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Ein Orchesterfestival wandelt auf Seitenpfaden

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Im zweiten Teil bespielte Young Euro Classic den Berliner Admiralspalast
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Wegen Umbauarbeiten im Konzerthaus Berlin musste das Festival Young Euro Classic in diesem Sommer an andere Orte ausweichen, unter anderem in den Admiralspalast, einem Haus mit wechselvoller Geschichte, das sich wegen seiner trockenen Akustik wenig für Orchestermusik eignet. Die Veranstalter holten deshalb nur vier Jugendorchester in diesen Saal und boten ansons­ten eine bunte Folge kleiner besetzter Mischformen. Das Festival gewann dadurch an Farbe, verlor aber an Profil.

Beim Auftakt mit dem Joven Orquestra Nacional de España erwies sich die Akustik jedoch als weniger heikel als befürchtet, denn mit Hilfsmitteln an Decke und Boden war inzwischen der Raumklang behutsam verbessert worden. Während beim Joven Orquestra die Altersgrenze bei 23 Jahren liegt, sind die Mitglieder des Bundesjugendorchesters deutlich jünger. Umso mehr erstaunte, was diese höchstens 19 Jahre alten Jugendlichen leisteten. So brillierten die meist weiblichen Streicher mit sauberen Filigranfiguren bei Mendelssohns „Som­mernachtstraum“-Ouver­türe. Zart verträumte Lieder von Alma Mahler-Werfel, von Jorma Panula farbig orchestriert, sang kongenial die Mezzosopranistin Stella Doufexis. Wesentlich dem souveränen Dirigat von Markus Stenz verdankte sich die verblüffend reife Leistung der jungen Musikerinnen und Musiker, die nach der Pause bei Bruckners 4. Symphonie über eine Stunde lang die Spannung hielten und auch heikle Übergänge meis­terten.

Die Junge Deutsche Philharmonie, wie das Bundesjugendorchester ein Stammgast des Festivals, bot zu ihrem 40-jährigen Bestehen sogar drei ungewöhnliche Programme. Zur Erinnerung an den Kriegsbeginn 1914 wurde das legendäre „Watschenkonzert“ vom 31. März 1913 rekonstruiert, bei dem im Großen Musikvereinssaal Wien Werke der Schönberg-Schule zu einem Konzertskandal geführt hatten. Zwei Schauspieler zitierten dazwischen das Pro und Contra zeitgenössischer, heute kurios wirkender Pressestimmen.

Schönberg reagierte auf die Wiener Konzertskandale mit der Gründung des Vereins für musikalische Privataufführungen. Die Presse war dort nicht mehr zugelassen, die Programme wurden nicht angekündigt und jegliche Publikumsreaktionen verboten. Einen Gegenpol zu dieser Entmündigung der Zuhörer bildete am Nachmittag ein „Composer Slam“, bei der sechs neue Kompositionen vom Publikum bewertet wurden. Der junge Geiger Simon Kluth hatte diese Art des Komponistenwettstreits aus den bewährten Poetry Slams hergeleitet, bei denen Lautstärke und Länge des Beifalls über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Während dort aber die Urheber selbst ihre Schöpfungen vortragen, durften die Komponisten ihre Werke nur mit wenigen Sätzen kommentieren. Brigitta Muntendorf, Klaus Ospald, Aziza Sadikova und Stefan Wirth hatten so kaum Chancen zu angemessener Würdigung, während Marko Nikodijevic mit seiner pulsierend flächigen Techno-Klangmontage „grid/index“ spontanen Beifall erhielt. Den meisten Zuspruch erhielt Benjamin Scheuer, der in seinen „Überzeichnungen II–VII“ die Form des Composer Slam selbst aufgegriffen und ironisiert hatte. Allerdings verlor dieses Stück bei der Wiederholung rasch an Witz. Sollten Composer Slams eine Zukunft haben, so müssten sie seriöser aufgezogen werden und den Komponisten mehr Mitwirkungsmöglichkeiten geben.

Die Absicht der Jungen Deutschen Philharmonie, Neue Musik einem breiteren Publikum zu vermitteln, verdient Respekt. Muss dies jedoch mit einer locker-flockigen Moderation verbunden sein, wie sie dann auch beim Konzert am Abend zu erleben war? Das Programm, das unter der kompetenten Leitung von Michael Wendeberg Werke von Schönberg, Emmanuel Nunes und Mozart beziehungslos nebeneinanderstellte, geriet dadurch noch mehr in die Nähe des Oberflächlichen und Unverbindlichen. Wegen technischer Probleme entfiel die vorgesehene Wiederholung des beim Composer Slam preisgekrönten Werks.

Auf die wagemutigen Programme der Jungen Deutschen Philharmonie folgten fünf Tage ganz ohne Orchester. Angesichts der Akustik-Bedingungen des Admiralpalasts huldigte das von Dieter Rexroth betreute Programm der Tanz- und Operetten-Tradition dieses Hauses. So gastierte das erst 2011 gegründete Bundesjugendballett zum vierten Mal bei Young Euro Classic.

Danach kam es unter dem Motto „Liebe in der Ming-Dynastie und der Ära Medici“ zu einem spannenden Vergleich zweier Kulturen des frühen 17. Jahrhunderts in Europa und China. Während das Frankfurter Vokalensemble Teatro del Mondo homogen gesungene Renaissance-Madrigale locker mit einer Handlung verknüpfte, bot das Suzhou Kunqu Ensemble, eine der berühmtesten Compagnien Chinas, mit drei Schauspielern und fünf Musikern Ausschnitte aus der 19-stündigen Oper „Der Päonien-Pavillon“. Schon kleine Gesten zeigten hier die Emanzipation einer streng bewachten Gouverneurstochter.

Eher zur Tradition des Admiralspalasts passte die Broadway-Operette „Die stumme Serenade“, die Erich Wolfgang Korngold 1946 im amerikanischen Exil vollendete. Als ein Werk zwischen den Genres stieß sie 1954 bei der Dortmunder Uraufführung auf gespaltene Reaktionen und wurde erst 2007 in München wiederentdeckt. Nun war sie als sehens- und hörenswerte Produktion zweier niederländischer Jugendensembles, der NJO Sinfonietta und der Dutch National Opera Academy, zu erleben. Zu der vergnüglichen Handlung mit einem überraschenden Happy-End gehört die Figur eines Ministerpräsidenten, der hinter einem riesigen Schreibtisch dem Diktator aus Chaplins Hitler-Film glich. Die jetzt in der deutschen Originalfassung gesungene Operette ist vor allem wegen ihrer eingängigen Musik, die mit nur acht Instrumentalisten Broadway-Elemente elegant mit ironischen Märschen und dem Konversationston von Richard Strauss verknüpft, eine Wiederentdeckung wert.

Wie üblich wurde am letzten Festivaltag der Europäische Komponistenpreis verliehen, den eine Publikumsjury aus allen dort uraufgeführten Kompositionen ausgewählt hatte. In diesem Jahr ging der Preis an die usbekische Künstlerin Aziza Sadikova für ihr Werk „Brief Scherben“, das beim Composer Slam ausgeschieden war. Inspiriert vom Tagebuch des russischen Avantgardisten Daniil Charms bringen dabei sirrende Signale und nervöse Pizzicati Angst und Verzweiflung zum Ausdruck. Das passte zur 5. Symphonie von Dmitri Schostakowitsch aus den Jahren des stalinistischen Terrors, die den Abschluss des Festivals bildete. Michael Sanderling, der 2013 mit dem Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar die 6. Symphonie von Schostakowitsch geleitet hatte, dirigierte jetzt das Schleswig-Holstein Fes­tival Orchester. Nach den Tagen mit diverser Kleinkunst kehrte Young Euro Classic damit wieder zu seinem Kernbereich, der großen Orchestermusik, zurück. In dieser doppelbödig mit gespaltener Zunge redenden Symphonie gelang den aus vielen Nationen stammenden Musikern dynamisch differenziert der große Spannungsbogen zwischen Verzweiflung, Trost und scheinbarem Jubel.

Insgesamt kann die Festival-Bilanz sich sehen lassen, denn trotz der Orts- und Terminwechsel waren fast alle Abende interessant und gut besucht. Dass dabei der Anteil jugendlicher Hörer schrumpfte, mag auch an den erhöhten Kartenpreisen gelegen haben. Im nächsten Jahr wird sich Young Euro Classic jedenfalls im Konzerthaus wieder stärker auf Jugendorchester konzentrieren.
 

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