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Antennenglühn: Moritz Eggert mit dem Münchner Polizeiorchester. Foto: Susanne van Loon.
Antennenglühn: Moritz Eggert mit dem Münchner Polizeiorchester. Foto: Susanne van Loon.
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Elf Stunden aufregende Musik: Das Festival „Antennenglühn“ in München

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Wer mit der Erwartungshaltung zum Festival „Antennenglühn“ in den Gasteig gekommen war, hier eine Leistungsschau der Mitglieder des Deutschen Komponistenverbandes Sektion Bayern zu erleben, sah sich schnell enttäuscht. Zum Glück: Denn was der Förderverein Komposition des Verbandes mit dieser Premiere der „Nacht der Neuen Musik“ gelungen ist, führt über eine jährliche Pflichtübung weit hinaus. Es herrschte angeregte Festivalstimmung und es gab zahlreiche Begegnungen mit und von Gleichgesinnten. Das Programm war nicht nur für die Kenner, sondern offen gestaltet auch für reingeschneite Neugierige. Das Wichtigste aber: Die Nacht der Neuen Musik, die bereits um 14 Uhr begann und bis 1 Uhr in der Frühe dauerte, bot elf Stunden lang aufregende Musik unterschiedlichster in Bayern ansässiger Stilrichtungen.

Neben den Ensembles und Interpreten, die mit Neuer Musik bestens vertraut sind, wirkte – wie schon 2015 beim Münchener aDevantgarde Festival – das Polizeiorchester Bayern unter der bewährten Leitung von Johann Mösenbichler mit. Ein kluger Schachzug, das Orchester als Agenten und Botschafter der Neuen Musik einzusetzen, indem man vier Komponisten damit beauftragte dem Orchester neue Werke für Klavier und Blasorchester quasi „auf den Leib“ zu schreiben. Viermal dabei am Klavier Moritz Eggert als agiler, temperamentvoller Virtuose. Einmal machte er bei Markus Lehmann-Horns Stück „Adventurer“ (2015) – einer Auseinandersetzung mit Fritz Langs Filmopus „Die Spinnen“ – Platz für die Polizei-Pianistin Susanna Klovsky. Insgesamt fünfmal wurde gezeigt, wie bunt man für das uniformierte Ensemble komponieren kann. Katharina Schmauders Concertino „Aufbruch“ für Klavier, rezitierenden Pianisten und Orchester war eine Romanze im Schnelldurchgang, in der scheinbar konventionelle Formen und Figuren sich als recht grotesk und unkonventionell entpuppten. Nicht nur Schmauder, sondern auch Alexander Mathewsons mit „Wild Child“ sowie Lehmann-Horn mit „Adventurer“ ließen sich für ihre Blasorchesterarbeiten außermusikalisch anregen.

Die vier Jahreszeiten stehen im Zentrum von Konstantia Gourzis Klavierstücken „Wind Dances“ von 2017: Moritz Eggert traf mit zartem Anschlag den poetischen Ton der vier ruhigen Miniaturen. Einen anderen Ton schlug Alexander Strauch in seinem temporeichen Stück „tacktack-tickticktick-tocktocktocktock“ an, dessen Hanon-etüdenartigen, atemlos hämmernden  Klavierfiguren einem breiten Orchestersound gegenübergestellt werden – das gegenseitige Anklopfen und Antworten steigert sich bis zu einer die Dramatik nicht wirklich befriedenden Choralvariation. Philipp F. Kölmel gab mit seinem Concertino für Klavier und Sinfonisches Blasorchester „RAZZIA!“ dem Konzertabend den Namen und einen furiosen Abschluss.

Doch die nächsten Konzerte folgten im Stundentakt: Eine gestandenere Komponistengeneration mit Enjott Schneider, Max Beckschäfer und Dorothea Hofmann sowie dem erst 1988 geborene Hans-Henning Ginzel hatten für den Profilchor und das Kammerensemble der Klasse Chordirigieren der Münchner Musikhochschule geschrieben. Den vier Chorwerken, dirigiert von Martin Steidler und Verena Egger, lagen Gedichte von Ernst Moritz Arndt, Rafael Alberti, Georg Maria Roers SJ und eine Hymne des Inkavolks der Pachacutec zugrunde – der nüchterne Carl-Orff-Saal nahm dem Konzert etwas von der dem Programm innewohnenden Spiritualität. Profan ausgedrückt: eine halligere Akustik kommt den meisten Chören entgegen.  

Mit Spannung erwartet wurde der „Bratschenfunk“: Drei Komponisten hatten im Laufe des Tages für Nils Mönkemeyer „instant komponiert“: Wilfried Hiller das Stück(-chen) „Bathseba“ mit lyrischem Melos, Charlotte Seither eine Musikskizze, die stark begann, um dann aushauchend in die Klangkulisse des Gasteig überzugehen; der junge Filmkomponist Richard Ruzicka spielte gekonnt mit großen Emotionen im Taschenoperformat. Mönkemeyer hatte an dieser Herausforderung sichtlich Freude und spielte die drei Miniaturen gleich im „Zweimal Hören“-Format.

Beim Abschlusskonzert des VKKO (Verworner-Krause-Kammerorchester) ging das Hören ins Fühlen über: Ausschnitte aus der Krimiserie „Hindafing“, Visuals in Echtzeit sowie Techno-Musik analog in Handarbeit produziert von Geige, Cello, Holz-, Blechbläsern und viel Schlagwerk fegten alle leisen Zwischentöne hinweg und rissen die Zuhörer in einen Bild-Klang-Dance-Strudel. Die Black Box ohne Gehölz bewies bei diesem Abschlussevent auch nach über 30 Jahren Dienst ihre Eignung als hipper Club und Dancefloor.

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