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„Homo instrumentalis“, eine Arbeit der holländischen Performance-Gruppe „Silbersee“. Foto: Caroline Seidel/Ruhrtriennale
„Homo instrumentalis“, eine Arbeit der holländischen Performance-Gruppe „Silbersee“. Foto: Caroline Seidel/Ruhrtriennale
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Eine Welt schaffen aus Kohle und Staub

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Zum Abschluss der Johan Simons-Intendanz bei der Ruhrtriennale
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Nein, neue Lieder hat es keine mehr gegeben in dieser finalen Simons-Runde. Was uns gesungen, gesagt, bedeutet wurde, hat nichts hinzugefügt, aber auch nichts weggenommen von dem, was wir nicht schon kannten aus den beiden vorangehenden Ausgaben dieses „Internationalen Festes der Künste“. Was also bleibt – vor allem, wenn wir aufs künstlerische Resultat schauen von Ruhrtriennale-Musik und -Musiktheater unter der Intendanz des Johan Simons?

Im Vergleich zu seinem immer für Überraschungen sorgenden Vorgänger Heiner Goebbels, bei dem man stets das Gefühl hatte, es mache ihm diebischen Spaß, durch die Gattungen zu mäandern, das Titanische neben das Skurrile, das Heitere neben das Ernste zu setzen – im Unterschied zu diesem unausrechenbaren Frankfurter Tausendsassa hat sich der Niederländer mit den zerfurchten Gesichtszügen ganz dem Kumpel vom Revier genähert beziehungsweise dem Bild, das er sich von demselben gemacht hat: Sei bodenständig, sei gerade, zeig klare Kante, sei nicht zu intellektuell.

Unter allen Ruhrtriennale-Intendanten hat Johan Simons dem, was „Ruhrpott“ war in den Werkhallen einer abgeschlossenen Industrieepoche, am entschiedendsten gehuldigt. Und selbst verkörpert hat er dieses Programm auch noch.

Zu den großen Eröffnungspremieren, die regierungsseitig als Zwitter aus Staatsempfang und Schaulaufen modelliert wurden und werden, ist Simons zum Entsetzen der Granden im Strickpulli erschienen; ein raubeiniges Statement, harter Querstand zu den Avancen der RT-Gesellschafter, die ihre Triennale gern als Antwort auf Festspiele anderswo (Salzburg, Berlin) sehen würden.

Gegen solche Hochkultur-Anwandlung im Nadelstreifen hat Johan Simons die Elemente ins Spiel gebracht, hat sie den lieben Wir-in-NRWlern als großer Landschaftsmaler im Stil eines Gustave Courbet noch einmal exklusiv vorgeführt: Hier, Euer Wasser, Eure Luft, Eure Erde!

In dieser Weise hat er etwas Versunkenem zur Auferstehung verholfen, etwas, das allenfalls noch vorkommt in Träumen nostalgischer Sozialdemokraten: Kohle und Staub und wie man eine Welt baut aus Kohle und Staub. Traum aus alter Zeit. Simons hat ihn nicht gedeutet, hat den Träumer nicht zum Arzt geschickt, er hat den Traum zu seiner Geschäftsgrundlage gemacht, hat ihn nachgestellt.
Verdrehungen

Was im Prinzip schon mit „Sentimenti“ anfing, als Simons 2003, noch unter Gerard Mortier in die Bochumer Jahrhunderthalle einen Raum aus Briketts gestellt hat, um, mit Hilfe von Verdi-Arien, die Geschichte einer Bergmannsfamilie zu erzählen. 2015 hat er dann in seiner ersten Intendanz der großen Ruhrtriennale-Gründungserzählung in Gestalt einer Kohlenmischhalle Zeche Lohberg in Dinslaken eine ganz neue Spielstätte geschenkt, hat dort seine ausgeuferte Pasolini-Adaption „Accatone“ gezeigt. Berührt waren damit Dimensionen, die die Verstärkung zum Normalzustand haben werden lassen. Merke: Ohne Steckdose, ohne Mikroport, ohne Lautsprecher kein Ruhrtriennale-Theater mehr. So im Folgejahr auch in der Mischanlage Zeche Auguste Victoria in Marl, wo Simons den großen Kümmerer gab um den namenlosen Toten in Camus’ „Der Fremde“: „Viel Staub um Nichts“ titelte die Lokalpresse. Und schließlich ist Simons mit „Cosmopolis“ nach dem Roman von Don DeLillo über das Leben eines Finanzspekulanten an den Ausgangspunkt Jahrhunderhalle Bochum zurückgekehrt – Johan Simons, einer, der sich einlässt auf den Ort. Und andererseits zulässt, dass Regiekonzepte umgesetzt werden, die seinen erklärten Maßstäben zuwiderlaufen. Siehe etwa die verkorkste Installation „Orfeo“ eines niederländisch-deutschen Regie-Trios in der Mischanlage Zeche Zollverein: ein verstümmelter Monteverdi, von einer verschwurbelten Programmheftprosa als „Sterbeübung“ gerechtfertigt. Die lokale Presse geißelte: „Unsinnliches Intellektuellentheater“. Ein wunder Punkt. Mitunter hatte man das Gefühl, im wortreichen Gedrehe und Geschraube einer eigenen Kunstform zu begegnen. Spät in der Nacht, erschlagen von so mancher Vorstellung, dachten wir uns ingrimmig Szenarien aus: Ruhrtriennale-Leseabende mit originalen Ruhrtriennale-Programmhefttexten! Die Heiterkeit, die auf den Johan Simons-Bühnen ohnehin Mangelware gewesen ist, würde sich einstellen, dachten wir dann. (Haben es schon, im Stillen, ausprobiert. Geht.)

Verschiebungen

„Die Spielstätten, die ich in Duisburg, Essen, Bochum und Gladbeck schaffen konnte, haben mich zum Nachdenken über die Funktion des Bühnenbilds gezwungen, weil solche Anlagen eher Installationen als Dekorationselemente brauchen.“ So Simons-Ziehvater Gerard Mortier. Wie sträflich, wie leichtfertig damit inzwischen umgegangen wird, dafür lieferte so manche Inszenierung Anschauungsmaterial. Gleich die Eröffnungspremiere 2017 kam in dieser Hinsicht einem Offenbarungseid gleich. Für seine „Pelléas et Mélisande“ ließ Krzysztof Warlikowski in die Jahrhunderthalle Parkettboden, große Showtreppe, holzvertäfelte Rückwand einbauen. Das Misstrauen in die Tauglichkeit der alten Werkhallen ist offenkundig geworden. Man erinnere sich an den verschalten „Tristan“, das Ende der Intendanz Willy Deckers. Wo ist der Blick für die Qualität dieser Architekturen? Er scheint, verloren zu gehen. Übrigens auch das Ohr dafür. Weshalb sonst wird dem Orchester so häufig die Mitte vorenthalten? Statt es (siehe zuletzt Heiner Goebbels’ „Surrogate Cities Ruhr“) ins Zentrum zu rücken, wird es an den Rand gedrängt. In Warlikowski’s Debussy erinnerte das Erscheinungsbild der Bochumer Symphoniker, aufgestellt im Hohlraum des Treppen-Rahmens, ans Arrangement großer Fernseh-Bigbands älterer Tage.

Wenn nicht alles täuscht, werden wir Zeuge einer Verschiebung. Was heute als Kunstsinn auftritt, tritt nicht auf als aus dem Geist einer Debussy-Partitur hervorgegangen, vielmehr aus dem von Kino und Show. Warum sonst hat uns Warlikowski Hitchcocks „Vögel“ als Endlosschleife vorgeführt? Damit der Zuschauer denken darf: Aha, es geht um Horror!? Was ist die Steigerung von platt? Und, apropos, auch das Verständnis von Uraufführung ist dabei, sich zu verschieben. Uraufgeführt wird nicht mehr nur das Auftragswerk. Die Uraufführung des Auftragswerks wird unter der Hand zum Bestandteil der Uraufführung eines Regie-Konzepts. Geschehen, gesehen im Stücke-Agglomerat „Homo Instrumentalis“ der holländischen Performance-Gruppe Silbersee. Keiner der Komponisten Aperghis-Nono-Kyriakides-Snoei hatte ein Stück namens „Homo Instrumentalis“ geschrieben. Letzteres war der Titel, mit dem diese Regie-Konzeptler sich selber gefeiert haben. „Allzuoft endet die Arbeit an einer Uraufführung für den Intendanten mit der Erteilung des Kompopsitionsauftrags. Die Spannweite der Auftragswerke muss so groß wie möglich sein. Ich wende mich entschieden gegen den Dogmatismus der Konzeptkunst und der fixen Ideen.“ (Gerard Mortier)

Und das Positive?

Keine Sorge, ist schon da. Zuletzt begegnete es uns noch in Duisburgs Gebläsehalle, und zwar ausgerechnet bei „Homo Instrumentalis“. Da war sie wieder, die schöne Erfahrung, dass die Raumtiefen, die Raumhöhen dieser und anderer RT-Architekturen wie geschaffen sind für die elektronische Musik. Wie präzis sich eine Live-Elektronik aussteuern lässt, bewies auch die großartige Aufführung von Boulez’ „Repons“ in der vorangegangenen Spielzeit.

Was nicht heißt, dass die Stärke dieser Hallen auf die Elektronik beschränkt ist. Es gab sie ja durchaus, die Ruhrtriennale-Seligkeit. Glücklich, wer dabei gewesen ist bei den Konzerten von NRW-Spitzenensemble ChorWerkRuhr unter Florian Helgath – wie jüngst in Dortmunds traumhaft schöner Maschinenhalle Zeche Zollern. Die Proportionen der Architektur aufgegriffen in einer Symmetrien suchenden Programmierung: Tomas Luis de Victoria, John Cage, Morton Feldman, Gregorio Allegri. Dazu chorische Exzellenz und eine aus dem Geist der Werke geschöpfte Choreographie: de Victoria und Feldman aus der Mitte, Cage aus dem Publikum, Allegri-Messe mit Fernchor. – Das Gute, so nah.

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