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Talibam! Big Impakt @ Moers Festival. Foto: Stefan Pieper
Talibam! Big Impakt @ Moers Festival. Foto: Stefan Pieper
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Erlebnispfade und Verjüngung: Das Moers Festival 2018

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Auf „Lester Mitchells Starship Orchestra“, wo der Bandleader die Trompete und das Saxofon angeblich gleichzeitig bläst, wartete man beim Moers Festival vergeblich. Wer dennoch zum angegebenen Zeitpunkt in der Eishalle kam, dem wurde zum Trost ein Freibier ausgegeben. Auch die im September 2001 gegründete „Botox Family mit Stef Flops und Bill Geiz“ gehört zum Spektrum der Fake News, welche das Programmheft verbreitete.

Fakt ist aber: Tim Isfort, seit dem letzten Jahr künstlerischer Leiter in Moers, führt sensibel und gerne mit schrägem Humor Regie. Ob die Fantasie-Namen im Programmheft eine Anspielung auf das „Höher-schneller-weiter“ des konventionellen Festival-Zirkus sind? Auch die Deko-Elemente vor der Festivalhalle sind sorgsam ausgewählt: Was wünscht sich der Ex-Revoluzzer von einst, der heute in Würde etabliert ist, am meisten? Gartenzwerge, zuweilen auch von schwerem Cannabis-Nebel umweht... 

Um Stimmungen, Synergien, weiche Fakten geht es, um dem Festival wieder ein neues, verjüngtes Gepräge zu geben. Neue Harmonie liegt in der Luft, wo früher Fronten zwischen Festivalmachern und -besuchern und der Stadtgesellschaft bestanden. Das Budget für die Programmierung des Festivals ist mittelfristig gesichert, fällt aber geringer aus als in der Ära des vorigen künstlerischen Leiters Reiner Michalke. Umso kreativer werden jetzt neue Entdeckungspfade ausgelotet, zum Beispiel viele aufstrebende junge Bands aus regionalen Szenen präsentiert. Auf dieser Basis die jahrzehntelang gewachsene internationale Anziehungskraft des Festivals zu erhalten, ist die Herausforderung für die Zukunft.

Die Zukunft hat in Moers schon oft früher als anderswo begonnen

Viele „Angebote“ zu neuen Erfahrungen strahlen vom Moerser Festivalgelände aus in die Stadt hinein: Ein kleiner Pickup fährt durch die Innenstadt, auf deren Ladefläche eine Pianistin Debussy und anderes konzertreif spielt. Der holländische Gitarrist Bram Stadhouders vernetzt sein Instrument mit einer riesigen Kirmesorgel, um das eigene Spiel mit polyphonen Linien und ambienten Klangflächen anzureichern. Wo ist in diesem Moment der Kommerz geblieben, der sonst jeden innerstädtischen Raum beherrscht?

Auch wird die benachbarte moderne Badeanstalt mit eindrucksvollen Unterwasserkonzerten bespielt, dessen Betreiber neuerdings auch die Festivalhalle unter die eigenen Fittiche genommen hat.

Abtauchen und dann im Schwebezustand die veränderte Räumlichkeit von improvisierten elektronischen und akustischen Schallereignissen erfahren – die Zukunft hat in Moers schon oft früher als anderswo begonnen. Spontane ästhetische Fachdiskurse mit anderen „Badegästen“ beim Abduschen gehören einmal mehr zu den typischen sozialen Erfahrungen im Moerser Kosmos.

Es spielen wieder viele Bands umsonst und draußen: Christian Lillinger, Ronny Graupe und Philipp Gropper musizieren sich in ein dichten, vor Komplexität überkochenden Spielrausch hinein – und alle hören zu, haben Spaß. Letztlich freut sich das Laufpublikum im Moerser Schlosspark an der Erkenntnis, dass die Welt eben doch aus viel mehr als C-Dur und Viervierteltakt besteht!

Das Hauptprogramm appelliert an den Ursprungsgeist des einstigen, 1972 gegründeten „New Jazz Festivals“. Gab es nicht mal eine Zeit, in der widerborstige Klänge ästhetischen Widerstand artikulierten? Nichts davon hat heute an Relevanz verloren, postuliert Peter Brötzmann im Podiumsgespräch. Um dann die berstenden Klangströme aus seinen Hörnern einer von ihm so benannten realexistierenden „Dummheit in der Welt“ entgegenzuschleudern. Das passte bestens zur ungebändigten Spielwut der US-Band Oxbow, die durch Brötzmanns Soundkaskaden maßgeblich bereichert wurden. Offenbart wurde eine fast schon fragile Lyrik in Brötzmanns expressivem Spiel. Vor allem später, als Brötzmann im Duo mit den sphärischen Slide-Glissandi aus der Pedal Steel Guitar von Heather Leigh dialogisierte.

In Moers darf man in der „ersten Reihe“ sein, um an künstlerischen Entwicklungen zu partizipieren. Fertig sind diese nie, denn das würde Stillstand bedeuten. Das trifft nicht nur, aber ganz besonders für das Berliner Melt-Trio zu, welches sich – gleich an mehreren Spielorten drinnen und draußen – von Ort und Zeit inspirieren, ja mitreißen ließ und mit postrock-affinen Gitarrensounds bisherige Zeitmaße aufbrach.

Die Halle aus verschiedenen Richtungen, auch von einer Bühne mitten im Zuschauerraum her, zu bespielen, gehört seit letztem Jahr zum Konzept. Mittendrin zu sein, sich sozusagen in einem konzentrischen Energiefeld zu fühlen – diesen Zustand lebte die Band „2000“ des Münsteraner Saxofonisten Jan Klare. Streicher und Bläser geraten in Reibung zueinander, schließlich geht daraus wie eine Synthese eine mächtige, und vor allem grundehrlich swingende Jazzstruktur hervor. Auf bemerkenswerte Weise führt die Residenzkünstlerin Josefine Bode die Blockflöte aus bisherigen Konnotationen heraus. In einem Triokonzert verband sie virtuose klassische und barocke Texturen mit neuer Musik und freier Klangimprovisation. 

Die angereiste Prominenz machte ihrem Ruf alle Ehre. Der Saxofonisten Ravi Coltrane legte eine bestechend fokussierte Sternstunde zwischen Postbop und modalem Jazz zusammen mit der Band des Trompeters Ralph Alessi hin. Ebenso hatte die WDR-Bigband eine in Ruhe gereifte Spielkultur entfacht – aber was ist auch anderes zu erwarten, wenn Vince Mendoza am Dirigentenpult und Peter Erskine am Schlagzeug agieren?

Wider die lärmende Dummheit der Welt

Jazz ist in Moers keineswegs nur eine Sache reifer älterer Herren. Wie ein Wirbelwind brachte die gerade 18 Jahre junge französische Pianistin/Keyboarderin DOMi die Tasten von Piano, Fender Rhodes und Synthesizer zum Glühen – gleiches tat der 17-jährige Bobby Hall auf Hammondorgel und Schlagzeug. Die beiden haben sich auf dem Berklee College of Music in Boston kennengelernt und sind sich darüber einig, was sie wollen: Nämlich sich jenseits des Studierens fantasievoll und energetisch freizuspielen. 

Tim Isfort liegt das Transparent-Machen des globalen kulturellen Reichtums am Herzen. Schon früher, noch unter Reiner Michalkes Leitung hat er erstaunliche Projekte nach Moers geholt. In diesem Jahr war der große Coup geplant. Um nichts Geringeres als um die Öffnung eines der letzten eisernen Vorhänge sollte es gehen. Isfort reiste nach Pjöngjang und redete mit den zuständigen Ministerien, bekam grünes Licht für die Einladung eines traditionellen nordkoreanischen Musikensembles nach Moers. Jedoch haben die deutschen Visa-Behörden auf Abschottung gesetzt. Der Dialog wird fortgesetzt. 

Hatte im letzten Jahr der Auftritt der Industrial-Band „The Swans“ für das wohl mit Abstand lauteste Konzert in der Moers-Geschichte gesorgt, so massierte in diesem Jahr ein treibend energetisches Finale deutlich angenehmer, aber kaum leiser die Zwerchfelle: Nicht weniger als zehn Schlagzeuger aus den vielen angereisten Bands vereinigten sich im Projekt „Talibam!Big Impakt“, einem wuchtig auftrumpfenden Schlagzeug-Noise-Gewitter wider die lärmende Dummheit der Welt. 

 

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