Wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten. Manches entsteht, anderes vergeht, Wenig Bewahrtes überdauert namenlos Vergangenes, Verlorenes, Verschollenes. Was wir erinnern, ist umgeben von Vergessen. Was haben wir gestern gegessen? Welches Konzert haben wir letzte Woche besucht? Welches Haus stand neulich noch an der Stelle, wo man jetzt das neue baut? Wie lautete letztes Jahr das Motto des Kölner Festivals Acht Brücken? Hm?! Dieses Jahr widmet sich das Musikfest dem Thema „Musik Amnesie Gedächtnis“.
Vom 29. April bis 8. Mai sind knapp zwanzig neue Werke zu erleben. Liza Lim bezieht im Orchester-Triptychon „Annunciation“ die drei Frauenfiguren Sappho, Maria und Fatima aus griechischer Antike, Christentum und Islam auf die aktuellen Themen Ökologie, Spiritualität und Transkulturalität. Marcus Schmickler unternimmt in „Schreber Songs“ eine psychotische Wanderung zwischen Wahn und Wirklichkeit. Das Kölner Laptop-Trio Hackmeck erforscht Prozesse des Vergessens digitaler Klänge und Bilder. Alexander Schubert schleust das Publikum in der wohnlich hergerichteten DuMont Kunsthalle durch die performative Installation „Sleep Laboratory“ aus Ensemblemusikern, Performern, Audio-, Video- und Computertechnik. Weitere Uraufführungen stammen von Alberto Possadas, Robert HP Platz, Malika Kishino, Luís Antunes Pena, Martin Smolka, Anna Zaradny, Francesca Virunelli und anderen.
Vom 6. bis 8. Mai finden die Wittener Tage für neue Kammermusik statt. Künstlerischer Leiter ist seit 1990 WDR-Redakteur Harry Vogt. Kurz vor der Pensionierung im Sommer präsentiert er nun seine letzte Festivalausgabe. Als Porträtkomponistin hat er Milica Djordjevic eingeladen. Von ihr erklingen vier Stücke, darunter ein neues Werk für das WDR Sinfonieorchester, das außerdem Novitäten von Malin Bång, Enno Poppe und Francesco Filidei spielt. Das Newcomer-Konzert des IEMA-Ensembles bietet Uraufführungen von Ziteng Ye und Carlo Elia Praderio. Das Ensemble Modern spielt neue Stücke von Georges Aperghis und Arnulf Herrmann. Das Arditti Quartet präsentiert neue Streichquartette von Nina Šenk, Mithatcan Öcak und Sven-Ingo Koch. Im Konzert des Vokalensembles EXAUDI sind Uraufführungen von Mikel Urquiza, Chiyoko Slavnics und Naomi Pinnock zu erleben. Und das Trio Accanto spielt Premieren von Luca Francesconi und Beat Furrer. Ob das Trio Recherche neben Kristine Tjøgersens „Habitat“ auch wirklich Helmut Lachenmanns zweites Streichtrio – nach dem ersten von 1965 – wird uraufführen können, bleibt abzuwarten. Hinzu kommen einige in die Ensembleprogramme gestreute neue Solostücke sowie ein Dutzend Freiluftmusiken für den Wittener Schwesternpark. Was wird man von all diesen Kompositionen einige Tage später noch erinnern? Welche Stücke werden vielleicht noch andernorts aufgeführt? Welche Auswahl davon erscheint nächstes Jahr auf CD? Wird in zehn oder hundert Jahren alles vergessen sein?
Weitere Uraufführungen:
- 08.–18.05.: Verschiedene Uraufführungen und Premieren, Münchener Biennale für neues Musiktheater
- 12.05.: Philipp Maintz, neues Werk für Staatskapelle Halle, Konzerthalle Ulrichskirche Halle/Saale
- 15.05.: Mark Andre, rwh 1–4 für zweihundert Sängerinnen und Sänger, Ensemble Modern und SWR Experimentalstudio, Kunstfestspiele Herrenhausen Hannover
- 19.05.: Andrea Lorenzo Scartazzini, Einklang für Jenaer Philharmonie, Volkshaus Jena
- 28.05.: Isabel Mundry, Martin Smolka, Rebecca Saunders, Ming Tsao, neue Werke für Ensemble Musikfabrik, WDR Köln
- 31.05.: Huihui Cheng, neues Werk für Ensemble New Babylon, Shakespeare Company Bremen