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Im Gesprächskonzert des Ensemble Zafraan. Screenshot
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Ensemble Zafraan erreicht in der digitalen Konzertreihe „UA Berlin“ die 1930er-Jahre

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Eine Hommage der besonderen Art: In zwangsläufig digitalen Konzerten durchstöbert das Ensemble Zafraan zu seinem zehnjährigem Jubiläum die Musikgeschichte Berlins auf Haupt- und Nebenstrecken seit 1900. Dazu gibt es Uraufführungen für kleine Besetzungen. Ein digitaler Besuch im „b-flat“ in Berlin-Mitte.

Mit Weitblick gepaarter Regionalbezug kann für Programmgestaltungen tolle Energien freisetzen. Das gilt zum Beispiel für die Bamberger Symphoniker, wenn das mit Musikern aus dem heutigen Tschechien gegründete Orchester unter Jakub Hrůša mit Frank Peter Zimmermann das erste Violinkonzert von Bohuslav Martinů einspielen. Und es gilt auch, wenn das Zafraan Ensemble Igor Stravinskys in Berlin 1932 entstandenes Duo concertant zu Gehör bringt. Dieses Beispiel ist nicht willkürlich: Denn der Tscheche Martinů schrieb sein Opus in Paris, der Russe Strawinsky das seinige in Berlin für den gleichen Interpreten, den Amerikaner Samuel Dushkin. Beide Großstädte, in denen Zuzügler und Ausländer*innen das kreative Brodeln intensivierten, sind und waren Magneten, Begegnungsorte und Inspirationsquellen für Künstler*innen und Kunstaffine.

Zu seinem zehnjährigen Jubiläum feiert sich das Ensemble Zafraan und seinen Residenzort mit der Konzertreihe „UA Berlin“. Man durchstreift die Jahrzehnte seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Einzelkonzerten und bereichert diese mit einer Garnitur aus Uraufführungen junger Komponierender. Im Programm zugelassen sind offenbar ‚nur‘ Originalwerke und maßgeblich originäre Arrangements, die sich auf dem Saxophon, Schlagwerk und Klavier einschließenden Instrumentarium des zehnköpfigen Ensembles mit der imponierend langen Repertoireliste von Adès bis Zeming bewerkstelligen lassen. Das heißt zwar, dass Vokales wie „Berliner Luft“, der „keusche Joseph“ oder „Linie 1“ zwangsläufig fehlen muss, sonst aber eine ganze Menge drin ist – auch Esoterisches oder kreative Sackgassen. Im den Dreißiger Jahren gewidmeten Programm „kein Ort, nirgends“ am letzten Sonntag gab es keine Scheuklappen zwischen Schulen, Haltungen und Qualitätsdiktaten.

Zu hören sind im Stream auf www.dringeblieben.de Werke von politischen und ästhetischen Antipoden wie des nach Paris emigrierten Paul Dessau, des in Deutschland mit Gunild Keetman das „Schulwerk“ erarbeitenden Carl Orff und des wenige Monate vor der Machtergreifung mit dem Duo concertant skandalisierenden Stravinsky. Man vernahm das „Liebeslied“ für die Saxophonistin Ingrid Larssen von Rudolf Wagner-Régeny und natürlich Paul Hindemith. Mark Scheibe moderierte mit informellen Pfeilhageln auf das Publikum an den Monitoren schneller, als man ein Programmheft bei halb verdunkeltem Saal lesen könnte. Er würzt wichtiges Wissen mit einem pikanten Juice voller Adjektiv-Appetizer – diese Begeisterung steckt an.

Erfreuend kontrastreich geriet die Auswahl der Uraufführungen: Darío Guerrero (*1987), der Kolumbianer in Berlin, transformiert in „Tres Intensidades“ den ihn an der Spree überwältigenden urbanen Kitzel in anschwellenden Druckwellen und Tonsalaten von nicht außerordentlich gewählter, aber impulsive Lust am Hören machender Verve. Étienne Haan (*1992), Schüler von Annette Schlünz in Strasbourg und Absolvent der Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, versetzt sein Trio mit Saxophon, Klavier und Violine in tönende Opposition zur Zuspielelektronik, was die Reibung eines stummen Arrangements und des ausgesprochenen Widerstrebens im politischen Sinne meint. Moderne, Provokationen von gestern, aus heutiger Perspektive politisch Anrüchiges mit leichtem Staubschleier, Wiedergutmachungen und die zweite Generation der Postmoderne fügen sich zu einem auf unterhaltsame Weise anspruchsvollen Format. Mit zwei minimalen Einwänden.

Zum einen ist  das „b-flat“ in Bundeshauptstadt-Mitte ein zwar standesgemäßer, aber visuell weniger Berlin-spezifischer Schauplatz, der in dieser globalisierten Studio-Glätte überall von Alaska bis Australien stehen könnte. Die andere Denkwürdigkeit gilt der Präsentation. Die meisten modernen und neuen Kammermusikwerke gewinnen bei digitaler Wiedergabe eine erfreuend direkte und packende, doch damit auch stellenweise überpräsente akustische Nähe. Wenn die Kamera in Riesendetails die Öffnungen der Instrumentenkörper und tastenden Musikerfinger einfängt, ist das ein sehr gut gemeinter Ausgleich zum derzeit gültigen Distanzhalten-Müssen. Aber durch diese mikroskopische Nähe verliert die Musik ihr im physischen Raum ausschwingendes Fluidum, wird die Kunstübung zur handwerklichen Demonstration. Mittelfristig beschleunigt das den Aura-Verlust von digitalen Konzert- und Publikumsprozessen. Obwohl die bei jedem Stück in anderen Zusammensetzungen auftretenden Musiker*innen des Zafraan Ensemble das gar nicht nötig hätten, weil sie einen glänzenden Job machen.


  • Zafraan Ensemble: Liam Mallett (Flöten), Miguel Pérez Iñesta (Klarinetten), Martin Posegga (Saxophone), Anna Viechtl (Harfe), Daniel Eichholz (Schlagwerk), Clemens Hund-Göschel (Klavier), Emmanuelle Bernard (Violine/Viola), Josa Gerhard (Viola/Violine), Martin Smith (Violoncello) und Beltane Ruiz Molina (Kontrabass).  
  • „UA Berlin III. Die 1930er - kein Ort, nirgends“ im Stream ab Sonntag, 14. März 2021, 17:00 Uhr auf www.dringeblieben.de - Aufzeichnung des Streams. https://youtu.be/NcUcazRsCbk
  • Nächste Konzerte: „1940er: Meisterklassenquartett“ ab 28. März 2021/17.00 Uhr - Die 1950er: Grenzlinien/Lebenssplitter ab 11. April 2021/17.00 Uhr – www.dringeblieben.de

 

 

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