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Berührende Präludien der ukrainischen Bratschistin Kateryna Suprun.  Foto: ORF musikprotokoll / M. Gross
Berührende Präludien der ukrainischen Bratschistin Kateryna Suprun. Foto: ORF musikprotokoll / M. Gross
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Eine Orgie der Widersprüche

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Das 55. ORF Musikprotokoll im Steirischen Herbst stellte in Graz Fragen zur Identitätsfindung
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Der Herbst ist in Graz der Kunst gewidmet. Seit 1968 beleuchtet das spartenübergreifende Festival „Steirischer Herbst“ die zeitgenössischen Formen des Theaters, der Bildenden Kunst und der Literatur. Neue Musik bekam von Anfang an ihren Platz als Festival im Fes­tival – das „ORF musikprotokoll“ fand dieses Jahr vom 6. bis 9. Oktober in seiner 55. Ausgabe statt. Dass es ein vom ORF kuratiertes und veranstaltetes Fes­tival ist, schlägt sich in umfangreichen Mitschnitten und begleitenden Sendungen und auch insgesamt 19 zum Teil durch die Verwertungsgesellschaft Rundfunk geförderten Uraufführungen nieder – wer als Gast zum Musikprotokoll kommt, hat recht schnell ein Mikrofon vor der Nase, und die  Dokumentation und Begleitung im Äther ist hervorragend. Hoffentlich fällt sie nicht den angedrohten Sparzwängen beim ORF zum Opfer (siehe Meldung unten).

Doch es geht beim Festival längst nicht mehr nur um die klassischen Radiofunktionen von Konzertaufnahmen und Studiogesprächen. Wer auf der Höhe der Zeit agiert, lädt Kunstschaffende ein, die im digitalen Raum experimentieren, KI-Komponistenfiguren kreieren oder Soundscapes in virtuellen Räumen schaffen. Unabhängig vom weltlage-überholten Thema des Steirischen Herbstes „Ein Krieg in der Ferne“ gab sich das Musikprotokoll in diesem Jahr das Motto „Whodentity“, ein Kunstwort, das Fragen und Prozessen von Identitätsfindung und -definition Raum geben soll. Im Festival haben sich die beteilig­ten Künstler*innen unterschiedlich stark dem Thema angenähert – von der im Titel direkt das Thema austragenden Komposition „identifications“ der dringend wiederzuentdeckenden österreichischen Komponistin Luna Alcalay (1928–2012) bis hin zu dem etwas betonten Statement, dass die drei Hauptkonzerte des Festivals ausschließlich Werke von Komponistinnen enthielten, was dann fast so klang wie „Ja, auch wir haben es begriffen“ anstelle der selbstverständlichen künstlerischen Äußerung. Für diese sorgten die beteiligten Ensembles selbst in hochwertig-konzentrierten Aufführungen.

Höhepunkt war das Uraufführungskonzert des RSO Wien unter Leitung von Yalda Zamani am zweiten Festivaltag. Die kroatisch-österreichische Komponistin Margareta Ferek-Petric schrieb ein Klavierkonzert namens „The orgy of Oxymorons“, das Maria Radutu uraufführte und den Zuhörer ratlos in übersteigerten „-ismen“ der Neuen Musik zurückließ. Dass eine Orgie der Widersprüche auch eine ganz andere Richtung nehmen kann, nämlich im Sinne einer faszinierenden, quasi am Bleistiftstrich der Komponistin entlangführenden Klangfarbenwelt, zeigte die Erstaufführung des Konzerts für Cello, Schlagwerk und Orchester von Olga Neuwirth (Solisten Tanja Tetzlaff und Hans-Kristian Kjos). Die britisch-iranische Komponistin und Turntable-Künstlerin Shiva Feshareki nahm schließlich das Publikum in der Helmut-List-Halle in Graz auf ihren von der Sufi-Praxis inspirierten „Sama-Zan Trip“ mit, in welchem sich Orchester und Electronics zu einer bewegten Installation im Raum verbanden.

Vor den Abendkonzerten fand sich zweimal die ukrainische Bratschistin Kateryna Suprun zu einem Präludium ein. Ihre Solodarbietung „Constellation“ mit insgesamt sieben verschiedenen Werken ukrainischer Komponisten berührte vor allem in der kommentarlos dargebotenen Tiefe der Musik. Wer auch immer hier über die Noten der warm timbrierten Bratsche erzählte, sang, sprach – die Wirkung war mehr als erschütternd.

In Spätkonzerten gratulierte dann das Ensemble Zeitfluss dem österreichischen Komponisten Gerd Kühr mit einem Porträt zum 70. Geburtstag, einen Tag später gestaltete das in Graz beheimatete Vokalensemble „Cantando Admont“ eindrücklich Stücke von Charlotte Seither, Adriana Hölszky, Younghi Pagh-Paan und eine Uraufführung von Elisabeth Harnik („If I‘m not being killed“ für Männerstimme und Kontrabass), wobei die Zusammenstellung auch in diesem speziellen Genre eine enorme Bandbreite des Ausdrucks und vokaler Leistung des Ensembles abforderte. Zuvor gastierte das Ensemble Modern (Leitung David Niemann) beim Protokoll und brachte Werke von Mirela Ivicevic, Milica Djordjevic, Petra Strahovnik und Juste Janulyte zur Uraufführung, wobei in diesem Konzert monolithische Kompositionskonzepte (Strahovnik, Janulyte und Djordjević) einem bunten und sinnenfrohen Wühlen im Ensembleklang und in der Musikgeschichte (Ivicevics „Leviathan“ und „Indigena“ der kubanischen Komponistin Tania León) gegenüberstanden. Neben diesen klassischen Frontalkonzerten gab es beim Musikprotokoll natürlich noch jede Menge „Adventures“, vor allem im Inneren des Grazer Schlossberges zu entdecken: zwischen improvisierten Künstler*innentreffs („Goat songs“), einer Fahrt mit einer akustisch präparierten Märchenbahn durch die Stollen und einem studentischen „3Daudio“-Wettbewerb leitete das Musikprotokoll nahtlos in digitale Welten über, die im „Online-Multiplayer-Framework in Virtual Reality“ der „Echtzeitkunstwelt“ und Alexander Schuberts online angelegter KI-Komponist Av3ry (av3ry.net) mündeten, der/die/das vermutlich länger zu komponieren imstande ist als die auf 639 Jahre angelegte Aufführung von Cages ORGAN2/ASLSP in Halberstadt dauert … 


Protest gegen Kürzungen beim ORF

Nachdem in einem Interview des „Standard“ mit der Radiodirektorin des ORF, Ingrid Thurnher, mögliche Etatkürzungen und Neuaufstellungsbestrebungen publik wurden, haben zahlreiche Österreichische Kulturinstitutionen wie die Wiener Philharmoniker, die Salzburger Festspiele und viele andere unter der Federführung des Klangforums Wiens einen offenen Brief zum „Erhalt des österreichischen Musiklebens“ aufgerufen und prominente Vertreter aus der Verwaltung des ORF zum Dialog eingeladen, darunter der Generaldirektor des ORF, Roland Weißman, die Kaufmännische Direktorin, Eva Schindlauer wie auch Ingrid Thurnher. Die Petition wurde auf change.org publiziert und bereits von über 33.000 Personen unterschrieben.

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