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v.l.n.r: Chantal Mathias, Lucas Hering, vorne Astrid von Feder, Laurence Gien. Foto: stage picture/Thomas M. Jauk
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Eine andere, eine querständige Mélisande

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Deutsche Erstaufführung: „Grisélidis“ – Massenet-Ausgrabung in Lübeck
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Auch dies, kaum begreiflich, gibt es also noch: die Deutsche Erstaufführung einer Oper von Jules Massenet, die zwar nicht zu seinen drei oder vier Chefs d’Oeuvrefs zählt, aber in den französischen Theatern und Plattenkatalogen gelegentlich doch immer wieder einmal auftaucht. Marc Adam, der aus dem Elsass stammende, in Kürze nach Bern wechselnde findige Leiter der Lübecker Bühnen, beendete seinen über Jahre gestreckten Massenet-Zyklus jetzt mit „Grisélidis“, der sehr französischen, eigenwilligen Metamorphose des alten Griselda-Mythos von der unerschütterlichen Gattenliebe und Treue, der schon etliche barocke Komponisten, unter ihnen Vivaldi und Alessandro Scarlatti, zu Werken für das Musiktheater animiert hat.

Im Werkkatalog von Massenet steht „Grisélidis“ zeitlich zwischen „Cendrillon“ und dem „Jongleur de Notre Dame“ – und sie hat von beiden etwas: den träumenden, flirrenden Märchenzauber der einen wie die religiöse Inbrunst der anderen Oper. Die Uraufführung an der Opéra Comique fand 1901 wenige Monate vor dem „Pelléas“ statt, auch sie von André Messager dirigiert, und ähnlich einer Mélisande findet Grisélidis, wie aus dem Nichts kommend, auf die Szene: unnahbar, fremdartig, fragil und doch fest, ein reines Geschöpf der Natur, besungen von einem bukolischen Schäfer mit schwärmerischem Tenor (Edgardo Zayas) und rasch nun angetraut dem Marquis, dem das Land gehört. Chantal Mathias ist hier eine Idealbesetzung: klar und voller Emotion, kraftvoll, aber ohne jeden aufgesetzten Überschwang. Die Märchenwelt löst sich in den hochimaginativen, aus jeder Realität heraustretenden Bühnenräumen von Markus Meyer immer wieder zwischen Zweigen und Bäumen und verschimmernden Weiten auf und lässt am Ende sogar den Himmel herein, wenn die Heilige Agnes unter andächtig beschwörenden Chören Grisélidis mit Gatten und Kind nach allen Versuchungen gerettet in eine glückliche Zukunft entlässt. Jakob Peters-Messer, der Regisseur, hat diese unschuldige Legende behutsam und bilderreich aufgeblättert, ohne ihre rührende Selbstgewissheit anzutasten und auch ohne ihre direkten Gefühle zu bagatellisieren.

Die Verführung findet jenseits der buffonesken Szenen statt

Die Gegenwelt ist die Hölle, der Teufel persönlich, nichts weniger. Ein Mephistopheles nach Gounod’schem Zuschnitt (Laurence Gien) etabliert sich, doch bar jeder gefährlichen Dämonie, komisch erst, aber bald lächerlich wie im Kasperletheater – eine armselige Figur von mechanistisch ratternder, offenbachischer Musik karikiert. Seine Wette um die Treue der Frau geht so fehl, dass er sich nur noch mit der Entführung des Kindes vergebens zu helfen sucht.
Der verführerische Reiz der Oper liegt jenseits dieser buffonesken Szenen in der eigentlichen Welt des Werkes, im empfindungsreichen Chargieren seiner Stimmungen, dem flexiblen, unaufdringlichen Farbenreichtum und der Raffinesse des instrumentalen Teppichs, in dem die Holzbläser bestimmende Akzente zu setzen haben. Das Parfum duftet dezenter und weniger sinnlich als sonst meist bei Massenet.

Ohne Bruch zwischen Arienhaftem und Rezitativischem zieht die Musik wie ein Sog voran in das mächtig schwellende Finale mit Allelujah und Magnificat. Der Dirigent Frank Maximilian Hube arbeitet das alles mit vielfarbenen Valeurs heraus. Bestätigt und beglaubigt wird mit dieser Aufführung Massenets hierzulande so spät entdeckte Opernerzählung mit dieser zu seinem übrigen Schaffen so querständigen Frauengestalt, und bestätigt wird eines mehr noch: der Repertoirereichtum mancher unserer mittleren Bühnen, die, vom Publikum durchaus gestützt, der Spielplan-Monokultur vieler unserer großen Häuser Entdecker-Phantasie entgegensetzen und dadurch nicht geringen künstlerischen Gewinn ziehen. Lübeck hat, nicht nur im Bereich französischer Musik, dafür in den vergangenen Jahren manch nachahmenswertes Beispiel gegeben.

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