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Das Dresdner Festspielorchester unter Ivor Bolton im Kulturpalast: Foto: Killig
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Erwachen heiterer Gefühle nach dem Lockdown

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Die 44. Dresdner Musikfestspiele gab es zum Teil physisch
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Auf ihrer Website wirkt alles so einfach. Da präsentierten die Dresdner Musikfestspiele Streamings der diesjährigen Veranstaltungen und verkündeten frohgemut: Im Herbst machen wir weiter mit Programmen, die im Frühjahr hätten stattfinden sollen. Beim Eröffnungsabend am 4. Juni (nicht wie geplant am 14. Mai) stand im Schaukasten am Kulturpalast noch immer das ursprüngliche Festspielprogramm in der Version vom Herbst 2020. Die „Dialoge“, das Motto 2021, wurden trotz gelockerter Lockdown-Bestimmungen auf die Hauptpunkte verknappt.

Langsam füllte sich wieder die Innenstadt: Einheimische und Gäste aus dem nahen Tschechien stürmen die Einkaufsmeile vom Hauptbahnhof zum Kulturpalast, auch das „Szeneviertel“ Neustadt belebte sich an den ersten wirklich warmen Tagen des Jahres festspielgemäß. Die Schwelle zum physischen Kulturerleben war nicht schön, aber nötig: Das Ausfüllen der Personalien vollzog sich im Atmosphäregemisch von Wahllokal und Prüfungsanmeldung. Die wichtigen von Intendant Jan Vogler angekündigten Konzerte fanden bis Ende Mai nur im Netz, ab Juni physisch statt. Die Kooperationsveranstalter in Stadt und Region hatten allerdings größtenteils das Nachsehen. Also kein Liederabend mit Samuel Hasselhorn im Schloss Wackerbarth, kein Kammerorchester Basel in der Frauenkirche und das Musikvermittlungsprojekt „Beethoven im Wald“ kommt erst im November 2021. Die Gastspiele internationaler Spitzenorchester wurden in Reihe abgesagt, die von 2020 nachgereichten Hommagen zum Beethoven-Jubiläum gelichtet. Glanzpunkte wie Robert Schumanns Oper „Genoveva“ in der Reihe „Originalklang“ kommen irgendwann, in den Juli verschoben wurden Aufführungen der Dresden Frankfurt Dance Company im Festspielhaus Hellerau. Es entfielen also viele Veranstaltungen im breiten Feld zwischen Traditionspflege und dem glanzvoll Zeitgenössischen – auch Schostakowitschs Leningrader Sinfonie mit dem Gustav Mahler Jugendorchester unter Daniele Gatti, das allerdings anreiste und zu Pfingsten ohne physisches Publikum in Streaming-Aufzeichnungen der vier Sinfonien von Robert Schumann glänzte.

Immerhin waren die Musikfestspiele durch die pandemischen Umstände von einem riesigen Knall entkoppelt: Richard Strauss’ „Capriccio“ hätte am 16. Mai die Festspielpremiere „in Kooperation mit der Semperoper“ werden sollen. Die Generalprobe mit Strea­ming-Aufzeichnung fand eine Woche früher vor wenigen Medienvertretern statt. Das von der Sächsischen Staatskapelle unter Christian Thielemann wie selbstverständlich erwartete Strauss-Glück wurde erwartungsgemäß gefeiert. Zwei Tage später gab die sächsische Kulturministerin Barbara Klepsch bekannt, dass der Vertrag von Chefdirigent Thielemann nicht über die Spielzeit 2023/24 hinaus verlängert werde. Mit der designierten Intendantin Nora Schmid werde man eine Perspektive „Semper 2030“ entwickeln, in der die Leitung „teilweise neue Wege zwischen tradierten Opern- und Konzertaufführungen und zeitgemäßer Interpretation von Musiktheater und konzertanter Kunst gehen (werde) müssen.“

Eine solche Vielfalt muss man von Musikfestspielintendant Jan Vogler nicht einfordern. Er, der letzten Herbst die Livekonzert-Plattform „Dreamstage“ entwickelte und mit den digitalen Eintrittspreisen nach ersten Erfahrungswerten etwas herunterfuhr, ist ein ambitionierter Verfechter urbaner Durchmischungen. Die digitalen Veranstaltungen spiegelten es: Vogler präsentierte die Schauspielerin Katja Riemann mit dem Pianisten Sebastian Knauer und in einem „Liederabend mit satirischem Anstrich“ die Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager, den Pianisten Julius Drake und den Satiriker Alfred Dorfer. Wegen des physischen Totalausfalls der Dresdner Musikfestspiele 2020 finden viele Beethoven-Hommagen nunmehr auf der Zielgeraden zu dessen 251. Geburtstag im Dezember 2021 statt. Die Balance zwischen Tönen und Texten, zwischen Hauptveranstaltungen und pittoresken Nebenschauplätzen, bleibt erhalten.

Zwei Kooperationsprojekte neuer Musik wanderten ins Netz und verloren dort zwangsläufig das Dresden-Spezifische. Die Uraufführung von William Blanks Tripelkonzert „Alisma“ fand nicht im Kulturpalast, sondern als Streamkonzert mit Vogler am Cello, der Geigerin Mira Wang und dem Klarinettisten Daniel Ottensamer mit dem Philharmonisches Staatsorches­ter Hamburg unter Kent Nagano in der Elbphilharmonie statt. Nach Barbara Hannigan im Jahr 2020 sollte der amerikanische Komponist John Adams (Oper „Nixon in China“) für sein Lebenswerk den seit 2004 bei den Musikfestspielen vergebenen Glashütte Original MusikFestspielPreis erhalten. Am 30. Mai wurde das vorgesehene Dresdner Konzert mit Adams’ großem Orchesterwerk „Harmonielehre“ durch ein Streaming aus New York City mit Adams’ kürzeren „Shaker Loops“ und „I still play“ ersetzt. In der zeitgenössischen Musik setzen die großen Dresdner Musikfestspiele demzufolge auf internationale Achsen. Die Gedenkreihe der Sächsischen Staatskapelle an den „Capell-Compositeur“ Giuseppe Sinopoli, ihren 2001 verstorbenen Chefdirigenten, zerschlug sich wegen Corona.

Was die Pandemie nicht platt mach­te, das schaffen die Großbaustellen. Die Sächsischen Landesbühnen können ihr Stammstück, Webers „Freischütz“, zu dessen 200. Jubiläum nur in kleiner Fassung aufführen, weil die Felsenbühne Rathen saniert wird. Bei so vielen Veränderungen, Verzichten und Ausfällen (darunter auch die ins Digitale verlegten Feiern zum 150-Jahre-Jubiläum der Dresdner Philharmonie im November 2020) vervielfachte sich die Bedeutung der „echten“ Musikfestspiele-Eröffnung. Wie Solo- und Kammerbesetzungen im Kulturpalast unerhört transparent, klar und schön bis in den letzten Kubikzentimeter vernehmbar sind, gleicht dessen phänomenale Akustik die vergrößerten Abstände zwischen den Streichern des Dresdner Festspielorches­ters aus. Es gab Beethovens Fünfte und Sechste im Doppelpack wie zur Uraufführung 1808 in Wien – zweimal am gleichen Tag für halbiertes Publikum. Ivor Bolton ermöglichte Fülle und abfedernde Deutlichkeit. Die Musiker zeichneten in der Fünften Schmerz als Drängen und Pulsieren aus brillant modellierten Akkorden. Das Andante con moto nahm Bolton deutlich rhythmisierend, der dritte Satz hatte nichts von metaphysischer Düsternis. Farbabmischungen der Hölzer gerieten faszinierend, das Zusammenspiel der beiden unterschiedlichen Hörner wurde zu einem Fest und der sonst so apotheotische Taumel des Schlusssatzes wich liedhafter, bewegter Freude. Noch freier agierte das Festspielorchester im Eröffnungssatz der Pastorale, bevor die Sinfonie im hörbar gemachten Weben der Natur endete. Sensibel gesetzte Sforzati und das Dialogisieren der kleinen Instrumentengruppen steigerten die „heiteren Empfindungen“ zu leiser und umso eindrucksvollerer Euphorie.

Am Abend davor gab es vergleichbar hochrangige Glücksgefühle. Arcadi Volodos wirkt in Franz Schuberts Klaviersonate G-Dur D 894 op. 78 aus Tönen schier endlose Gedankenketten – sehnsüchtige, melancholische und nie traurige. Die Zeit schien zu stehen. Nach der Pause und Johannes Brahms’ Sechs Klavierstücken op. 118 gab Volodos sechs oder sieben Zugaben. In solchen Momenten bemerkt man, was man in den Lockdown-Monaten vermissen musste. Das Erleben von Schönheit in gefühlter Nähe leitete die dringend nötige Befreiung von den Detaileinstellungen der Streamingkameras ein. Unter solchen Umständen klang der Applaus des nicht einmal halb gefüllten Kulturpalastes herzlich und gemessen. Die Dresdner Musikfestspiele finden in Sommer-Konzerten und einem Herbst-Festival vom 31. Oktober bis 28. November 2021 ihre außerplanmäßige Fortsetzung.

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