„Ein Komponist hat sich für jedes neue Werk ein neues Instrumentarium zu schaffen.“ Der Komponist Helmut Lachenmann bleibt sich in diesem Motto treu. Es geht ihm ums Wahrnehmen als intensivere Form des Hörens. Denn hören kann man allerlei, Wahrnehmen aber verlangt doppelte Hinwendung: auf das Klingende und auf das eigene Subjekt. Was er einst mit sprengender Radikalität, beinahe mit Zertrümmerung des Instrumentariums, anging – Lachenmann verweist gerne auf seinen „guten schlechten Ruf“ –, macht er nun aber subtiler. Provokation hat er heute weniger nötig denn je. Und Lachenmann irritiert diejenigen, die in eben der Provokation sein Hauptanliegen sahen.
Jeder schöpferisch Tätige ist dazu aufgefordert nachzuweisen, dass das Erleben, das Erfahren noch nicht am Ende ist. Das an sich Selbstverständliche ist in letzter Zeit aber dennoch in Zweifel gestellt worden. Die Mittel seien ausgereizt, jeder Klang sei zumindest theoretisch schon formuliert und so bliebe als Ausweg nur die Flucht zurück, um aus dem alten Reservoir neue Konstellationen zu erstellen. Wer so argumentiert, lässt sich schon vorab nicht auf die Herausforderung ein, Musik, das Verhältnis von Klang und Subjekt innovativ zu denken. Auch wenn ungewohnte Kombinationen Blickwinkel verändern mögen, bleibt doch allzu oft die satte Befriedigung am Spaß mit alten Ausdrucksmitteln: So, wie wenn man sein Zimmer umräumt, um anders zu wohnen. „Ein Komponist hat sich für jedes neue Werk ein neues Instrumentarium zu schaffen.“ Der Komponist Helmut Lachenmann bleibt sich in diesem Motto treu. Es geht ihm ums Wahrnehmen als intensivere Form des Hörens. Denn hören kann man allerlei, Wahrnehmen aber verlangt doppelte Hinwendung: auf das Klingende und auf das eigene Subjekt. Was er einst mit sprengender Radikalität, beinahe mit Zertrümmerung des Instrumentariums, anging – Lachenmann verweist gerne auf seinen „guten schlechten Ruf“ –, macht er nun aber subtiler. Provokation hat er heute weniger nötig denn je. Und Lachenmann irritiert diejenigen, die in eben der Provokation sein Hauptanliegen sahen. „Serynade“ heißt sein neues, groß dimensioniertes Klavierwerk (1998–2000), das in seiner endgültigen Gestalt beim Eclat-Festival in Stuttgart uraufgeführt worden ist. Im März gab es in der Akademie der Schönen Küns-te in München eine weitere Aufführung. Das großartige, von Lachenmanns Frau Yukiko Sugawara vorgestellte Stück ist nichts weniger als der Beweis, dass der hörend suchende Geist immer wieder Neues im Reich der Klänge zu entdecken vermag. Lachenmann reagiert hiermit auch auf die postmoderne Verdrossenheit manch junger Komponisten, die penetrant von der Erschöpfung aller musikalischer Mittel sprechen. Nein, so entgegnet Lachenmann, nicht die Welt der Klänge ist ausgereizt, allenfalls mag man mangelnden Spürsinn, Trägheit beklagen. Solches aber war schon immer Feld des künstlerischen Tuns.Eigenartig ergeht es dem Hörer bei dem Stück. Ständig werden mit geradezu obsessiver Besessenheit herb akzentuierte Klänge angeschlagen. Durch diffiziles Halten bestimmter, immer anders gewählter Tasten, durch vielfältige Pedaltechniken, durch prallende Repetitionen und vieles mehr entsteht dann ein schwirrendes Reich aus Schwebeklängen, aus Mixturen, aus vermummten oder offenen Klangbereichen. Merkwürdig: Obwohl im Grunde ganz normal gespielt wird, vergisst der Hörer im Verlauf der „Serynade“ immer mehr, dass es sich hierbei um ein Klavier handelt. Plötzlich nimmt man ein geheimes Reich wahr, das schon immer im Klavierspiel schlummerte, ja bewusst oder unbewusst zur Anschlagskultur, zur Klangdifferenzierung der großen Pianisten beitrug, und das nun in großer Entfaltung wie die Erscheinung einer Sphinx vor einem steht.
Solches zu erleben gibt, schöpferisches Tun hatte schon immer diese Aufgabe, Zuversicht: Der Geist ist trotz mancher Unkenrufe noch nicht am Ende.