Als ein kurzes Intermezzo an dem bis vor drei Jahren spielfreien Abend vor der „Götterdämmerung“ gab es diesmal die pausenlose, späte Version von „Der fliegende Holländer“. Hatte in den Vorjahren der neue Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, Christian Thielemann, diese Produktion musikalisch geleitet, so übernahm für diesen Sommer Axel Kober das Dirigat und suchte dabei deutlich, sich von seinem Vorgänger abzusetzen, forsch beginnend, mit aufgerauhten Streicherklang und grell einsetzenden Bläsern ausgerichtet auf Gewitter und Sturm.
Da die Ouvertüre mit dem Münchner Erlösungsschluss aus dem Jahre 1865 erklingt und aus szenischen Gründen im 3. Akt die Schlusstakte für einen Umbau sehr verbreitert werden müssen, baut der Dirigent auch in der parallelen Situation der Ouvertüre enorme Ritardando-Rückungen. In der Folge leitet er das Ensemble sicher und das Orchester mit Emphase. Allerdings war er dabei am Premierenabend – wie sein Vorgänger – vor Bläserpatzern nicht gefeit, die insgesamt zu einer Dämpfung der Stimmung beigetragen haben. Zu einem Höhepunkt wurde das erfreulicherweise ungekürzte Terzett im zweiten Akt und das sich anschließende, vom Komponisten aus seiner ersten vollendeten Oper „Die Feen“ übernommene Thema des Glücksgefühls.
Im vierten Jahr wirkt Jan Philipp Glogers Inszenierung als eine Wagners Handlung paraphrasierende und in die Gegenwart des Flowing Business verlegte Erzählweise ungemindert frisch. Der asiatische, sich im Stream des Internet bewegende und zwischen seinen Flügen mit Cafe to go hochputschende Handelsreisende, Herr Holländer, ist der Handelsgepflogenheiten von Bestechung und käuflicher Liebe überdrüssig. Der Megagauner aus dem Nirwana des Daten-Dschungels sehnt sich nach einer echten Alternative. Dabei ist er offensichtlich kein Einzelfall, denn auch seine „Mannschaft“, eine bis hin zum Trolley und Kaffeebecher geklonte Vervielfachung seiner selbst, denkt wie er und strebt nach „ew’ger Vernichtung“.
Und dann gibt es einen zweiten asiatischen Händler, Herrn Daland, der mit seiner Firma „Südwind“ im Zeichen des Klimawandels einen großen Absatzmarkt für Ventilatoren besitzt und danach trachtet, nach einer Absatzflaute, möglicherweise durch Fusion, für seinen Produktion neuen Aufwind zu gewinnen. Er sucht nach neuen Handelsmodellen und Märkten und strebt nach Innovation. Folgerichtig verhindert sein Vordenker, Herr Steuermann (Benjamin Bruns mit großartigem, individuellen Rollenprofil), beim Suizid der Tochter Dalands jegliche Hilfestellung, denn er hat spontan die Geschäftsidee, den Liebestod des Paares durch die Firma „Südwind“ als beleuchtete Miniskulptur zu vermarkten.
Im Bühnenbild von Christof Hetzer verlangsamt sich der endlose Aufwärtszahlenfluss der Anzeigetafeln bei der Begegnung der asiatischen Händler, um nach Abschluss der Geschäftsvereinbarung sich um so schneller weiter hoch zu spulen.
Holländer (in bewährter Präzision: Samuel Youn) nimmt auf den Kartons des Ventilator-Betriebes „Südwind“ sogleich jene herausragende Position ein, die zuvor ein von Senta als modernes Standbild gefertigte „Fliegender Holländer“-Dummy innehatte.
Daland (profund und souverän, mit hintersinnigem Witz: Kwangchul Yun) reicht dem potenziellem Brautpaar noch vor deren erstem Dialog Sekt, aber Tochter Senta gießt den Sekt ostentativ aus und Holländer lässt sein Glas unberührt. Dafür gibt sich das Paar gleich nach dem ersten Duett einen langen, intensiven Kuss.
In einem nach vorne fahrenden Bühnenwagen fallen auf rotierender Drehscheibe unterschiedlich große, sich verjüngende und anwachsende Schattenbilder von Senta und dem Holländer auf die Plastikwände, welche per Projektion zunächst in schwarzer Schütttechnik übergossen werden. Anschließend wandelt sich die Projektion zu einer Fluchtfahrt durch strukturierte Baumstämme (Video: Martin Eidenberger), bis diese in Schieflage geraten und dann Kopf stehen (so als würde der Raum sich über Kopfstand drehen, wie in der vorletzten Bayreuther Inszenierung von Dieter Dorn und Jürgen Rose die leere Daland-Stube).
Zur Neu-Neubayreuther Ikonographie gehört das suizidale Pulsadernaufschlitzen, das hier transformiert erscheint zur Blutsbrüderschaft des Liebespaares (wie weiland Gunther und Siegfried in der „Götterdämmerung“). Auf einem (im Vorjahr weggefallenen, nun wieder hinzu gekommenen) Spaziergang macht sich das Liebespaar über die Bevölkerung lustig, mit Gesten des Bescheuertseins.
Hausmeister Erik trägt aufgrund seiner Klebepistole bei der weiblichen Belegschaft den Spitznamen „Jäger“. Als erneutes Werbegeschenk für Senta bringt er Dalands Tochter ein Edelweiß – jene „Hochlands Blume“, von der er in der Kavatine des dritten Aktes singt, was Tomislav Muzek mit Spieltenor beachtlich gelingt. Dagegen bleibt Christa Mayer als Produktionsleiterin Mary, trotz ausgespieltem Männer-Fishing, im Gegensatz zu ihrer Leistung als Brangäne, dramatisch eher blass.
Obgleich Ricarda Merbeth als Senta die Phase „Kann meinem Blick Teilnahme nicht verwehren“ textlich gänzlich vergessen hatte und damit partiell auch ihren Tenor-Partner ins Straucheln brachte, ist ihr Umgang mit der Partie leichter geworden. Erik, der sie an ihr Treueversprechen erinnert, zeigt Senta den Vogel, und auf seine Frage „Leugnest du?“ nickt sie schlichtweg. Die flapsige Göre mit Künstlerattitüde und Selbstverwirklichungsdrang bis zum Anlegen selbst gebastelter Engelsflügel und dem Pfählen des eigenen Unterleibs, verkörpert sie glaubhaft.
Berechtigte Triumphe erntet an diesem Premierenabend der von Eberhard Friedrich trefflich einstudierte Festspielchor, von Karin Jud als graue Bürohengste und in Designerkleidchen gewandet. Chor und real existierender Geisterchor singen präzise und mitreißend. Sie agieren teils schematisch, auch mit eingefrorenen Bildern, teils individualisiert und dabei geradezu befreit mit übergreifender Spielfreude.
Das Premierenpublikum übte keinen Widerspruch, geizte nicht mit Applaus und Bravorufen.
- Die nächsten Aufführungen: 3., 8., 15., 19. und 28. August 2015.