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Urgesteine: der Komponist Klaus Ospald und der Dirigent Rupert Huber in Köln. Foto: Charlotte Oswald
Urgesteine: der Komponist Klaus Ospald und der Dirigent Rupert Huber in Köln. Foto: Charlotte Oswald
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Eine veroperte Sintflut und andere Urgewalten

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Werke von Strawinsky, Isang Yun, Schönberg und Klaus Ospald in einem Kölner „Musik der Zeit“-Konzert
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Der Westdeutsche Rundfunk feiert in der laufenden Saison 2011/2012 ein besonderes Ereignis: Seit 60 Jahren existiert in seinen Räumen die „Musik der Zeit“, eine verdienstvolle, unverzichtbare Einrichtung, die Musik unserer Gegenwart in all ihren Facetten zu spiegeln und zu präsentieren. Der Beginn mag vor allem älteren Musikfreunden symbolisch erscheinen.

Anno 1951, der Weltkrieg mit seinen verheerenden Zerstörungen, die besonders in Köln bestürzend erfahrbar waren, lag noch nicht weit zurück, da stand plötzlich wieder ein damals geradezu festlich anmutender neuer Saal zur Verfügung, der Sendesaal des Westdeutschen, zu dieser Zeit noch Nordwestdeutschen Rundfunks. Kein Geringerer als der Komponist Igor Strawinsky stand als Dirigent vor dem Orchester des Senders. Und wer dabei war, spürte es fast körperlich-schmerzlich: Wie sinnlos es ist, sich aus den geschichtsträchtigen Entwicklungen der Musik in ideologischer Verirrung auszublenden. Das war dann wirklich eine Gedenk- und Lehrstunde in einem, an die man sich umso bewegter erinnert, als der Westdeutsche Rundfunk sich entschloss, diesem Ereignis in der laufenden Spielzeit seine „Musik der Zeit“-Konzerte zu widmen. Das zweite Konzert kurz vor dem Jahreswechsel (die letzten zwei folgen in den nächsten Monaten) erinnerte dann auch an Igor Strawinsky. Mit der konzertanten Aufführung der biblischen Allegorie „The  Flood“ (Die Flut). In den Jahren 1961/1962 im Auftrag einer US-amerikanischen Firma für Haarwaschmittel (es lebe die Sponsorenkultur) sowie des Fernsehsenders CBS entstanden, präsentierte sich die Ursendung geradezu prophetisch für das Fernsehwerbezeitalter: die sechs einzelnen Szenen – Erschaffung der Welt, Höllensturz Luzifers, Sündenfall, Bau der Arche und Sintflut einschließlich Gründung des neuen Bunds – wurden von Werbespots unterbrochen, die für Badeartikel warben. Der Untergang von Menschheit und Tierwelt in der wohligen Badewanne – grotesker geht’s kaum. Die szenische Uraufführung der „Sintflut“ 1963 an der Hamburgischen Staatsoper korrigierte dann diese Darbietung. Man erlebte ein eher strenges Ritual im Stil von Mysterienspiel und Oratorium, eine ebenso trockene, wie intellektuell gespannte musikalische Umsetzung des biblischen Stoffes in 20 Spielminuten: als jemand Strawinsky damals fragte, ob diese Spieldauer nicht etwas kurz wäre für ein so großes Ereignis, meinte der Komponist lakonisch: Länger könnten die Opernbesucher eh nicht zuhören. Irgendwie hatte er damit recht, nicht nur für den aktuellen Anlass.

Die Kölner Wiederbelebung der „Sintflut“ war eingebettet in ein Programm, das sich das Thema „Urgewalten“ gesetzt hatte. Der Neue-Musik-Redakteur des WDR, Harry Vogt, besitzt eine wunderbare, auf Kenntnis beruhende Phantasie, scheinbar entlegene Werke unter ein griffiges Thema zu subsumieren. So erklang in dem Konzert auch Arnold Schönbergs „Prelude op. 44“ für Chor und Orchester aus dem Jahr 1945, eine knapp konturierte biblische Schöpfungsgeschichte, streng durchkomponiert, als Hoffnungsreflex auf die Wiederherstellung einer verwüs-teten Welt. Auch Isang Yuns „Namo“ für drei Soprane und Orchester, 1972 vom WDR in Auftrag gegeben, zielt auf eine gleichsam kosmische Harmonisierung der Gegensätze.

Zu einem „Musik der Zeit“-Programm gehört auch zumindest eine Uraufführung: Klaus Ospald steuerte eine Orchesterkomposition bei, die sich auf Texte des sizilianischen Dichters Giacomo Leopardi bezieht. In „Sovente in queste rive“ reflektiert der Komponist die unendlichen, gleichsam abstrakten Beziehungen des Menschen zur Natur, zur Welt überhaupt, zum Kosmischen. Gibt es überhaupt Beziehungen zwischen den Sphären? 

Steht die Natur den Menschen nicht als kalte, abweisende Größe, oder auch: als Gewalt gegenüber? Ospalds Musik in ihrer expressiven Dichte vermittelt dem Zuhörer etwas von diesem überaus gespannten Verhältnis, dem stets zugleich ein zerstörerisches Element innewohnt. In der Darstellung durch das Sinfonieorchester des Westdeutschen Rundfunks unter Rupert Huber traten die Ausdrucksenergien der Musik von Klaus Ospald plastisch hervor. Auch in den anderen Werken wirkte das Orchester unter Huber in jeder Phase hoch kompetent, ebenso der WDR-Rundfunkchor Köln sowie die Gesangssolisten in den Stücken von Isang Yun und in Strawinsky „Flut“.

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