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Semele an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
Semele an der Komischen Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus
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Erotischer Opern-Traum – Händels „Semele“ an der Komischen Oper Berlin

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Der drei-dreiviertelstündige, aber in seinen szenischen Erfindungen und Umsetzungen überaus kurzweilige Premierenabend, durchwegs mit sängerischen Spitzenleistungen, erntete einhellige Begeisterung.

Dabei schien die jüngste Produktion an der Komischen Oper Berlin zunächst unter keinem günstigen Stern zu stehen. Als die Regisseurin Laura Scozzi nach einer Woche Proben erkrankte und ihre Arbeit niederlegen musste, rettete Hausherr Barrie Kosky als Einspringer. Aber am Premierentag schien Nicole Chevalier aufgrund einer Virusinfektion nicht in der Lage, die Titelpartie zu singen; die auf die Schnelle engagierte Heidi Stober saß im Graben um dem Spiel ihrer Kollegin notfalls die Stimme zu leihen und um so zugleich, wie Kosky in seiner Ansprache vor dem Vorhang witzelte, das kurzfristige Konzept einer stimmlich schizophren gezeichneten Hauptpartie zu erzeugen. Doch dazu kam es dann nicht.

Deutsche Stummfilmtitel auf dem roten Hauptvorhang umreißen die knappe Handlung der Geliebten von Jupiter: durch den Einfluss von dessen eifersüchtiger Gattin Juno lässt Semele sich verleiten und erpresst Jupiter, sich ihr in seiner wahren, göttlichen Gestalt zu zeigen, wodurch sie zu Asche verbrennen muss.

Die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung als schlüpfrig empfundene Handlung in einem englischsprachigen Libretto von William Congreve – im Gegensatz zu der von Händel für seine Opern gewählten italienischen Sprache – erlebte im Februar am Londoner Covent Garden ihre Uraufführung; aufgrund der Fastenzeit nicht als Oper, sondern konzertant als Oratorium.

Bühnenbildnerin Natacha Le Guen den Kerneizon hat einen grauen Gothic Room mit hohen Spiegelwänden auf die Bühne der Komischen Oper wuchten lassen. Die von Carla Teti entworfenen Kostüme verzichten weitgehend auf barocke Assoziationen, spannen den Bogen von bäuerlicher Kleidung des 19. Jahrhunderts bis zu heutiger Abendkleidung.

Mit Slapstickmomenten entfesselt Kosky eine bizarre Hochzeitszeremonie, vor der Semele entflieht: sie verschwindet in der Feuerstelle des Kamins und taucht später auf der anderen Seite des blinden Kaminspiegels wieder auf. Jene Landschaft, in der Jupiter sie auf ihren Wunsch entführt hat, ist das identische Schlossambiente, allerdings in anderem Licht; einmal bricht gewaltiges Blätterwerk durch die Rahmen der in die Höhe gezogenen Spiegelflächen.

Das Mittel der Spiegelwelten hat der Regisseur als Gestaltungsmittel weiter durchgezogen: die Chormitglieder (Einstudierung: David Cavelius) halten sich rechteckige Spiegel vor ihre Gesichter, und später steigert Semeles Schwester Ino durch mitgebrachte, von ihr an den Wänden befestigte, weitere Spiegel das narzisstische Schönheitsempfinden von Semele. Alle Szenen sind minutiös gearbeitet und verlangen den Sängerdarsteller_innen auch körperliche und mimische Höchstleistungen ab.

Immer wieder sorgen heitere Momente für Auflockerung. So ist etwa Ezgi Kutlu als Jupiters eifersüchtige Gattin Juno eine bis in die Mimik hinein total überdrehte Exzentrikerin, verlängert noch durch ihre Dienerin Iris: Nora Friedrich gibt eine witzige Sportskanone, die auch mal den Abschluss ihrer Gesangslinie zu einer Pop-Version umformt. Mit ihren Fingernägeln erzeugt Juno (elektroakustisch unterstützt) grauenvoll quietschende Geräusche, wenn sie an der Spiegelfläche kratzt.

Elektroakustik als lautmalerisches Leitmotiv ist auch jeweils dann im Einsatz, wenn Jupiter mit überlauten Donner naht. Dann aber, in seiner menschlichen Gestalt, ist er um so weicher: biegsamer und gelenkig, stimmlich mit Leichtigkeit und Schmelz, aber auch mit heldischer Tongebung, verkörpert Allan Clayton einen schubbernden Salonlöwen, der mit pink Socken und Lockenmähne seine Geliebte umgirrt. Mit einer Einspielung jener Ohrwurm-Arie Jupiters, mit welcher der erste Teil geendet hatte, beginnt in der Berliner Aufführung auch der zweite.

Zum Paradebeispiel der Verführung eines jungen Schönlings durch gleich zwei Frauen gleichzeitig gerät die Erweckung des Schlaf-Gottes: die solitäre erotische Dreierszene von Juno, Iris und Somnus, den Evan Hughes mit nacktem Oberkörper und langem Glitzerohrring gesanglich trefflich interpretiert, lohnt alleine bereits den Besuch dieser Opernproduktion.

Als ihre rivalisierende Schwester Ino steht der Titelheldin mit Katarina Bradić eine treffliche Mezzosopranistin gegenüber, die Semele in dem von Juno mit Somnus’ Hilfe evozierten Traum erscheint und alles das, was die Göttergattin der Nebenbuhlerin mit einigem Abstand singt, der Schwester lippensynchron nah vermittelt.

Obgleich der von Semele abgewiesene Ehemann Athamas zu einem beckmesserischen Zerrbild eines Hochzeiters durchgestylt ist, bewahrt der Counter Eric Jurenas doch menschliche Züge und gewinnt dank seiner stimmlichen Charakterisierung auch Sympathien. Philipp Meierhöfer liefert eine bassprofunde Charakterstudie des mit den Exzessen seiner Töchter heillos überforderten thebanischen Königs Cadmus.

Nicole Chevalier, im ersten Teil stimmlich zurückhaltend, legte sich im zweiten Teil, bei zurückkehrender Stimmgewalt, keinerlei Beschränkungen auf und exerzierte ihre große Arie, in kurzen Pausen noch durch rhythmisch hörbares Küssen ihres Spiegelbildes angereichert, zu einer überaus virtuosen Koloraturgesangsdarbietung. Nach Ende der Arie brach gefühlt minutenlanger Jubel des Publikums aus: die eruptive Emphase gemahnte mehr an ein Fußballfeld als an eine Operndarbietung.

Gegen Ende bekommt der Abend, mit dem erneuten königlichen Hochzeitfest, dann doch Längen, denn dramaturgisch wäre auf Manches, was hier vom Komponisten für eine konzertante Version konsekutiv erzählt werden muss, in der Bebilderung zu verzichten gewesen – aber wohl nicht im Sinne einer lückenlosen musikalischen Übermittlung durch den Barockexperten Konrad Junghänel, der aus der Partitur Modernität herauszukitzeln bemüht ist und den „Beat“ in den festen Formen der barocken Arien betont.

Allerdings verzichtet die Inszenierung, und dies auch im Gegensatz zur Darstellung der Handlung im Programmheft, auf das Erscheinen des Sohnes von Semele, der bei Ovid und auch in der Handlung des Oratoriums als Gott Dionysos aus der Asche seiner verbrannten Mutter emporsteigt. Stattdessen wäscht sich das wiedervereinte göttliche Paar in der Asche gemeinsam die Hände – während der blutig und mit Rauchspuren verunstaltete Leib der Titelheldin das Geschehen post mortem auf dem Kaminsims sitzend betrachtet.

Exakt um 23:00 Uhr verklingt der letzte Akkord des unter Konrad Junghänels Leitung stets überaus akkurat und sauber aufspielenden, aber angesichts der fulminanten Reize der Szene vielleicht doch etwas zu gleichförmigen Orchesters der Komischen Oper Berlin inklusive der vier Instrumentalsolisten als Continuo.

Uneingeschränkt heftiger Jubel dehnte die mit 3 1/4Stunden angekündigte, überzogene Premiere weiter gen Mitternacht.

  • Weitere Aufführungen: 18., 26. Mai, 3., 15. Juni und 10. Juli 2018.
  • Außerdem für 6 Monate auf www.Operavision.eu

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