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Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin mit George Benjamin. Foto: Kai Bienert
Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin mit George Benjamin. Foto: Kai Bienert
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Ein Repertoire der Moderne auf engstem Raum

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Zum Festival UltraSchall für Neue Musik Berlin 2005
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Das UltraSchall-Festival für Neue Musik in Berlin, ausgerichtet vom DeutschlandRadio Berlin und dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), hielt „neugierige Zeitgenossen mit offenen Ohren“ in Bewegung. Klangliche Projektionen turbulenten und schwindelnd zeitgenössischen Denkens zogen in ihren aktuellen Bann. Zwei Orchester-Konzerte, vier Gesprächsrunden mit Komponist/-inn/-en, zwei Musiktheater Projekte, eine Klanggalerie, Porträt-, Kammerkonzerte und Kammermusik – insgesamt 24 Veranstaltungen in zehn Tagen – hielten auch im Wechsel der Locations auf Trab: von den Sendesälen des rbb, den multimedialen neuen Studioräumen im Schinkelschen Konzerthaus bis zu den Sofiensälen/Berlin Mitte mit ihrem morbiden Charme.

Seit seiner Gründung 1999 hat UltraSchall sich zu einem wichtigen Ort für Neue Musik in Deutschland etabliert. Die Draht- zieher Rainer Pöllmann (DeutschlandRadio Berlin) und Martin Demmler (rbb) bündeln Werke, die ihre Uraufführung in den letzten zehn Jahren hatten, mit Klassikern der Avantgarde zu einem inhaltlich aussagefähigen Programm. Einerseits bildet sich dadurch ein Repertoire der Moderne, andererseits stellen Wiederaufführungen die Werke – durch neuen Kontext – auch in anderes Licht. Dies weist gelegentlich auf Entwicklungstendenzen hin, stellt aber weniger exlaborierte Ton-Schöpfungen durch (un-)beabsichtigte Konfrontation auch mal in den Schatten. Gleichwohl fanden heuer zwanzig Uraufführungen statt.

Die bestens disponierten Stuttgarter Neuen Vocalsolisten faszinierten mit ihrer packenden wie sprühenden Bühnenpräsenz: „Musik für imaginäres Theater“ ließ nicht nur aufhorchen, sondern auch zusehen. Gestische Züge charakterisieren die Musik und die Darstellungen affektiver Zustände suggerieren theatralische Handlung. Bemerkenswert die ausgereifte Mischung von Inhalt, Ausdruck und Form, in „was fliehen Hase und Igel…“, in der eine Bäuerin spöttisch ihr eigenes Begräbnis erzählt (Text: Einar Schleef). Der junge Russe Sergej Newski fand seine überzeugende Klangsprache von melodramatisch bis ironisch, die unbedingt neben „A-Ronne“ von Luciano Berio Bestand hat. Diese spät von Berio autorisierte Version, ohne steinzeitliche live Elektronik von 1974, ist so hinreißend wie verblüffend. Obwohl der Text sich 20-mal wiederholt, fächern sich Gefühlswelten von A bis Z in Miniaturdramen auf. Scheinbar aus der Improvisation gewonnen wirken dagegen die fünf (Sicht-)Weisen zur Situation: „he wants his cowboys to sound like how he thinks cowboys should sound“ von Jennifer Walshe rätselhaft stereotyp: durch Rhythmus der Gestik, emotionale Tendenzen, eindimensional und durch Lichtspots wie gezappt.

Ein eigenes Konzert porträtierte Walshe als Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Bravourös virtuos, in ungewohnter Stimmlage und neuartig melodiös interpretierte sie Schwitters Ursonate (1921) ebenso selbstverständlich wie ihre „natur data“, eine live Datenbank für circa 200 Tierlaute. „Merzmusik“ im 21. Jahrhundert! Mit heller Freude hätten vermutlich Schwitters und Walshe zusammen „gemerzt“, heute mit den Reminiszenzen der Pop-Kultur, alltäglichen Geräuschen (unrein und redundant bevorzugt) und um theatralische Sinngebung erweitert, bis hin zum Slapstick für Augen und Ohren: Fäden zerreißen, Deo sprühen, das Knistern eines Transistorradios, Salz rieselt auf Papier, so erzählt Walshe „weiblich“ (?) verhalten, an der Grenze des noch Hörbaren, was bei Mathias Spahlinger in „éphémère“ (1977)„veritable Instrumente“: Bierflaschen, Kochtöpfe, Nägel… krachend repräsentieren. Im Deutschen Herbst entstanden, als Befreiung des Klangs, mit weiterreichender ästhetischer Sinngebung und politischer Konnotation. Wer nicht aufmerkte, wurde unter Umständen gar mit Bonbons beschossen, als „der Klassenfeind“ gegenwärtig schien, „gesellschaftliche Relevanz“ nicht Worthülse, sondern Lebenshaltung bedeutete, die ihren Ausdruck aufspürte.

Bei Walshe ist eine verhalten stille Lust an Oberflächlichkeit, an der vieles abgleitet, wahrzunehmen. Ein Rückzug ins Leise und „Nicht-Entwickeln“, bis zum Spiel mit offenem Widersinn, wenn die Percussionistin Daunenkissen vorm Mikro ausschüttelt. Provokation oder Erneuerung des Hörens? Entledigt sich Musik nebenbei ihres ureigensten Ausdrucks, des Klangs?

Bemerkenswert aus dem Konzert zum reizvollen Thema „Erinnerung an die Revolution“ in der garantierten Qualität des ensemble recherche: Isabel Mundry „traces des moments“ – Spuren eines Moments im Raum – esonanz und Spiegelungen von Impulsen feinst ausgehört und durch die Klangfarbenpalette ausgereizt; Sebastian Clarens formales Experiment mit „Potemkin I: Baby-Baby“, indem er aus Sergej Eisensteins Filmikone „Panzerkreuzer Potemkin“ die Schnittfolgen, Kameraeinstellungen in entsprechende Intensitätsgrade auf musikalische Parameter übertrug. Zwanzig Minuten konzertante spannende Erzählung, die den Film nicht dupliziert oder kommentiert, gleichwohl sie unterlegt werden könnte. In ähnlicher Analyse übertragen, wirkte Clarens „Charms: Dub“ (UA) indessen amorph, obgleich das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Lucas Vis im sinfonischen Schlusskonzert alles gab. Ergreifend spielten sie die pralle Vitalität und Klangphantasie der Neufassung „On the other side“ von Adriana Hölszky. Das Orchester und die drei Solisten, gleichwertig balanciert, generierten in der Qualität der Bewegung einen Klang, dessen Ordnung der Tonhöhen im Raum und nicht im Rhythmus anzusetzen schienen, quasi holographisch. Im verhaltenen Eröffnungskonzert des Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, es dirigierte George Benjamin ließ die Uraufführung von James Olsens „Quiet enjoyment“ aufhorchen: Beharrlich abgerissener Melodiefluss webt unter flächigen Strukturen, verschiebt sich permanent und mutiert bis zur Unkenntlichkeit.

Die„szenische Erzählung mit Musik“ St. Jago, als Referenz zum nahenden 75.Geburtstag von Dieter Schnebel, legt im Libretto Biografie und Werk Kleists zu Grunde, eine fragwürdige Verknüpfung. Die szenische Deklamation des Kleistschen Sprachverlaufs, ohnehin schwierig zu handhaben, ließ in Schwarz-weiß-Stilisierung und strenger 1:1-Inszenierung durch Cornelia Heger eigene bildreiche Phantasie vermissen. Eine Qualität, die das Raumschiff „Kommander Kobayashi“ der Gemeinschafts-Opernsaga von Moritz Eggert, Helmuth Oehring und Jennifer Walshe im Übermaß aufwies.

Ein Zoomen auf die „Suche nach einer Mission als eigentliche Mission“ hätte der Odyssee inhaltlich und dramaturgisch mehr Tiefe verliehen.

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