An Musikfestivals mangelt es in Mitteleuropa eigentlich nicht, das gilt pauschal auch für Neue Musik. Da könnte sogar der Gedanke aufkommen, das eine oder andere einzusparen, wenn’s eng wird im Etat, wenn das Konzept oder die Umsetzung schwächelt… Größere Sorgen allerdings können Projekte bereiten, die trotz überzeugendem Konzept sowie wiederholt nachgewiesenem Erfolg um ihre Zukunft bangen müssen, weil die Finanzierung Jahr für Jahr in Frage steht und Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln häufig erst bewilligt werden, wenn Akteure wie Veranstaltungsstätten längst feststehen, ja vertraglich gesichert sein müssten und die Ankündigungen schon verbreitet sein sollten.
Das alles trifft zu beim IMPULS Festival für Neue Musik Sachsen-Anhalt, wo in den vergangenen Wochen die Sorge um den 11. Jahrgang 2018 zumindest intern die Freude über das Gelingen des ersten runden Jubiläums überschattete. Dabei kann das Land gerade auf dieses in mancher Hinsicht maßgeschneiderte Festival stolz sein: Von Beginn an gelang es dem Initiator und Intendanten Hans Rotman, sämtliche Orchester Sachsen Anhalts – die größeren in Halle, Magdeburg und Dessau ebenso wie die kleineren in Wernigerode, Halberstadt/Quedlinburg und Schönebeck – einzubeziehen, dazu kamen Chor und Orchester des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR). Auch in Städten ohne eigenes Ensemble haben Veranstaltungen stattgefunden, so in Stendal, Eisleben oder Köthen, selbst jenseits der Landesgrenzen, so dieses Mal in Leipzig und Berlin, präsentiert sich IMPULS mit „Satelliten-Konzerten“.
Die bunte Vielfalt dieses Festivals liegt dabei längst nicht nur in seiner geografischen Ausdehnung, verbunden mit einer Vielzahl von – teils ungewöhnlichen – Spielstätten. Auch vom „normalen“ Konzertschema abweichende Formate wurden ausprobiert, im Erfolgsfall dann beibehalten. Dazu zählten in diesem Jahr die Abschlusskonzerte der Masterclasses für junge Komponisten mit dem ebenfalls jungen Zafraan Ensemble sowie für junge Dirigenten aus fünf Ländern mit der gleichermaßen engagiert musizierenden Anhaltischen Philharmonie Dessau. Beiden Veranstaltungen mit Workshop-Charakter, musikalisch auf hohem Niveau und verständnisfördernd moderiert vom IMPULS-Chef wie von den offenkundig sehr geschickten Mentoren, Annette Schlünz für die fünf Jungkomponisten, dem Dessauer GMD Markus L. Frank für die Nachwuchs-Dirigenten, wäre in der bestens geeigneten Aula des Dessauer „Bauhaus“ allerdings eine größere Zuhörerschaft zu wünschen gewesen. Die aus einer Vielzahl von Bewerbern ausgewählten Teilnehmer beider Masterclasses haben jedenfalls, das war erkennbar, erheblich profitiert.
Größerer Publikumszuspruch ist freilich den IMPULS-Konzerten sicher, die zugleich in die Abonnementsreihen der Orchester eingebunden sind, wo Werke Neuer Musik, darunter Uraufführungen von Auftragskompositionen des Festivals, kombiniert werden mit Klassikern der Moderne wie Strawinsky, Bartok, Bernstein oder Ligeti; die nämlich sind in den Programmen der mittleren und kleineren Orchester selten anzutreffen, wenn sie Besetzungen und Proben über das knappe Normalmaß hinaus erfordern. Ein besonders gelungenes Beispiel dafür war jetzt beim 3. Sinfoniekonzert der Magdeburgischen Philharmonie zu erleben: Die 1. Sinfonie „At the Edge of the World“ des Belgiers Wim Henderickx (geb. 1962), vom Komponisten in der Einführung als “Hybrides Werk von Symphonik und Programm-Musik” bezeichnet, umfasst fünf Sätze von sehr unterschiedlicher Farbigkeit, in teils geradezu überbordender Instrumentierung inklusive Waterphone, Kieselsteinen und großer Glocke; das „unglaublich schwere Stück“, wie Hans Rotman, hier in der Rolle des Dirigenten, verriet, erweist sich als faszinierendes Klang-Kaleidoskop. – Die sich anschließenden „Les danses imaginaires“, fünf Tänze für zwei Orchestergruppen des in Sachsen-Anhalt beheimateten Thomas Buchholz (geb. 1961), komponiert im Gedenken an Olivier Messiaen zu dessen 100. Geburtstag 2008 für das erste IMPULS-Festival und seitdem verschiedentlich im In- und Ausland aufgeführt, beziehen ihre Attraktivität aus dem pointierten Dialog der zwei Orchester, die, einander gegenüber plaziert, von zwei Dirigenten angefeuert werden, hier von Hans Rotman und GMD Kimbo Ishii in völligem Einvernehmen bis zum Hand in Hand geschlagenen Schlussakkord. Zu den beiden gleichermaßen fünfsätzig-kurzweiligen Werken des 21. Jahrhunderts fügt sich Bela Bartoks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ von 1936 perfekt im Hinblick auf die Besetzung wie auch die kompositorische Struktur einer symphonischen Suite, sicher beherrscht von den Magdeburgern, nun unter ihrem Chef Kimbo Ishii.
Pünktlich zum 500. Reformationsjubiläum war in Sachsen-Anhalts nicht einmal heimlicher Kulturhauptstadt Halle im Rahmen von IMPULS die Uraufführung eines „Luther“-Oratoriums zu erleben (siehe Bericht von Roland H. Dippel), das in großer Besetzung mit sieben Gesangssolisten, Chor und Staatskapelle Halle unter der souveränen Leitung von Michael Wendeberg Persönlichkeit und Werk des Reformators, einschließlich seiner folgenschweren Irrtümer, in acht Szenen aus den Jahren 1517-29 darstellen will. Sowohl das Libretto von Christoph Hein als auch die Komposition des aus Buenos Aires gebürtigen Oscar Strasnoy (geb. 1970) haben je für sich Qualität; das Problem besteht allerdings in deren Verbindung, darin, dass die frei- bis a-tonale Musik, reichlich versehen mit großen Intervallen, die Sänger die üppigen, teils lateinischen Texte kaum verständlich darstellen lässt und der Hörer andererseits im Bemühen, die rasch wechselnden Textsequenzen auf der Projektionsfläche zu verfolgen, vom Klanggeschehen abgelenkt wird. Bei einem 80-minütigen Werk ohne Pause fällt dieses Problem erheblich ins Gewicht, es wäre bei Abdruck der Texte im Programmheft zu mildern gewesen.
Ebenfalls mit einer gewichtigen Uraufführung in Halle war das Jubiläums-Festival bereits eröffnet worden, mit einem Werk, das gleichfalls historische, zudem noch zeitgeschichtliche Bezüge aufweist: „Spiel im Sand“ setzt das Kriegsgeschehen im Irak zu Beginn dieses Jahrhunderts und dessen Folgen in vergleichende Beziehung zum Spanischen Bürgerkrieg 1936, allerdings in historisch umgekehrter Reihenfolge. Handelt es sich bei der Szenenfolge des ersten Teils vor allem um Sprechtheater, gemischt auf Arabisch, Englisch und Deutsch, mit perkussivem Hintergrund, gestaltet von der jungen Komponistin Leyan Zhang, so stammt die Musik des kammeropernhaften zweiten Teils von Hans Rotman, der IMPULS von Anfang an als Intendant gesteuert hat, dabei nicht selten auch als erfahrener Dirigent und gewandter Moderator in Erscheinung trat und nun seine kompositorische Kompetenz unter Beweis stellt. Auch wenn es nicht immer leicht fällt, den roten Faden im bunten spielerischen wie musikalischen Geschehen zu verfolgen, so überzeugt dieses Spiel allein schon durch die Leistung des internationalen, ja interkulturellen jungen Ensembles auf der Raumbühne der Oper Halle.
Fazit des Jubiläums wie von zehn Jahren IMPULS: Das Festival in Sachsen-Anhalt, initiiert von dem Niederländer Hans Rotman unter der Devise „Neue Musik lekker machen“, hat längst einen festen Platz im Kulturkalender Mitteldeutschlands, mit Resonanz und künstlerischen Verbindungen weit über die Landesgrenzen hinaus. Bedauerlich ist, dass die Reihe der besonders profilierten Jugendprojekte im Rahmen des Festivals mit deren Leiterin Almut Fischer inzwischen verloren gegangen ist. Diese Lücke sollte wieder geschlossen werden, denn der Aufruf, Musik von Niveau insbesondere für die nachwachsende Generation „lekker“ zu machen, ist so aktuell wie eh und je. Und so wendet sich Rotmans diesjähriges IMPULS-Motto nicht zuletzt an ihn selbst: „Volharding“ – zu deutsch: Dranbleiben!