DeutschlandRadio Berlin) und Martin Demmler (Sender Freies Berlin) ihrem Gegenstand.

Nicht ehrgeizig genug können die Konzepte sein, mit denen Veranstalter landauf landab ihrem Publikum die Neue Musik schmackhaft machen wollen. Das Stuttgarter Festival „Eclat“ ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Eher mit Understatement nähern sich die Macher von „UltraSchall“, die Rundfunkredakteure Rainer Pöllmann (DeutschlandRadio Berlin) und Martin Demmler (Sender Freies Berlin) ihrem Gegenstand.Schon das kleine n im Untertitel – Festival für neue Musik – gibt sich entspannt, tolerant und offen gegenüber der Vielfalt, die heutzutage an Schreibtischen, Computertastaturen und in Tonstudios erdacht wird. Pragmatisch war der Beginn vor drei Jahren: die Kapazitäten zweier Rundfunkanstalten sollten gebündelt, die immer geringeren Etats für als unbezahlbar eingefrorene Produktionen auf dieses eine Live-Ereignis konzentriert werden (die Möglichkeiten eines SWF oder gar SWR hat es in der „Hauptstadt“ nie gegeben). Was von der „Szene“ bisher ein wenig von der Seite angesehen wurde, auch schon mal den Vorwurf der Konzeptlosigkeit einstecken musste, hat nun endgültig durch Qualität und Ideenreichtum überzeugt. In immerhin 18 Veranstaltungen im ehrwürdigen, 1932 von Hans Poelzig erbauten Haus des Rundfunks und den kultig angerotteten Sophiensälen in Berlin-Mitte hatte ein gut durchmischtes, durchhaltefreudiges Publikum seine Aha-Erlebnisse und seinen Spaß, und das ohne fragwürdige Anbiederung.

Zugegeben, der Einstieg wurde leicht gemacht: auf Glaskugeln, Tontöpfen, Tellern, Spind und Schubkarre führten die Schlagzeuger Zoro Babel und Edgar Guggeis faszinierend vor, was in unserem Alltag so alles klingt, und der Posaunist Michael Svoboda ist eine dermaßen charismatische Persönlichkeit, durch spielerische, scheinbar naive Fantasie mitreißend, dass man ihm auch eine „Hommage à Badesaison“ für Südseemuschel abnimmt. „Spurensuche der alten Musik in der neuen“ hieß ein weiterer, Anknüpfungspunkte anbietender Programmstrang: dazu gehörte die Uraufführung der klangschwelgerischen „Märchensuite“ von Bernd Alois Zimmermann, dem 50-jährigen Archivschlummer endlich entrissen und schon in den Satztiteln („Der Ritt durch den Wald“, „Das verwunschene Schloss“) den frühen Gustav Mahler beschwörend. Ebenso aber ein Porträtkonzert Heinz Holligers, dessen „Alb-Chehr“, eine „Geischter und Älplermusig for d’Oberwalliser Spillit“ eine ganz eigene, hintersinnige Mischung von Folklore und Avantgarde, Radikalismus im Sinne einer musikalischen „Wurzelbehandlung“ darstellt.

Sperriger gab sich da das wohl ehrgeizigste, ungewöhnlichste Projekt des gesamten Festivals, schon eher auf „Ultraschall“ abzielend: Basierend auf der Verbal-Partitur „Circus on“ von John Cage wagte der Berliner Musikwissenschaftler und Avantgarde-Spezialist Volker Straebel eine „Vertonung“ von Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“. Von den Verfahrensweisen in seinem Hörstück „Roaratario“ auf „Finnegans Wake“ von James Joyce ausgehend entwickelte Cage 1979 eine siebenstufige An-leitung zur klanglichen Umsetzung jeder beliebigen Literaturvorlage. Nach dessen (Zufalls-) Prinzipien ordnet Straebel sprechende Textfragmente 120 zwölfzeiligen Mesosticha zu, kombiniert sie mit 447 Geräuschen der im Roman erwähnten Orte sowie Archivaufnahmen – in seiner akribischen Spurensuche, der perfekten technischen Umsetzung auf 48 Kanälen über 16 Lautsprecher und der rituell-kühlen Wiedergabe durch Hanns Zischlers ein faszinierendes, realistisch-fiktives Großstadtpanorama, das irgendwann ins Zäh-Absurde umschlägt und durch die bedeutungsfremd eingesetzten historischen Aufnahmen auch abgeschmackt wirkt. Inhalt ist mit der Realisierung nach strukturellen Gesichtspunkten nicht gemeint und setzt sich doch hinterrücks durch.

Ansonsten verausgabte UltraSchall seine Uraufführungsfreudigkeit in kleinerer Münze, etwa dem sich etwas unentschieden durch Glissandi und Obertoneffekte tastenden Streichquartett „Fotografie und Berührung“ des 1972 in Moskau geborenen Goldmann-Schülers Sergej Newski. Die Gattung wurde in einem Konzert des Kairos-Quartetts wieder einmal neu erprobt, recht eindrucksvoll im das Ritual tastend verfremdenden „Hell“ der Australierin Liza Lim und dem die Sedimente verschiedener Kulturen kombinierender, in Dialog mit akzentgebender Elektronik tretenden „ParaMetaString“ von Unsuk Chin. Das Porträtkonzert der 39-jährigen Koreanerin war zweifellos ein Festival-Höhepunkt. Die Tonbandkomposition „Gradus ad infinitum“ (1989) zeigt in vielschichtig überlagerten, scheppernden Tasten- und Gongklängen endlich einmal einen eigenständigen, rauheren Zugriff jenseits der ewigen technisch glatten Klangcontinua, noch unabhängiger vom Lehrer György Ligeti wirkt die Eroberung des konkreten Klangs und Geräuschs in „Allegro ma non troppo“ für Schlagzeug und Tonband, auf genial-einfache Weise auch szenisch wirksam, wenn Christian Dierstein suchend umhergehend mal mit rotem oder grünem Seidenpapier den Gong putzt, mal einen Wecker aufzieht. Ein „Hausfrauenstück“, das in strenger, konziser Struktur vielleicht Aufschlüsse über die auf der Podiumsdiskussion „Frauenmusik – Männermusik“ verzweifelt gesuchte weibliche Ästhetik zu geben vermag. Eine zweite groß herausgestellte Komponistin, die Amerikanerin Augusta Read Thomas, enttäuschte im Abschlusskonzert des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin mit farblich delikaten, doch auch recht abgegriffen romantisierenden „Words of the Sea“. Geradezu peinlich der „Feuervogel“-Verschnitt „The Great Procession“ von Charles Wuorinen, bezeichnend für den Zwang zur Verkäuflichkeit in der amerikanischen Musikszene.

Herausragend wiederum das Porträtkonzert des aus Wales stammenden Richard Barrett, der „abglanzbeladen/auseinandergeschrieben“ oder „knospend-gespalten“ mit den exquisiten Solisten des australischen Elision-Ensembles oder der Stimmkünstlerin Ute Wassermann in expressiv-komplexe Live-Elektronik-Dialoge trat. Barrett lenkte das „Augen“merk einmal mehr auf die Bedeutung des Interpreten auch für zeitgenössische Musik, neben dem Cellisten Friedrich Gauwerky und dem Akkordeonisten Gerhard Scherer war dies in der schon traditionellen „Langen Nacht des Klaviers“ Marino Formenti, der etwa Boulez’ erster Klaviersonate mit traumwandlerischer Hingabe in fließendem Timing zu verblüffender Sprachkraft verhalf – ein Vorstoß zum „Ultraschall“, ins „Unerhörte“ auch dies.

Isabel Herzfeld

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!