„Salome“ von Richard Strauss: großartig in tausend Farben 1905 komponierte Musik für eher abstoßendes Thema nach Oscar Wilde. Die 16jährige judäische Prinzessin Salome verliebt sich in den Propheten Jochanaan und fordert aus Rache, weil der sie nicht will, seinen Kopf auf einer Silberschüssel. Das gewährt ihr der von Rom eingesetzte Tetrach Herodes, der ihr hörig ist und in ihrer Schuld steht, weil sie für ihn getanzt hat.
In Hannover hat jetzt das Werk Ingo Kerkhof inszeniert, der zunächst einmal alle Ausstattung wegließ: es gab keine Terrasse am Palast des Herodes, keine entsprechenden Kostüme, die Protagonisten der ersten Szene stehen sich auf dem ersten Rang in schwarzen Anzügen gegenüber. Salome steht ganz hinten in einem Lichtschlitz, in den sie auch am Ende wieder verschwindet. Dann entwickelt sich das Drama weiterhin ohne Requisiten, was dem Regisseur die Möglichkeit gibt, sich allein mit der Psychologie der Rollen zu beschäftigen. Und die nutzt er voll. Auch der Wüstenprediger Jochanaan: keiner Zisterne entsteigt er, sondern – auch im schwarzen Anzug, aber barfuß – ist einfach da, gewinnt so den Eindruck einer Erscheinung. So kann das erste Duett zwischen Salome und ihm ambivalent entwickelt werden: beide kritisieren ja den korrupten Staat und Jochanaan lässt Salome schon nah an sich heran. Aber eben nicht ganz, da muss sie sich wie ein Äffchen an ihm festklammern (ein außerordentliches Bild!), bis er sie abschüttelt und einen beleidigten und rachsüchtigen Teenager hinterlässt …
Es gelingt den SängerInnen, aus diesem skelettartigen Ansatz eine Psychogeschichte voller Spannung zu gestalten, die keine Sekunde nachlässt. An erster Stelle steht hier die niederländische Sopranistin Annemarie Kremer, die mit geradezu phänomenaler Stimmkraft und ebenso starker Gestaltung der pubertären Göre die Reife einer Frau zukommen lässt, die um die Liebe weiß. Der Komponist wünschte sich ein „Kind mit Isoldenstimme“. Kremer fing alles von Salomes gebrochener und vielschichtiger Persönlichkeit ein: die verliebte Kindfrau, die ordinäre, von ihrer Mutter Herodias unterstützte Königstochter, die weltentrückt Wahnsinnige. Robert Küntzli als angstschlotternder Herodes („Es wird Schreckliches geschehen“) steigerte stimmlich und darstellerisch mehr als spannend die wachsende, am Ende überschwappende Emotionalität, Khatuna Mikaberidze entlockte der Herodias viele Aspekte ihrer zerrütteten Ehe und Brian Davis als Jochanaan vermeidet alles Salbungsvolle, betont mit wunderbarer Stimme die Ambivalenz zwischen Vision und Wirklichkeit. Zu einem wirklichen Mann wird er erst als Kopf, wenn Salome ihre Liebe offenbart.
„Der Tanz der sieben Schleier“, den gibt es so auch nicht, sondern Salome treibt den ganzen Hof inklusive Herodes und Herodias in eine Orgie, in der alle überdrehen („Betriebsparty auf einer Vorstandsetage“ hat Kerkhof seine Lösung bezeichnet). Das ist geschmackvoll und gut gemacht. Nicht zuletzt: ebenso wild wie makellos tanzten und glitzerten die unerhörten Orchesterfarben, die das Niedersächsische Staatsorchester unter der Leitung von Ivan Repušić zauberte. Ein großer Abend!