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„Wahnfried“ in Karlsruhe. Renatus Meszar (Levi) und Matthias Wohlbrecht (Chamberlain). Foto: Falk von Traubenberg
„Wahnfried“ in Karlsruhe. Renatus Meszar (Levi) und Matthias Wohlbrecht (Chamberlain). Foto: Falk von Traubenberg
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Eine fatal weitreichende Affäre

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Apokalypse des Hauses Wagner: Avner Dormans Oper „Wahnfried“ seziert in Karlsruhe das deutsche Verhängnis
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Kaum ein Name hat sich so paradox ausgewirkt, wie der, den Richard Wagner für seine Bayreuther Villa erkor: „Hier wo mein Wähnen Frieden fand – Wahnfried – sei dieses Haus von mir benannt.“ Es mag sein, dass der ruhelose verfolgte Revolutionär, unbeirrbare Komponist und Schriftsteller hier tatsächlich endlich seinen „sicheren Port“ erreicht zu haben glaubte. Doch ausgerechnet dieser als Ruhepunkt beschworene Ort mutierte ins Gegenteil, wurde zum Sammelbecken von Wahnvorstellungen skurril-schrecklichster Art: Rasse, Volk, überlegene weiße, sprich germanische Kultur, Lebensborn, das „Gesamtkunstwerk“ als Religionsersatz addierten sich zum braunen Gebräu für alle möglichen Chauvinisten und Antisemiten, die da meinten, wer von diesem koste, der würde zum unbesiegbaren Helden – wie Obelix nach dem übermäßigen Genuss des Zaubertranks von Miraculix. Nur, dass dies auf das kleine Gallier-Dorf beschränkt blieb. Während von Bayreuth aus der Größenwahn befeuert wurde, der in NS-Staat und Zweiten Weltkrieg führte.

Eine fatale Rolle spielte dabei Houston Stewart Chamberlain, Sohn eines britischen Admirals. Dieser geriet in Wagners Bann, mutierte zum fanatischen Deutschtümler und Antisemiten, zweihundertprozentigen Bayreuthianer und wurde nicht müde, germanische Überlegenheit zu proklamieren. Die Karlsruher Oper hat es riskiert, ins Wespennest der unappetitlichen Familien-Saga zu stechen. „Wahnfried“ von Avner Dorman (Libretto Lutz Hübner & Sarah Nemitz) thematisiert die Clan-Wirrsal zwischen Privatem und Politischem, dunkelbraunem Gebräu und hehrer Kunst-Allüre, wirft den satirischen Blick aufs überaus Lächerliche im Erhabenen, mündend in die Apokalypse. „Wahnfried“ gilt entsprechend weniger Wagners Villa, mehr dem verschlungenen System von Clan-Gezänk und frühem Führer-Kult. Und im Gegensatz etwa zu Wolfgang Rihms „Dionysos“, erst recht Siegfried Matthus’ „Cosima“ spielen die Bayreuth-Domina Cosima und der ihr verfallene Friedrich Nietzsche keine tragende Rolle, auch nicht Hans von Bülow. Vielleicht war es richtig, den Komplex nicht zu überfrachten. Dafür avanciert der dubios-debile Houston Stewart Chamberlain zur Hauptfigur. Der weltfremd-schwächliche Schmetterlings-Jäger wird zunehmend vom „Willen zur Macht“ befallen, biedert sich ans Deutsche und an Wagner an, heiratet die Tochter Eva, nistet sich als Wortführer, Tribun des alldeutschen Wagner-Kults ein, fühlt sich, gleich einem anderen, sehr viel unheilvolleren Wagner-Jünger, zum Retter vor jüdischer Allmacht berufen und endet im Größen-Delirium – konterkariert freilich ausgerechnet durch den zynischen „Wagnerdämon“, der dem im Wahn endenden Bescheid gibt: „Du bist eine Randnotiz, ein Irrweg. Wusstest du nicht, dass alle meine Helden scheitern?“ Aus.

Der reale Wagner steht stumm im Festspielhaus oder wird als Leiche vorbeigefahren. Der „Wagnerdämon“ ist der leibhaftige Geist der Zerstörung, als der sich der revolutionäre Wagner gerne sah, mephistophelisch sadistischer Drahtzieher: in Karlsruhe Wiedergänger des maskenbleckenden „Jokers“ der „Batman“-Filme. Das Panoptikum ist perfekt: die „Herrin“ Cosima, der Frauen-Zwist, die immer mantra-mäßig gesteigerteren Beschwörungen von Ariertum, Abscheu vor Juden, der Anarchist Bakunin tritt auf, „Majestät“ als Gönner Chamberlains, Passanten mokieren sich über den „Spinner“, der „Wagnerianer“-Chor wird immer euphorischer, bis zur Hysterie – der hybrid proklamierte Heldenkult mündet in den Leichenbergen von Verdun. Und aus einem Nürnberger Fachwerkhaus mit „Meistersinger“-Schuh-Schild tritt „Meisterjünger“ Hitler alias Chaplins „Großer Diktator“ und ergreift rasch die Herrschaft, maßgeblich gefördert von den Wagners.

Sympathisch in dieser Manege sind nur zwei Personen: der leidende, noch in der Demütigung stolze Hermann Levi und, leicht geschönt, „Fidi“, Wagners Sohn, eher homosexuell, sanft und passiv, Opfer des Heroen-Wahns. Ansons­ten ist das Personal reich gefächert, wobei die Chamberlain-Schmetterlings-Idyllik bald in die grotesk grelle Überzeichnung, ja Karikatur übergeht. Im Rahmen dieses Revue-Konzepts ist dies völlig konsequent, subtilere Differenzierung wäre hier ein untaugliches Mittel. Im Text der einundzwanzig locker aneinander gereihten Szenen mischen sich frei Erfundenes und originale, zumindest Als ob-Anspielungen. Das gibt dem Libretto Farbigkeit und nicht geringen Unterhaltungswert, was die bedrückende Realität nicht mindert. Denn nicht nur Historisches wird wach, auch die Gegenwart schlägt vermehrt herein: Einheit und Reinheit des Volkes, scharfes Freund-Feind-Denken, Kampf wider alles „Fremde“, „zersetzende“ Tendenzen werden von der Rechten immer lauter propagiert; und nicht zuletzt die Sehnsucht nach dem „starken Mann“ wird allenthalben größer. Insofern kommt das Stück zur richtigen Zeit.

Zur buntscheckigen Dramaturgie würde eine strikt kohärente „Avant­garde“-Partitur nur sehr bedingt passen. Avner Dorman, in New York lebender Israeli, hat denn auch auf einen lockeren Stil-Mix gesetzt, in dem Wagner-Zitate, mehr-Anspielungen, Opern-Versatzstücke und Musical-Verve sich durchdringen. Da gibt es „schöne“ Arien, schwungvolle Chöre mit schmissigen Parolen, nostalgisch edles Streicher-Gewirk, aber auch donnernde Schlagzeug-Raster, Blechbläser-Opulenz. Larmoyanz hat hier kaum Platz, eher erinnert manch ratternde Motorik an frühen Prokofjew oder Schostakowitsch. Das ist alles perfekt und effektvoll, stets abwechslungsreich serviert. Stil-Dogmatiker mögen die Nase rümpfen, doch im Rahmen dieses satirischen Konzepts funktioniert das Ganze griffig.

Keith Warners Regie lässt an Nietzsches These denken, Wagner sei letztlich „Schauspieler“, folglich ist alles „Theater“: Bühne auf der Bühne ist Prinzip, als Wiesen-Kulisse oder Festspielhaus-Interieur, oder die Psychiatrie, in der unbotmäßige Schwestern, dann Chamberlain enden. Schrille Realistik und Grusliges (die Peinigung der Levi-Puppe durch den Wagnerdämon) alternieren, Komik schlägt ins Makabre um. Dem griffigen Bilder-Reigen entsprach die trennscharfe Leitung von Jus­tin Brown, der die heterogenen Stil-Schübe effektiv organisierte. Hinzu kam ein fulminantes Ensemble vokal wie theatral gleichwertiger Charaktere: fabelhaft der Tenor Matthias Wohlbrecht als zunächst spinnerter Insekten-Fan Chamberlain, dann stetig dominanterer Demagoge, schließlich irrer Prophet, phänomenal auch der Countertenor Andrew Watts als Fidi, diabolisch wandlungsfähig Armin Kolarczyks Bariton-Wagnerdämon. Christina Nissen machte aus Cosima eine so abgehobene wie machtbewußte Erscheinung, die Chamberlain-Gattinnen Anna und Eva wurden von Barbara Dobrzanszka und Agnieszka Tomaszewska polar profiliert. Und die Chöre der Passanten und Wagnerianer, die Mischung aus Häme über den Chamberlain-Freak und frenetischer Akklamation des „Meisters“ als Wegbereiter kommender Machtergreifung hatten ihr durchweg Grusliges.

Gewiss hatte der Abend auch etwas von höherem Kasperle-Theater. Aber als Umgang mit einer Schreckensgeschichte ist dies nicht der schlechteste.

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