Die fetten Jahre sind vorbei: Nach den opulenten und facettenreichen Ausflügen ins Musiktheater im Vorjahr zeigte sich „Ultraschall” in seiner 13. Ausgabe stark abgespeckt. Zwar gab es auch diesmal an die 20 Konzerte, auf die sich nicht weniger als 22 Ur- und Erstaufführungen verteilten, und heterogene, ein wenig richtungslose Vielfalt blieb nicht aus. Doch zu unbedeutend war oft ihre Substanz, zu wenig nachhaltig ihre Wirkung. An der fast ausschließlichen Konzentration auf die kleinen Spezialensembles für Neue Musik kann es nicht gelegen haben: Was das zu Recht gefeierte Ensemble Modern vor 25 Jahren in die Wege leitete, nämlich eine neue Qualität der Interpretation und damit den Aufbau einer Tradition des Neuen, ist heute gewissermaßen das Salz jedes Festivals und jeder Kammermusikreihe für Neue Musik. Und da liegt denn auch das Problem: Die Ensembles Modern, Recherche oder Mosaik, das Arditti-, Pellegrini- oder Sonar-Quartett sind einfach ständige Gäste auch des „Ultraschall“-Festivals – ein programmatisches Profil, wie die Kuratoren Rainer Pöllmann (Deutschlandradio Kultur) und Margarete Zander (rbb) behaupteten, lässt sich allein aus ihrer Teilnahme nicht gewinnen.
Natürlich ist der Ensemblegedanke attraktiv; Flexibilität und Individualität, Selbstverwaltung und Selbstausbeutung lassen die Kleingruppe gegenüber den Orchester-Dinosauriern zeitgemäßer und effektiver erscheinen. Folgerichtig trat das Kammerensemble Neue Musik im Eröffnungskonzert gleich ohne Dirigenten an. Doch wenn auch die in erhöhter Probenzeit erreichte Souveränität der Musiker nicht bezweifelt werden soll, hätte sie eine Leitung entlasten und in einem komplexen Werk wie „Phlegra“ von Yannis Xenakis mehr Freiheit und Ausdruckskraft erreichen können. In „some reasons for hesitating“ von Juliana Hodkinson wiederum, das auf eine Gesamtpartitur verzichtet und den einzelnen Musikern ihre Parts nach Art der Choreographie von Theaterschauspielern anvertraut, baute sich zwar die Spannung des freien Dialogs auf, doch ermüdete sein Material, ein Kanon schon konventionell gewordener leiser Geräusche.
Zum schönen Konzept, das musikalisch nicht ganz aufging, geriet auch die Annahme, dass auch Komponisten sich heute dem Ensemblegedanken öffnen und damit neue musikalische Ideen hervorbringen. „stock 11“ nennt sich eine eher lose zusammenarbeitende Gruppe von elf Komponisten – darunter als einzige Frau die Irin Jennifer Walshe –, die durch den Zusammenschluss einerseits der prekären sozialen Situation des Künstlers entgegentreten, zum anderen eine Ästhetik des Alltäglichen jenseits des von der Wirklichkeit hermetisch abgeschlossenen, „erbaulichen“ Kunstraums erproben wollen. Um ein Künstler-Kollektiv handelt es sich hier allerdings nicht – jeder schreibt für sich allein, wie gehabt.
Was bei „Ultraschall“ als Werk, Improvisation oder Performance zu erleben war, zeichnete sich gewiss durch einen experimentelleren Ansatz, durch stärkere Einbeziehung von Alltagsgeräusch und -aktion, aus. Doch hat es mehr als mäßigen Unterhaltungswert, wenn etwa Uwe Rasch für seine Aktion „Adieu den Adieus“ einen sportlich weißgewandeten Rhönradfahrer auf die Bühne schickt, zur Lärm-Kulisse eines Elektrorollstuhls? Oder wenn Hannes Seidl in „Box“ für Countertenor, Viola, Klavier und Geräuschemacher im abgedunkelten Raum schwere Gegenstände zu Boden fallen lässt? Etwas annähernd Klangliches brachte nur die Stimmvirtuosin Jennifer Walshe zustande, deren Performance „i: same person/ii: not the same person“ jedoch eher ein aus der Ursuppe schöpfendes Ritual zu sein schien denn eine „Mord und Folter“ thematisierende Horror-Szene. Sehr sinnlich und sinnfällig wurden diese ganzen ausgeklügelten Theoreme nicht.
Viel differenzierter geht Simon Steen-Andersen vor, bei „Ultraschall“ mit einer ganzen Werkreihe als „composer in festival“ gehandelt. Auch er zeigt in seinem vom norwegischen Ensemble „asamisimasa“ bestrittenen Portraitkonzert frische Respektlosigkeit vor jedem klingenden Material und enge Verbundenheit mit dem Alltäglichen. Doch wie subtil baut er seine Klänge, legt ihr Wesen vor allem in Übergängen zwischen Klang und Geräusch und in intelligent gemachten Videos zwischen auditiver und visueller Geste bloß! Ob es ernsthaft-abstrakt zugeht wie in „Besides Besides“ für Violoncello und Schlagzeug – einer Art „Recycling“ immer wieder neuer Wendungen und Besetzungen eines Ursprungsmaterials – bis hin zu „Next to Beside Besides“ oder plakativ ironisch wie in „On And Off“, wenn sich neben Saxophon, Vibraphon und Violoncello drei Megaphone im Rückkopplungssystem „verselbständigen“ – immer agiert der 34-jährige Däne und frühere Schüler Matthias Spahlingers mit originellem Witz, der nicht unterhaltend, sondern hinterfragend wirkt. Sein Thema auf klanglich-visuelle Weise wörtlich nimmt auch Steen-Andersens Orchesterstück „Ouvertures“ als Öffnung zwischen fernöstlichen und europäischen Klangwelten, wenn der Solist der chinesischen Zither „Guzheng“ das Stimmfach seines Instruments öffnet und schließt, als bestimme er damit das gesamte Klanggeschehen.
In diesem Konzert des Rundfunksinfonieorchesters Berlin unter der Leitung von Peter Rundel erklang auch das Orchesterwerk „Staub“ von Helmut Lachenmann (1985/87), frappierend im Farbenreichtum des Leisen, berührend als ernsthafte große Komposition „alten Zuschnitts“ – was man früher bei dem angeblichen „Verweigerer“ Lachenmann vielleicht so nicht wahrhaben wollte. Wie die Zeit den Blick auf die vormalige Avantgarde verändert, war sonst nur noch bei den Klaviertrios von Mauricio Kagel in der fabelhaften Darbietung durch das Boulanger-Trio zu erfahren – Matthias Pintschers „Svelto“ konnte sich dagegen nur als sensible Farbstudie behaupten. Ansonsten hatte „Ultraschall“ diesmal ein weniger glückliches Händchen, was die Wiederentdeckung großer, im Uraufführungsbetrieb verschwundener Musik betraf. Der Auftritt des britischen Komponisten Alexander Goehr – Sohn des Dirigenten und Radiopioniers Walter Goehr, der 1932 mit seiner Familie von Berlin nach London emigrierte – verlief zunehmend enttäuschend. Ein interessantes Zeitdokument war der BBC-Film über die Hamburger Uraufführung der Oper „Arden Must Die“ des damals 35-jährigen Goehr auf ein Libretto von Erich Fried im Jahre 1967, die sich politischen Aktualitäten stellte. Das anschließende Gespräch des Komponisten mit Werner Grünzweig von der Akademie der Künste jedoch kokettierte allzusehr mit Klischees, und auch die Vertonung der Fried’schen „Warngedichte“ und Gesänge nach Franz Kafka verblieben – vielleicht durch unzureichende Interpretation – im Unschlüssigen. Zu fragen ist, ob wirklich jeder Kandidat der Kooperationspartner DAAD und Akademie der Künste auch bei „Ultraschall“ auftauchen muss, ungeachtet seiner Qualität und der aktuellen Thematik des Festivals. In ihrer wechselseitigen Beleuchtung einer Tradition der Moderne und neuen Ansätzen waren die beiden Konzerte des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin ergiebiger. Unter der Stabführung von Wolfgang Lischke erklang „Traces“ von Rebecca Saunders unerwartet kraftvoll und geschlossen; im von Lucas Vis geleiteten sehr viel heterogeneren Abschlusskonzert ließ „Loses“ von Joanna Wozny aufhören, eine immer wieder „lose“ Enden knüpfende Klang- und Ausdrucksmusik von verstörender Schönheit. Die sich brav an Konzepten einer Demokratisierung der Töne beziehungsweise der bloßen Gefälligkeit abarbeitende Werke von Matthijs Vermeulen und Richard Rijnvos konnten da nicht mithalten. Eher das fast unbekannte „Three Questions with two Answers“ von Luigi Dallapiccola, das noch einmal die herbe Schönheit zwölftöniger Melodik in den Raum stellte.