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Tahrir – Frances Pappas und Chor Foto: © Anna-Maria Löffelberger
Tahrir – Frances Pappas und Chor Foto: © Anna-Maria Löffelberger
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Eine Revolution aus Klang und Spiritualität – Hossam Mahmouds Oper „Tahrir“ wurde am Salzburger Landestheater uraufgeführt

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Auf dieses Stück hat man lange gewartet, vermutlich ohne es wissen. Eine Reflexion auf das heutige politische und gesellschaftliche Geschehen in Ägypten – doch weit darüber hinausgehend –, ohne die Darstellung von Gewalt, dafür mit einer völlig unprätentiösen spirituellen Dimension. Der aus Kairo stammende, seit langem in Salzburg lebende Komponist Hossam Mahmoud hat sich schon mehrfach mit den Umbrüchen in der arabischen Welt auseinandergesetzt. Vor zwei Jahren reflektierte er in seiner Oper „18 Tage.....“ Hoffnungen und Enttäuschungen des arabischen Frühlings und wählte dafür authentische Textquellen. Sein neues Stück „Tahrir“ zeigt einerseits die konkreten Schicksale vierer Protagonisten, blickt andererseits jedoch weit über den tagesaktuellen Tellerrand hinaus.

Wir erleben einen machtgierigen Politiker, eine junge Frau, die von ihrem sehr religiösen Ehemann unterdrückt wird und eine um ihren in Revolutionswirren getöteten Sohn trauernde Mutter. Vermutlich starb er durch Folter. Die öffentliche Meinung, in Form einer regierungstreuen Fernsehmoderatorin (Beatrix Doderer), leugnet dies. Plötzlich taucht der Sohn als Wesen aus einer jenseitigen Dimension auf, schaut zu und interagiert manchmal, aber immer sehr behutsam. Mit großem Ernst vermischt Mahmoud Traumebene und Realität. Der umfangreiche, exzellente Chor (Einstudierung Stefan Müller) steht zwischen den Welten, er ist sowohl aufbegehrendes Volk wie philosophischer Ratgeber und Kommentator im Stil der hier nicht griechischen, sondern eben ägyptischen Tragödie.

Für die Regie wurde Yekta Kara gewonnen, Chefregisseurin an der Istanbuler Staatsoper und Leiterin des internationalen Opernfestivals von Istanbul. Gemeinsam mit Ausstatter Christian Floeren schuf Kara eine Inszenierung, die das gesamte Salzburger Landestheater umfasst. Ein Steg führt ins Publikum. Musiziert wird unter der zackig präzisen Leitung von Mirga Gražinytė-Tyla buchstäblich überall. Vorne, an den Seiten, vom Rang aus und sogar außerhalb des Zuschauerraums. Mehrfach öffnen sich die Türen einen Spalt, dann wandern langsame, düstere Choräle herein. Hossam Mahmouds Musik ist von überwältigender Schönheit und Klarheit. Oft evoziert er mit einem rein westlich-romantischen Orchesterapparat (mit besonderem Fokus auf Harfe, Oboe, Englischhorn) allein durch den Einsatz von Mikrointervallen, Vierteltonschwellungen oder leicht modifizierten Spieltechniken einen sehr gestischen, ‚arabischen‘ Klangduktus. Breite, klagende Chorbögen stehen neben immer neu und andersartig pulsierenden Instrumentalpassagen, feine Linien für die Gesangssolisten neben Geräuschen wie Atmen oder Keuchen. Keine Note ist hier zu viel, alles stimmt und geht unmittelbar ins Ohr, nichts wirkt geschmäcklerisch oder anbiedernd.

Die musikalische und auch szenische Anlage von „Tahrir“ erinnert an Luigi Nonos ebenso gesellschaftskritische wie enigmatische Opernoratorien, nur dass Mahmoud wenig Lust auf den pathetisch erhobenen Zeigefinger hat und an die Stelle von kunstreligiösen Gedankenspielen ernsthafte Spiritualität setzt. Die Utopie einer letztlich uns alle immer schon umgebenden Wahrheit, die sich vielleicht eines Tages durchsetzt und die Schatten von Gewalt und Trauer durchbricht, scheint Mahmouds zentrales Glaubensbekenntnis zu sein. Im Libretto wird diese Ebene durch viel Sonnensymbolik und Lichtmetaphorik vermittelt, unter Verzicht auf jegliche New-Age-Banalitäten oder Küchenesoterik-Kitsch.

Yekta Kara gelingt eine wirklich perfekte Symbiose aus Musiktheater und Installation. Häufig sieht man Videos mit Straßenszenen, gebrochenen Naturidyllen oder auch mal gezeichneten, wilden Wölfen. Vor oder in diesen Bildern wird agiert, Chormassen wandern herum, die zentralen Protagonisten bewegen sich mit höchster Konzentration. Frances Pappas mimt und singt die ungemein verletzliche und zugleich starke Mutter, Ilker Arcayürek verkörpert ihren körperlosen Sohn mit starkem Spiel und vokaler Eloquenz. Stark der erst bärtige, dann kahl rasierte Politik-Fundamentalist (Giulio Alvise Caselli), berührend intensiv seine um Liebe und Emanzipation kämpfende Frau (Laura Nicorescu).

Am Ende dieses neunzigminütigen Kraftstroms aus Musik und Bildern bleibt man inspiriert, betroffen, erregt, hoffnungsvoll und – ja – glücklich zurück. Glücklich, weil die Sache aus unzähligen Gründen sehr leicht hätte schief gehen können und sich hier alles zu einem großen, wegweisenden Ganzen gefügt hat.

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