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„Der König Kandaules“. Kay Stiefermann (Gyges), Tilmann Unger (König Kandaules), KS Iordanka Derilova (Nyssia), Statisterie des Anhaltischen Theaters. Foto: © Claudia Heysel
„Der König Kandaules“. Kay Stiefermann (Gyges), Tilmann Unger (König Kandaules), KS Iordanka Derilova (Nyssia), Statisterie des Anhaltischen Theaters. Foto: © Claudia Heysel
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Ein Wunder! – Alexander Zemlinskys Oper „Der König Kandaules“

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„Das Wunder der Dessauer Reanimierung dieser Oper Alexander Zemlinskys war mehr noch als die einleuchtende Inszenierung die Umsetzung der farbenreichen, geradezu exotisch instrumentierten und subtil gesetzten Musik Zemlinskys“, befindet unser Kritiker Dieter David Scholz.

Mitte der 30er Jahre begann Alexander Zemlinsky mit der Komposition seiner Oper „Der König Kandaules“ als groß angelegte Komposition, die alle musikalischen Möglichkeiten ihrer Zeit nutzt. Das Libretto stammt vom Komponisten selbst und ist eine Adaption von André Gides Drama „Le Roi Candaule“. Die Komposition blieb zunächst unvollendet. Sie wurde erst im November 1993 von Anthony Beaumont fertiggestellt und in dieser Fassung am 6. Oktober 1996 in Hamburg uraufgeführt. Es folgten Aufführungen in Wien, bei den Salzburger Festspielen, am Teatro Colón in Buenos Aires, in Liège, Amsterdam, Kaiserslautern, Bielefeld, Palermo und Augsburg. Am 25. Oktober 2023 kam diese letzte Oper Zemlinskys im Rahmen des Kurt Weill Festes auch am Landestheater Dessau heraus.

Es ist ein Skandalstück und ein Frauenstück. Die Geschichte ist ein schon bei Herodot erwähnter antiker Sagenstoff. Der Mythos des Königs Kandaules wurde bereits 1844 von Théophile Gautier in der Novelle „Le Roi Candaule“ sowie 1854 von Friedrich Hebbel in dem Drama „Gyges und sein Ring“ verarbeitet. 1899 schuf André Gide sein Schauspiel „Le roi Candaule“, das 1901 in Paris uraufgeführt und 1905 von Franz Blei ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Fassung wurde erstmals im Januar 1906 am Deutschen Volkstheater in Wien aufgeführt. Sie war kein großer Erfolg und erlebte nur drei Vorstellungen. Eine 1908 in Berlin aufgeführte Inszenierung wurde bei der Premiere ausgepfiffen. Von den Nationalsozialisten wurde Gides Werk wegen angeblicher kommunistischen Tendenzen verboten.

Es ist ein schockierender Stoff aus der Antike, mit allem was dazu gehört: Liebe, Reichtum, Macht und Schönheit. Aber auch mit Gewalt, Sex und Mord. Er ist angesiedelt in einer brutalen Männerwelt, in der Frauen Gebrauchs-Gegenstände sind, nichts weiter als Objekte sexueller Begierde. Doch das Drama ist ambivalent, es folgt dem zu Beginn gestellten Motto: „Der sein Glück hält, soll sich gut verstecken! Und besser noch, sein Glück vor andern.“ Ein Mann, der alles hat, will einen anderen, der fast nichts besitzt, an seinem Glück teilhaben lassen. Eben das erweist sich als fatal.

Ein armer Fischer lebt mit seiner Frau in der Nähe eines Königs. Dieser feiert ein Fest, auf dem sich die scheue Königin ausnahmsweise in ihrer außergewöhnlichen Schönheit zeigen soll, denn der König will sein Glück teilen.

Die Frau des Fischers kocht für die Gesellschaft einen Fisch, den ihr Mann gefangen hat. Im Fleisch des Ringes findet sich ein Ring mit der rätselhaften Inschrift: „Ich verberge das Glück“. Der König lässt daraufhin den Fischer an den Hof rufen. Dabei erfährt der Fischer von einem Höfling, dass seine Frau ihn betrügt. Daraufhin tötet er sie, da er sie mit niemanden teilen möchte.

Das Rätsel des Ringes offenbart sich: Er macht denjenigen, der ihn trägt unsichtbar. Der König bietet dem Fischer an, mit Hilfe dieses Ringes seine Frau abends ungeniert beobachten und dann noch die Nacht mit ihr verbringen zu können, ohne dass sie etwas davon bemerkt. Am nächsten Morgen plagen den Fischer Schuldgefühle und er gesteht der Königin die Wahrheit über die vergangene Nacht. Diese verlangt daraufhin, dass er den König tötet. Nachdem er das getan hat, wird er von ihr zum König ernannt.

Es ist eine archaische, brutale Handlung voller Andeutungen und Anspielungen (nicht zuletzt an Wagners „Ring des Nibelungen“. Psychologie und Erotik des Fin de siècle lassen grüßen). Die beiden zentralen Bühnenfiguren, König Kandaules und der Fischer Gyges, könnten gegensätzlicher nicht sein: Der König lebt im Überfluss und sucht nach Sinn seines Lebens; der Fischer fristet ein Dasein am Existenzminimum und bezieht seine Kraft aus engen Moral- und Ehrvorstellungen.

Kandaules will sein Glück und seine schöne Frau, auf die er so stolz ist, teilen. Er braucht Beifall und Bewunderung, er muss sein Glück geradezu exhibitionistisch mit Gyges teilen. Er wird daran zugrunde gehen. Gyges plagt das Gewissen und er gesteht der Königin, in die er sich verliebt hat, den Betrug. Die tief in ihrer Würde gekränkte Nyssia löst sich aus ihrer Rolle eines reinen Männer-Schmucks und ergreift auf ihre Art das Ruder, um ihre Ehre wiederherzustellen und nicht weiter nur Objekt erotischer Begierde zu sein.

Regisseur Jakob Peters-Messer hat den Kern des Geschehens in seiner klugen und sensiblen Inszenierung herausgearbeitet: Den Kampf zwischen Mann und Frau, Matriarchat und Patriarchat. Königin Nyssia zeigt er als Symbol der unterdrückten, benutzten Frau in einer rüden Männerwelt, die sie ihrer Würde beraubt und versklavt. Gyges ist für sie und ihre Sklavinnen (Geschlechtsgenossinnen) Katalysator und Anlass, den Schleier abzuwerfen und alle anwesenden Männer des Hofes (ausgenommen Gyges, den sie als neuen König inthronisiert) zu töten. Das ist die Rache der Frau am Mann, der Unterdrückten an den Unterdrückern. Ein Frauenstück und ein Sozialdrama

Mit sinnigen Beleuchtungswechseln, Feuer- und anderen magisch anmutenden Videoprojektionen und einer simplen hölzernen Bühnendekoration mitsamt variablen weißen Wänden (Bühne, Lichtdesign Video: Guido Petzold) gelingt es Peters-Messer, Innen- und Außenräume, aber auch Seelen- und erotische Räume anzudeuten. Studioatmosphäre verweist darauf, dass hier erotische Modelle, Frauen als erotische Objekte präsentiert werden. Vor großer Windmaschine (aus Johannes Felsensteins „Holländer“-Inszenierung entliehen) und im Bühnenqualm wehenden Schleiern verortet er dieses traumhaft schillernde Sex- and Crime-Drama von Arm und Reich, Überfluss und Existenznot, Prunksucht und Großzügigkeit, Sinnsuche und Sinnlosigkeit zu entfalten. Es wird von seiner feinen Personenregie streng aber einleuchtend vorgeführt. Über die silbrig schwarzen Bühnenkostüme, die zwischen Antike, Punk-Garderobe, Zirkuskostümen und Schlafanzügen oszillieren, kann man allerdings kontroverser Meinung sein.

Möglicherweise interessierte Zemlinsky der Stoff vor dem Hintergrund der Not des ständigen Veräußern-Müssens privatester Seelengüter, wie es der Künstlerberuf mit sich bringt, zumal als verfolgter Jude im Dritten Reich. Als der Komponist aufgrund seiner jüdischen Herkunft im Dezember 1938 vor den Nazis nach New York floh, war das Werk daher noch nicht fertiggestellt. Da im zweiten Akt eine kurze Nacktszene vorgesehen war und der damalige Chefdirigent der Metropolitan Opera und seit längerem ein guter Bekannter Zemlinskys ihm zu verstehen gab, dass dies in den USA unaufführbar sei, gab Zemlinsky die Arbeit an der Oper auf.

Bereits wenige Jahre nach Zemlinskys Tod (1942) bemühte sich seine Witwe Louise um eine Fertigstellung der Partitur. Sie kontaktierte verschiedene Komponisten. Im Februar 1992 übernahm Antony Beaumont die Aufgabe der Fertigstellung anhand der vorhandenen Fragmente und Notizen. Am 14. November 1993 war die Arbeit abgeschlossen. Antony Beaumont war übrigens bei der Dessauer Neuinszenierung anwesend und zeigte sich als beredter wie bescheidener Musikologe.

Das Wunder der Dessauer Reanimierung dieser Oper war mehr noch als die einleuchtende Inszenierung die Umsetzung der farbenreichen, geradezu exotisch instrumentierten und subtil gesetzten Musik Zemlinskys. Die musikalische Leitung hatte GMD Markus L. Frank, der sich einmal mehr als großer Dirigent und als brillanter Interpret der zwischen Lehrtheater à la Kurt Weill und süffigem Psychothriller à la Strauss, Puccini, Schreker und Korngold schwankendem Werk zu erkennen gab.

Zemlinsky befleißigt sich ja einer prinzipiell tonalen, aber niemals epigonalen Tonsprache, auch wenn Alban Berg zuweilen grüßen lässt. Frank versteht es, die feinen psychologischen Qualitäten und Valeurs der Musik Zemlinskys zum Vorschein zu bringen: Ein schlagender Beweis dafür, dass die „traditionelle“, tonale Art des Komponierens in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts keineswegs zwangsläufig am Ende war! Zemlinsky ließ sich nie vom (damals) modischen Verfahren der „Zwölftonmusik“ verführen. Wie Frank insbesondere dem zweiten und dritten Akt Dramatik und Spannung zu verleihen weiß, frappiert. Das grandiose Orchesterzwischenspiel wird bei Frank zum mitreißenden, ja narkotisierenden Seelengemälde.

Mit Kay Stiefermann gewann man für Dessau einen fabelhaften Bariton (sowohl als Sänger wie als Sprecher) stimmlich sehr wohltönenden und immer wortverständlichen Gyges, der auch schauspielerisch beeindruckt. Nicht minder schonungslos agiert Robert Tilmann Unger darstellerisch als Kandaules, wenn auch tenorale Unschönheiten, gesangstechnische Mängel und grobe Wortunverständlichkeit seine sängerische Interpretation der ehrfurchtgebietend großen Partie beeinträchtigen. Iordanka Derilova als Kandaules-Gattin Nyssia beeindruck vor allem in der Schluss-Szene als desillusionierte Rächerin ihrer Tugend und als Femme fatale zu darstellerischer Größe. Sie hat vier hinreißende Kostüme zu tragen, ist ein kaum zu bändigendes, unschlagbares Bühnentier, stimmlich zweifellos imposant, doch Laustärke ist nicht alles. Herausragend aus dem Ensemble, das nichts zu wünschen übrig lässt, ist der Südafrikaner Musa Duke Nkuna als Syphax (einer der Höflings-Gäste des Kandaules), ein geradezu belkantisch strahlender, durchschlagskräftiger Tenor, der auf sich aufmerksam macht.

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