Weimar 1923. Zum ersten Mal präsentieren die kreativen Kräfte des Bauhauses öffentlich, was sie schaffen. Sie lassen sich über die Schulter schauen bei einem schöpferischen Tun, das den „neuen Bau der Zukunft“ errichten möchte: ein ideelles Gebilde, im Reellen gründend auf der Hände Werk und auf dem vernetzten Ineinandergreifen verschiedenster Disziplinen. Das Bauhaus bietet ein Experimentierfeld, auf dem neu gedacht und neu gemacht wird: in Architektur, Kunst und Handwerk – und Musik. Denn so ist während der fünftägigen Bauhaus-Woche in Weimar nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören, was die 1919 gegründete Kunst-Schule kann und will. Das Bühnenprogramm umfasst neben Vorträgen und Theateraufführungen, auch jede Menge Musik: Zeitgenössisches von Igor Strawinsky, Paul Hindemith oder Ferruccio Busoni, und Wiederentdecktes vor allem vom Meister der Fuge, Johann Sebastian Bach.

Die Bauhaus-Kapelle im Jahr 1930. Foto: Unbekannt/Bauhaus-Archiv Berlin
Experimentierfeld mit starken Bezügen zur Musik
An diese Bauhaus-Woche knüpft ein neues, auf drei Jahre angelegtes Veranstaltungsformat an: Das „bauhaus music weekend“, das im September seine erfolgreiche Premiere in Berlin gefeiert hat und damit eben dort, wo das Bauhaus nach dem Aufbruch in Weimar und der Blüte in Dessau für ein Jahr eine Bleibe fand, ehe es 1933 auf Druck der Nationalsozialisten geschlossen wurde.
Seit 2021 erforscht der Kölner Musikwissenschaftler Kai Hinrich Müller gemeinsam mit dem Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung das, was sich am Bauhaus musikalisch ereignete. Das ist erstaunlich viel. Knapp 165 Musikschaffende oder musikaffine Künstlerinnen und Künstler sind bereits aufgespürt worden; ihre Biographien werden aktuell in einem Handbuch gebündelt. Die Forschungsergebnisse wolle man auch klingen lassen, unterstrich die Direktorin des Bauhaus-Archivs in Berlin, Annemarie Jaeggi. Und so ist die Musik, die rund um das Bauhaus komponiert, gespielt und gehört wurde, wieder neu erlebbar.
Beim ersten „bauhaus music weekend“ gab es diesen besonders starken historischen Ankerpunkt. „Wir beziehen uns auf die große Weimarer Bauhaus-Ausstellung des Jahres 1923“, sagt die Pianistin Michal Friedlander, die gemeinsam mit Kai Hinrich Müller und dem Klarinettisten und Dirigenten Karl-Heinz Steffens die künstlerische Leitung inne hat. 2023 standen im Meistersaal am Potsdamer Platz in Berlin damit etliche jener Werke auf dem Programm, die einhundert Jahre zuvor gespielt worden sind. Mit dem Blick zurück schärft das künstlerisch-wissenschaftliche Festival die Sicht auf die Gegenwart. Denn in der inhaltlichen Reflexion und in der musikalischen Interpretation ist der Ansatz immer ein mindestens heutiger.
Das zeigte sich etwa in der „Geschichte vom Soldaten“ von Igor Strawinsky. Der Soldat, von dem mit sarkastischer Schärfe erzählt wird, verliert sich auf seiner Lebenswanderung. Er sucht, was er nicht hat, verwirft, was wert und wichtig ist. Der Schauspieler Itay Tiran (Theater an der Burg, Wien) verlieh dem Sepp eine Stimme und dem Teufel auch. Die Musikerinnen und Musiker des Festivals, allesamt von ausgezeichneter Reputation, gaben dem Gefühlswechselbad des Soldaten eine klanglich scharfe Kontur. „‘s ist Krieg“ – die Claudius’sche Klage scheint hier mehrfach unterstrichen. Krieg war und ist und tobt durchaus im Menschen selbst.

Zeichnen verantwortlich für das „bauhaus music weekend“ (v.l.): Kai Hinrich Müller, Annemarie Jaeggi, Michal Friedlander und Karl-Heinz Steffens. Foto: Claudia Irle-Utsch
Einen anderen Fokus legten die Festivalmacher auf den 1902 in Berlin geborenen Komponisten Stefan Wolpe. Er war eng mit dem Bauhaus verbunden und brachte sich in diesem komplementär angelegten System des künstlerischen Tuns mit seiner Sprache ein. Kai Hinrich Müller: „Er ist einer der faszinierendsten Musiker rund um das Bauhaus.“
Als Wolpe seine Musik zu Molières „Le malade imaginaire“ schrieb, war er längst nicht mehr in Deutschland. Er habe sich 1933 plötzlich mehrfach als verbannt gesehen; als Jude, Avantgardist und Kommunist, so Michal Friedlander. Seine Hoffnung richtete sich auf einen Neuanfang in Palästina. Doch der Versuch, dort Fuß zu fassen, misslang. Wolpe konnte seinen Platz in Israel nicht finden, weder künstlerisch noch politisch-gesellschaftlich. Er exilierte erneut, ging in die USA und wurde dort und von dort aus bis zu seinem Tod am 4. April 1972 in New York zu einer international anerkannten Größe in der Neuen Musik.
Das „bauhaus music weekend“ bot seiner Musik breiten Raum. Mit der Bühnenmusik zum „eingebildeten Kranken“, mit zwei Werken für Klavier und mit zweien seiner neu arrangierten jiddischen Volkslieder. Aufgeführt hatte Wolpe diese mit der Sängerin Raja Ermollnikoff einst im nämlichen Meistersaal.
Perspektiven für die Gegenwart eröffnete das „bauhaus music weekend“ auch im Zusammenspiel mit Absolventinnen und Absolventen der Barenboim-Said Akademie und Schülerinnen und Schülern aus einem 11er-Leistungskurs Kunst. Das Melodram „Pierrot lunaire“ von Arnold Schönberg bewegte junge Menschen zur eigenen Auseinandersetzung mit Werk und Autor. Werkstattkonzert und Workshop fanden im temporary bauhaus-archiv statt, dem zeitweisen Zuhause des Bauhaus-Archivs. Noch zeigt sich dessen ursprünglicher Berliner Standort als Großbaustelle, doch der mehrstöckige durchlässig-weiße Turm leuchtet schon. Die Idee aus Weimarer Zeiten hat an Kraft nicht verloren.
2024 widmet sich das Festival unter dem Motto „Freiheit“ der musikalischen Avantgarde, 2025 geht es in die Welt der Oper.
Weiterlesen mit nmz+
Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.
Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50
oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.
Ihr Account wird sofort freigeschaltet!