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Eine kleine Menschenmenge in grauen Trenchcoats versammelt sich unter einem einzelnen Regenschirm.

Auf der Bühne gibt es klare Bilder, die nicht stören, aber auch nichts hinzufügen – hier für den Chor des Theater Bonn choreographiert. Foto: Bettina Stöß

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Ein Opernkrimi der besonderen Art – Händels „Alcina“ in Bonn

Vorspann / Teaser

Es gibt Opernabende, da ist das Geschehen hinter und neben der Bühne (fast) genauso interessant wie auf der Bühne. So nun in Bonn, wo die Premiere von Georg Friedrich Händels Oper „Alcina“ an- und auf der Kippe stand. Die Darstellerin des Ruggiero, Charlotte Quadt, war angeschlagen. Stimmlich ging es ihr gut, nur hatte sie die Befürchtung, die gut drei Stunden auf der Bühne körperlich nicht durchzustehen. Was Generalintendant Bernhard Helmich dem Premierenpublikum dann vorab schilderte, war ein Opernkrimi allererster Güte, denn der aus Wien herbeieilende Ersatz Ray Chenez konnte Bonn nur unter höchst verwickelten und abenteuerlichen Umständen erreichen – und leider auch zu spät. Bei Premierenbeginn saß er noch im ICE Richtung Bonn. Deshalb hatte Quadt sich bereiterklärt, ihre Rolle so lange zu übernehmen, bis der Ersatz vom Bühnenrand aus hätte übernehmen können. Regisseur Jens-Daniel Herzog hätte in diesem Falle die Figur auf der Bühne markiert.

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So weit kam es dann aber gar nicht, denn es bewahrheitete sich, was Helmich hypothetisch angedeutet hatte: dass eine gehörige Dosis Premierenadrenalin dafür sorgen könnte, dass Quadt durchhält. Nicht nur stimmlich war ihr die Beeinträchtigung nicht anzumerken. Sie spielte und sang – wie im Übrigen das gesamte Ensemble – mit großartiger Präsenz und einigem Nachdruck, so dass am Ende des Abends das Fazit blieb: Glück gehabt, auch wenn der Ersatzmann letztlich vergebens nach Bonn geeilt war. Das positive Fazit ließ sich auch auf den gesamten Abend übertragen, denn Händels Zauberoper rund um Liebe, Verlust und Treue gestaltete sich als rundum vergnügliches und spannendes, wenn auch recht komplexes und verwirrendes Drama, das vor allem aufgrund der musikalischen und darstellerischen Leistungen von Ensemble und Orchester punkten konnte.

Allen voran das in kleiner Besetzung spielende Beethoven Orchester Bonn, das von Alte Musik-Spezialistin Dorothee Oberlinger ,die zwischendurch auch mal zur Blockflöte greift, mit großer Durchschlagskraft regelrecht durch den Abend getrieben wurde. Man hörte den Musikerinnen und Musikern an, dass sie Erfahrung mit Alter Musik haben, so lebendig, frisch und packend, wie sie spielten. Das zeigte sich zum einen ganz allgemein im Schwung, mit dem sie sich von Oberlinger durch den Abend tragen ließen, zum anderen aber auch an schöner Detailarbeit, wenn etwa sauber und konsequent aber nicht penetrant abphrasiert wurde oder hier und da auch Kadenzen und Verzierungen eingebaut wurden. Auch das Zusammenspiel mit dem Ensemble auf der Bühne funktionierte bis auf ein paar wirklich haarige Koloraturen, bei denen Sänger weit weg vom Orchester positioniert waren, reibungslos.

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Eine blondgelockte Frau steht über einer liegenden Frau in Liftboy-Kleidung.

„Abendlicher Pluspunkt“: die überragende Marie Heeschen hier in einer Szene mit der klanglich für sich einnehmenden Nicole Wacker. Foto: Bettina Stöß

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Großer Pluspunkt an diesem Abend war die sängerische Besetzung, allen voran Marie Heeschen als Alcina. Sie zeigt darstellerisch überaus vielfältige Facetten ihrer Figur, von der lasziv die Treppe herunterspazierenden Femme fatale über den eiskalten Racheengel bis zum von allen verlassenen und ihrer Kräfte beraubten armen Würstchen. Sängerisch herausragend waren am Premierenabend auch Nicole Wacker als Oberto, die sich als ausgesprochen koloratursicher mit klangvoller Höhe und sauberem Timbre empfahl, und Anna Alàs i Jové, die die Bradamante ebenso quirlig wie energisch sang. Aber auch Gloria Rehm als Morgana, Stefan Sbonnik als Oronte und Pavel Kudinov als Melisso standen diesen außerordentlichen Leistungen in nichts nach.

Über die Inszenierung von Jens-Daniel Herzog kann man im besten Falle sagen, dass sie ebenso routiniert wie schnörkellos ist, auf vordergründige Knalleffekte verzichtet und das tut, was eine Inszenierung soll: das Geschehen dramaturgisch nachvollziehbar auf die Bühne bringen. Warum er dafür ein Art deco-Ambiente (Bühne: Mathis Neidhardt) nebst ebensolchen Kostümen (Sibylle Gädeke) gewählt hat, erschloss sich weniger, es störte aber auch nicht weiter. Ein kleines Tanzensemble sorgte für ein paar unterhaltsame Balletteinlagen (Choreografie: Ramses Sigl) und der Chor (Einstudierung: André Kellinghaus) sang ausgezeichnet, wenn auch mit einem für Barockmusik recht angefetteten Klang. 

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