„Von hier an blind“ heißt das zweite Album von Wir sind Helden und die sympathische Truppe setzt ihren Weg unbeeindruckt fort. Ohne Blindheit hätte dieses zweite Album gar nicht funktioniert, denn die Sicht auf die aktuelle Lage der Deutschpop- Szene, die ach so boomt und Plattenfirmen gesund stößt, hat nun mal – ob man will oder nicht – gar nichts mit Wir sind Helden zu tun. „In allererster Linie sind wir Musiker, die sich über ihre Musik definieren und wenn das alles in einem Hype verschwimmt und es fast egal wird, dann ist das doof“, bringt es Jean-Michel Tourette (29, Keyboard, Gitarre) im nmz-Interview bodenständig auf den Punkt.
Nichts wäre einfacher gewesen als ihre Erfolgstour nun fortzusetzen, weil sich selbst Kopieren stets der sichere Weg ist (Stichwort U2), doch man überrascht mit einem abgeklärten Album, das trotzdem unheimlich kühl, neugierig und unmissverständlich zeigt: Ätsch, nichts mit Konsumkritik, wenig mit Gesellschaft, das hier sind die „Helden“ wie sie auch 2003 waren, ohne all die hoch gestelzten Erwartungen. Zwar räumt Jean-Michel Tourette ein, dass „die Erwartungen an die Platte der Band bewusst waren, aber das wurde pragmatisch mit Arbeit verdrängt“.
Wenig erinnert an „Die Reklamation“: Keine plakativen Mitgröhl- Songs für die Studis, stattdessen Musik im Stil der 20er- oder 30er-Jahre („Gekommen um zu bleiben“) oder schwere Kost, die nicht gleich im Ohr bleiben will („Zuhälter“). Auch die Bafög-Melancholie wurde entschärft, hier walten nun echte Sehnsüchte und emphatische Traurigkeiten („Ich kann es halten“, „Elefant für dich“, „Von hier an blind“) die im Vergleich zur ersten Platte gefestigt wurden. „Für uns war es in der Songwriting-Phase wichtig, aufrichtig und real abzubilden, wie es uns gerade geht und was wir gerade für Musik machen wollen“, blickt Jean-Michel Tourette auf die Entstehung des Albums zurück. „Man hat sich von Song zu Song gearbeitet und jedem Song das gegeben, was er verlangt hat. Erst in der Studiophase haben wir begonnen, allen Liedern den größten möglichen gemeinsamen Nenner zu geben, der natürlich bei manchen der Stücke nicht zu erreichen war und vor allem nicht im Hinblick auf eine Anknüpfung an ‚Die Reklamation’. Das hätte der Sache nicht gut getan.“
Und so bemerkte man gar nicht, dass man scheinbar leichtfüßig die Klischee-Klippen umschiffte. Wo andere mit rohen Dynamik-Spielchen durch die Charts pflügen, belassen es „Wir sind Helden“ mal mit der guten alten Fender Rhodes („Mein Leben lang üben“) im Zentrum des Songs. „Einen großen Anteil daran hat sicher unser Produzent Patrik Majer“ ergänzt Tourette, „er versucht noch stärker als wir an den Klischees vorbei zu schippern – solange es musikalisch Sinn macht. Das passiert dann eben mal mit dem Rhodes oder Wurlitzer, aber diese kleinen Dinge tragen dazu bei, glaube ich, dass man so ein wenig den eigenen Sound kreiert“. Mit diesem eigenen Sound der Unterscheidung wäre nun die Voraussetzung gegeben, Wir sind Helden mit dem zweiten Album mal bewusst zu hören. Ohne Medienhype, denn der dürfte mittlerweile Konsumenten-Routine sein. Dass dieses neue Konzept klappen wird, ist klar, denn „Von hier an blind“ ist selbst mit exakter Nachstellung der Bandmitglieder nicht zu vervielfältigen. Wir sind Helden lassen wieder die Musik sprechen, stellen Intentionen und Interpretationen hinten an und zeigen deutlich, dass sie nie mehr oder weniger waren als Musikerinnen und Musiker. Und solange sie nicht taub werden, könnten Wir sind Helden das noch ganz lange sein.