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Ein etwa um 120-Grad gekipptes Riesenrad, in den rostigen Gondeln hockt eine Person, eine andere klettert in den Stangen um das Zentrum.

Bo Skovhus (Clov) und Laurent Naouri (Hamm) in Kaspar Glarners Luna-Park. Foto: Monika Rittershaus

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Endspiel – Unentschieden: Kurtágs Beckett-Oper unter den Linden

Vorspann / Teaser

Als ikonisch fürs barocke Maschinentheater gelten etwa Wolken und der Himmelswagen des „deus ex machina“. Gleichermaßen sinnbildlich aufgeladen für die wesentlich kürzere Epoche der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts gerieten der dürre abgestorbene Baum (Warten auf Godot), Winnies Erdhaufen (Glückliche Tage) sowie die zwei Mülltonnen (Endspiel) aus Samuel Becketts existentialistischen Weltendspielen. Sinnbilder der Gott- wie Menschenverlassenheit von gerade noch sprachbegabten Wesen, denen bloß solche Wörter übriggeblieben sind, die, wie es im Endspiel heißt, nichts mehr sagen können und doch gesprochen werden müssen. Johannes Eraths Inszenierung von György Kurtágs Vertonung „Fin de partie“, welche just am 99. Geburtstag des anderen kongenialen Beckett-Komponisten, Morton Feldman, an der Berliner Lindenoper herauskam, zeigt prominent einen über dem Souffleurkasten aufgehäuften Erdhügel. Es gibt keinen Baum, und die Mülleimer, in denen das beinlose Elternpaar Nell und Nagg steckt, werden im Laufe des Abends (sinn-?)entleert und verlieren sich im weiteren Bühnengeschehen. Eine Beckett-Oper also gleichsam gegen Beckett interpretiert…?

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Gewissermaßen. Und möglicherweise unumgänglich, wenn es darum geht, Becketts stockende, stolpernde Sprachspiralen und Wiederholungen mit Musik zu versetzen, den Nachklang der Wörter im Blow-Up der Oper zu verbreitern und zu vertiefen, zu erhören und zu erhöhen. Das hat jedenfalls Kurtág erreicht mit seinem Meisterwerk, das sich in seiner liebevollen Hingabe an den Text den Wort-Vertonungen von Mozart, Strauss oder Puccini mühelos an die Seite stellen lässt. Mitstolpernd und stockend und dennoch mitatmend und parlierend verleiht Kurtágs Musik dem französischen Originaltext quasi Flügel des Gesangs, wenn dem Gegenstand entsprechend freilich vielfach gebrochene: allein an die 2.000 Taktwechsel auf knapp 100 Minuten Musik (Feldman!) sowie eine harmonisch höchst diffizile Klangsprache des großbesetzten Orchesterapparats mit reichlich subtilem Schlagwerk sowie Pianino, Cymbalom und Bajans für fernere Valeurs wie Jahrmarkts- und Volksmusik.

Höllenschwer das Ganze, und Alexander Soddy am Pult der auch solistisch feinst aufspielenden Berliner Staatskapelle hält es beachtlich zusammen – vielleicht zu beachtlich. Denn bei aller Gebrochenheit entbehrt das Werk dennoch nicht eines gewissen Flusses, eines flexiblen Zeitmaßes – was aber noch schwerer zu realisieren ist und sich in den kommenden fünf Vorstellungen (bis 2. Februar) zweifellos freischwingen wird. Das Solistenquartett hat dabei allerdings jetzt schon überwältigende Leistungen hinsichtlich Gestaltung, Gesang und (2.000 Taktwechsel!) Gedächtnis gezeigt. Sie alle sind, wie nicht anders zu erwarten, nicht nur bestens vorbereitet; sie sind zudem schauspielerisch bestens aufgelegt: Bo Skovhus als Diener Clov und letzter Clown. Laurent Naouri als dessen Herr Hamm sowie Dalia Schaechter und Stephan Rügamer als seine Eltern Nell und Nagg – Hammer und Sargnägel als Reste einer letzten Familie.

Von untypischem Überschwang bis zur kleinsten Bühne der Welt

Und Spielfreude haben sie auch vonnöten in dieser Inszenierung von Johannes Erath, die den landläufigen Beckettschen Konventionen widerspricht, gemäß denen die Räume leer und grau sind oder bestenfalls hirngelb, das Spiel sparsam und die Gesten minimalistisch. Nicht nur befreit Erath seine Akteure von ihren Versehrungen – Hamm entsteigt seinem Rollstuhl wie Nell und Nagg ihren Mülltonnen, um in ihren, auch filmisch überblendeten Traumwelten zu wandeln und wallen (Video: Bibi Abel), und Clovs Slapstickeinlagen muten gleichermaßen wie die Aufhebung seiner Gehbehinderung an. Auch sprengt Kaspar Glarners Bühne Becketts bunkerhafte Hirnkammern auf: Was erst ein gründerzeitlicher Salon ist mit Holzvertäfelung und Stofftapete, gerät nach Nells Tod in der Tonne und der Auferstehung aller zur Ruine einer Kirmes mit umgestürztem Riesenrad. In östlichen Kulturgegenden nannte man so etwas einst Luna-Park, und so traumwandeln sie alle wie Mondsüchtige behände da durch bis zum Ende. Was Beckett und Kurtág allerhöchstens nur anklingen lassen, hier, mit altem Dichterwort, „wird’s Ereignis“, inklusive schier barocken Maschineneinsatzes für Bild und Bewegung. – Die Befürchtung, das gekippte Riesenrad würde sich irgendwann zu drehen anfangen, wurde bestätigt. Dennoch: Applaus auch für die Technik.

Eine Beckett-Oper gegen den Strich gebürstet? Werktreuer Minimalismus? Interpretative Bilderflut? Dafür? Dawider? Indes, keine Besprechung muss mit einem Urteil enden, kein Spiel mit einem eindeutigen Ergebnis – und eines mit Beckett schon gar nicht… In Hamms letztem Monolog, da hält er sich, auf der Nabe des umgestürzten Riesenrads hockend und noch bevor er sich damit wieder zudecken wird, vors Gesicht das zerknüllte Taschentuch, mit dem es zu Beginn verdeckt war: „Altes Linnen… Dich behalte ich.“ Ein kleines weißes Rechteck inmitten aller Fluchtlinien und all des Maschinentheaters. Ein Zitat? Egal. Denn einem anderen Literaturnobelpreisträger und Gottesnarren, Dario Fo nämlich, bedeutete dies die Bühne, die er aus der Tasche zog und auf der er spielte. Mehr braucht es seiner Meinung nach nicht. Und so kam am Ende doch so etwas wie die Sehnsucht nach Schlichtheit und der kleinen Geste wieder ins Spiel dieser opulenten Inszenierung, das Einfache, das doch so schwer ist und bestenfalls in lichten Augenblicken erreichbar. Kurzum also: Auch ein Unentschieden kann ein spannendes und abwechslungsreiches Spiel gegeben haben.

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