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Vom Erstellen einer höheren Ordnung: Die Geigerin Carolin Widmann sortiert und interpretiert die drei Soloetüden ihres Bruders Jörg. Fotos: Juan Martin Koch
Vom Erstellen einer höheren Ordnung: Die Geigerin Carolin Widmann sortiert und interpretiert die drei Soloetüden ihres Bruders Jörg. Fotos: Juan Martin Koch
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Ein Widerhall Schuberts schwingt sich empor ins Heute

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Neues von Widmann, Reimann und Rihm zum Abschluss der Widmann-Trilogie im Heidelberger Frühling
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Acht Personen suchen einen Sonatensatz: Jörg Widmanns Oktett in der Schubert’schen Besetzung hebt mit dem entsprechenden Unisono an und erkundet von da an, welche Ausdrucksmöglichkeiten in der Tonalität und an deren Rändern noch aufgehoben sein könnten. Und setzt hinter die Ergebnisse Fragezeichen.

Im ersten Satz folgt der langsamen Einleitung lediglich ein Sonatensatztorso; im zweiten wird ein Scherzosignal kurz zerzaust; im dritten reichen vereinzelte Kantilenen einander über die Stimmen verteilt die Hand, einigen sich auf eine Art Fin-de-siècle-Abgesang, der aber wieder ins Desolate zerbirst; vor den aus kontrapunktischer Verzweigung herausgezwungenen Finalgestus ist ein volkstümelnder Tanzsatz als Intermezzo geschoben. Eine kluge, nostalgiefreie Auseinandersetzung mit der Tradition ist Widmann hier gelungen, die im Kontrast mit seiner vor unerhörter Klangfantasie schier berstenden und doch dramaturgisch so präzis gebauten „Hallstudie“ nur umso stärker wirkte.

Eine Nacht der Gegensätze war es wahrlich, die Widmann ins Zentrum seines Kammermusikwochenendes im Rahmen des Heidelberger Frühlings gestellt hatte. Auf Weberns Liedminiaturen op. 18 folgte sein spätromantisch ausladendes Klavierquintett C-Dur, Aribert Reimanns konzentrierter Hölderlin-Canzona „Singen möchte ich von Dir“ war dessen behutsamer Mendelssohn-Kommentar „…oder soll es Tod bedeuten“ gegenübergestellt, beides von Julie Kaufmanns vokaler Finesse und Emphase erfüllt. Hans Pfitzners wie aus einer anderen Welt hereintönendes Sextett von 1945 schließlich wurde Prokoffiefs Ouvertüre über hebräische Themen überraschend nahe gerückt.

Eine kluge Programmplanung, herausragende Werke, mit Hingabe und Kompetenz gespielt von einem hörbar aufeinander eingeschworenen Kreis jüngerer Interpreten: Widmanns Konzept für den Abschluss seiner Heidelberger Trilogie war unmittelbar einleuchtend und bedurfte weder eines an den Haaren herbeigezogenen Mottos noch einer wortreichen Vermittlung, auch wenn Widmanns enthusiastische Einführung so informativ wie sympathisch war. Hier sprach eine Musik für sich, die einfach nur auf höchstem Niveau interpretiert werden muss, um ein interessiertes Publikum zu erreichen. Leos Janáceks Concertino etwa, ein zwischen Kammermusikaskese und konzertanter Klavierbrillanz changierendes, hochoriginelles Werk (die wunderbare Irene Russo zeigte hier, dass sie sich nicht nur auf Widmanns pianistische Klopfzeichen versteht). Oder Janáceks Violinsonate, die Carolin Widmann mit glühender Intensität jenseits geigerischen Oberflächenglanzes auflud.

Sie war es auch, die das Notenmaterial für die drei Soloetüden ihres Bruders erst von links nach rechts auf zahllosen Ständern verteilte, um diese dann in entgegen gesetzter Richtung ohne Pause zu bespielen; eine sinnfällige Dramaturgie, sind Widmanns Etüden doch, der Entstehungsdaten zum Trotz, miteinander verzahnt. Wie die Geigerin diesen Weg vom Fragmenthaften der ersten, über den kantablen Gestus der zweiten hin zur Atemlosigkeit der dritten Studie mit manueller Souveränität und gestalterischer Weitsicht absolvierte, war atemberaubend. Hier wächst ein Zyklus heran, den man eines Tages vielleicht Ligetis Klavieretüden an die Seite wird stellen können (siehe auch die CD-Besprechung auf S. 42).

Auch an Uraufführungen waren diese beiden unerhört dichten, aber nie überladenen Heidelberger Tage reich. Aus der Komponistenwerkstatt stachen Maria Bulgakovas konzentriertes Klarinettentrio und Johannes Motschmanns Quintett heraus (das Minguet Quartett ging auf dieses neue Werk ebenso kompetent und engagiert ein wie auf Wolfgang Rihms „Quartettstudie“ von 2004). Der Rihm-Schüler lässt die Klarinette zwischen den Klang- und Formenwelten der drei Streicher auf der einen und des Klaviers auf der anderen Seite vermitteln, bis diese sich auf ein postromantisches, am Ende freilich wieder auseinanderbrechendes Idyll einigen.

Mit phasenweise fast Strauss’scher Opulenz und präzisem Textbezug vertonte Rihm selbst in „Das Namenlose“ zwei Musil-Gedichte, wobei die Klarinette sich immer wieder melismatisch aus der klavierbegleiteten Gesangslinie herauslöst. Aribert Reimann, dessen 70. Geburtstag das Abschlusskonzert gewidmet war, wob in „ni una sombra“ ein Rückert- und ein Porchia-Gedicht durch eine glasklare Struktur aus immer wieder neu besetzten Interludien mit kunstvoller Strenge in-einander. Die Besetzung Sopran, Klavier und Klarinette stellte er – im Gegensatz zum gleichfalls anwesenden Rihm – als etwas von außen Gesetztes in den Fokus, ohne dass die Form in bloße Konstruktion umschlug.

Widmann selbst hat für diese Besetzung vor einem Jahr seine bemerkenswerten „Sphinxensprüche und Rätselkanons“ geschrieben, in denen die Strenge der Selbstbeschränkung im Kanonischen von kryptischen Gesten und Aktionen ins quasi Theatrale transformiert wird. Ein ebenso intelligentes wie sinnlich unterhaltsames Stück Musik. In Schuberts „Hirt auf dem Felsen“, dem Referenzpunkt dieser neuen Werke – erneut mit der überragenden Sopranistin Mojca Erdmann, Widmanns sprechend tönender Klarinette und Axel Baunis famosem Klavierspiel – rundete sich dieses außergewöhnliche Festival.

Der Heidelberger Frühling sollte zusehen, wie er Widmann als Interpreten, Komponisten und Programmplaner weiter an sich binden kann. Etwas Kostbares ist hier entstanden, das nach Fortsetzung, nach Kontinuität verlangt.

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