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Erdbeben. Träume. Auf dem Bild: Sachiko Hara (Philipp), Esther Dierkes (Josephe Asteron), Josefin Feiler (Constanze). Foto: A.T. Schaefer
Erdbeben. Träume. Auf dem Bild: Sachiko Hara (Philipp), Esther Dierkes (Josephe Asteron), Josefin Feiler (Constanze). Foto: A.T. Schaefer
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„Erdbeben. Träume“ – Toshio Hosokawas Uraufführung an der Oper Stuttgart

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Musiktheater ist ein wundersames, ein gar wunderbares Ding. Die diesjährige Münchener Biennale für neues Musiktheater bot aktuell und bietet immerhin seit 1988 schon reichlich Gelegenheit, darüber nachzudenken. Die OPERSTUTTGART legt nun nach mit einer fulminanten Weltpremiere, der Uraufführung ERDBEBEN. TRÄUME von Japans Topkomponist Toshio Hosokawa.

Und während in München diesmal gewissermaßen abgekapselt das Private thematisiert wurde, holten die Stuttgarter die Welt, nein, das Universum, nein, irgendwie alle Sonnensysteme in den Mittelpunkt, Fragen, welche die Menschheit an sich, als Ganzes betreffen, sollten, sich kontrapunktisch aneinander reibend, der Aufklärung dienen. Etwas, was die Oper, genau besehen ja alle Kunst, von Anbeginn betreiben, zur erkenntnispraktischen Verbesserung all der seit Jahrhunderten stilistisch vielfältig besungenen, betrauerten Verhältnisse auf diesem Rotationsellipsoid.

Japanisch-modal und kontrastierend damit europäisch-wohltemperiert – auch in der Wahl der Instrumente –, ging der Komponist es an, sich mit dem intellektuellen Konglomerat aus Heinrich von Kleists großartiger dramatischer Novelle „Das Erdbeben in Chili“ und deren textlicher Angleichung ans Heute sozusagen durch den vielfach gelobten und gepriesenen Marcel Beyer, auseinanderzusetzen. Nachdem sich das alles nun auf der Bühne öffentlich präsentieren durfte, zur Bühnenreife gebracht war von lauter ebenfalls bewährten und belobigten und überaus professionellen Theatergrößen wie Sylvain Cambreling (musikalische Leitung), Jossi Wieler, Sergio Morabito (Regie und Dramaturgie), Anna Viebrock (Bühne und Kostüme), Staatsopernchor Stuttgart sowie Kinderchor der Oper Stuttgart und Staatsorchester Stuttgart und herausragende Solisten wie Esther Dierkes, Dominic Große, Sophie Marilley, André Morsch, stellten sich der Konstellation entsprechend Fragen ein.

Zum Beispiel: Warum Kleist und nicht ein Text, der aus dem Heute entstanden ist? Trotz all der irisierend-be-und-verzaubernden, begreifenden und ergreifenden Musik. Warum werden da größere Menschenmengen auf der Bühne und auf Brücken (die die imaginäre Verbindung zwischen irdisch und außer-irdisch zu vergegenwärtigen haben, hin und her bewegt, farbenfroh vor lauter Leichen-und-Todesassoziationen. Wieso werden Bühnenböden aufwärts und abwärts gefahren, Nähe und Ferne, Einblick und Ausblick? Bringt das plötzliche Einschalten der Saalbeleuchtung den entscheidenden Kick beim denkerischen und musikalischen Verarbeitungsprozess fürs Publikum? Überzeugend ist das nicht.

Sicher. Die Musik ist toll. In ihrer weltumspannenden Diktion, in ihrer das asiatisch-europäische Empfinden und Denken vernetzenden Attitüde. Sie bezieht ihre kulturenverschmelzende Kraft aus der literarischen Vorlage. Die freilich unentschieden schwankt zwischen romantisch-intuitiver Annäherung und dem Versuch zur clarté. Oder ist die Musik nur stark, weil ihr Urheber stark ist? Themen, Stoffe, Gehalt gibt es genug, zwischen Fukushima, Donald Trump und all den Atombombenbastlern. Wer bereitet sie auf, wer dramatisiert sie? Oper ist eine wahrhaft wunderbare Kunst. In Stuttgart zumal. Möge sie uns, auch wenn ihr Output an Erkenntnisgewinn mal grade nicht zu hundert Prozent funktioniert, weiterhin wertvoll und teuer bleiben. In Stuttgart und anderswo.

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