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Einfall und Ausfall

Untertitel
Münchner Uraufführung von Georges Aperghis’ „Zwielicht“
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Beginnt ein Stück von ihm, dann fängt es sofort an, sich zu verspielen. Der erste Reiz scheint wie ein Wollknäuel, das man vor eine balgende Katze wirft. Es folgt ein Weg von Ent- und Verwirrungen. Seit 1963 lebt Aperghis, er wurde 1945 in Athen geboren, in Paris. Dort studierte er Schlagzeug, dort leitet er das „Atelier Théâtre et Musique“ (ATEM). Und die Neugier der Katze war ihm ständiger Wegbegleiter. Mit größter Akribie und bisweilen fast unendlicher Geduld feilt er mit Musikern an Sprachstrukturen und rhythmischen Mustern, freut sich an mechanischen Wiederholungseffekten, am Trippeln von Insektenbeinen, am Stolpern des Versprechens, an sich gleichsam von selbst abspulenden Verläufen. Wie ein Naturforscher legt Aperghis die Ereignisse unter die Lupe, als Subjekt tritt er zurück. Das durchleuchtet, verdreht oder umgestülpt Präsentierte ist der Inhalt des Stücks. Der ist auf erfrischende, häufig von transparentem Witz begleitete Art erhellend. Um Formen der Helligkeit ging es auch im Musiktheaterstück „Zwielicht“, das im Münchner Marstall im Rahmen der Reihe „musica viva“ uraufgeführt wurde. Texte von Klee, Goethe und Kafka, Beobachtungen zur Natur des Lichts, werden ineinander verwoben und musikalisch verschränkt. Ein geistiger Raum sollte entstehen, in der die Klänge in die Welt der Farben und Zeichnungen eindringen. „Es handelt sich hierbei also“, so Aperghis, „um eine visuelle und akustische Architektur, die den Geist des Zuschauers durch bewegliche Assoziationen anspricht, wie in einem Traum, wobei die einzigen Bezugspunkte die Interpreten selbst sind.“ Alles wimmelte geschäftig über die Bühne: die fünf Musiker vom ensemble recherche, teilweise instrumentenbewehrt mit Flöte, Cello, Bratsche oder Schlagstock – nur das Klavier bleibt am Ort –, eine quirlig skandierende Sängerin (Petra Hoffmann), ein pantomimisch versierter Schauspieler (Jozef Houben). Ein Ballett des Lichts entstand, ein Tanz aus 14 Füßen, 14 Händen, Videoprojektionen, Schattenspielen, Lichtkegeln und klanglich-gestischen Randerscheinungen. Alles ist dabei sehr bedeutend, wissenschaftlich, furchtgebietend; und das geschwinde Wuseln prägt den kleinen, aufgeregten Seelen Züge des Possierlichen ein. Man zitiert Goethes zwischen Psyche, Physis und Physik vermittelnde Farblehre, der licht-klang-verliebte Klee mischt sich ein, der dunkelnahe Kafka. Aperghis ist bekannt dafür, daß er den Interpreten das Äußerste abfordert, nicht unbedingt nur auf ihren Instrumenten, dafür aber im weiten Umfeld. Sie hatten hier zu sprechen, zu schauspielern, sie rannten halsbrecherisch mit allerlei Utensilien über Bühnengestelle. Aus der Reibung ihrer Geschäftigkeit entwickelte sich Wärme, die Kleine-Welten-Liebenswürdigkeit eines kreativ von feingliedrigen Händen durchforsteten Kinderzimmers. Die Musik entstand dabei wie hektisches Geplapper, so als müsse man sich über die gewichtigen Sätze tuschelnd verständigen. Aus Glissieren, Zirpen, Zupfen und Zischen bildeten sich kleine Klangnester, die kaum gebildet schon wieder verlassen wurden – denn das Neue ist immer und überall. Pierrots Mondgeister lugen um die Ecke, fahldämmrig oder auch glutrot. Was die Interpreten leisteten, war großartig. Hierauf setzte Aperghis mit Geschmack und Geschick, denn er weiß, daß seine Konzepte ohne die räderwerkartige Präzision der Ausführung leicht Züge des Geschwätzigen annehmen können. So aber schlugen sie immer wieder in Bann. Akrobatisch lebte das Stück aus dem Hürdenlauf vorgezeigter Bilder. Und wenn der Schauspieler fingrig am Cello vorbeiläuft, kann schon mal ein flüchtig gerutschtes Glissando entstehen. So füllte sich die Stunde mit Kurzweil. Es ist ein Mobile aus labilen Elementen. Wenn sie nicht mehr tragen, hangelt man zur nächsten Schaukelstelle. Licht bildet eben keine Balken. Mancher Besucher wird am Schluß festgestellt haben, daß ein weiteres Lichtgesetz bestimmend wurde: Einfallswinkel ist gleich Ausfallswinkel. Zugewinn oder Haftendes war also kaum zu verbuchen. Dazwischen aber lag virtuos vergnügliches, erhellendes Treiben.

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