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Simon Rattle dirigiert. Foto: © Markus Konvalin

Simon Rattle dirigiert. Foto: © Markus Konvalin

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Exzellenz und Tradition – Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks feiert mit einem „besonderen“ Konzert

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Hilfreich für den Konzertbesuch und die Vertiefung des künstlerischen Verständnisses: Werfen Sie Ihr Sprach-Übersetzungsprogramm an! Denn schon nördlich der Donau und endgültig jenseits des „Weißwurstäquators Main“ braucht der Kulturfreund Hilfe – und dann tut sich ein nahezu immenser Musikhorizont auf, auch nachhör- und nachsehbar.

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Wie die Rundfunkanstalt selbst feiert auch das renommierte Symphonieorchester „75 Jahre“ und darf sich darin sonnen, zu den an nur einer Hand abzuzählenden Spitzenensembles der Musikwelt zu gehören. Wenn dann noch eine weltoffen neugierige Persönlichkeit wie Sir Simon Rattle seit 2023 die Chefposition einnimmt, dann gibt es neben der „Strahlenlockenpracht“ in Schönbergs „Gurreliedern“ eben auch einen „Baierischen Hoagascht“… eine Fortsetzung seiner „Education“-Programme bis hin zu „Rhythm is it“.

„Majestät, wea ko, dea ko“ soll ein bayerischer Brauereibesitzer hutziehend und entschuldigend gesagt haben, als er einst – protokollarisch skandalös und strahlend selbstbewusst – die königliche Kutsche überholte. Jetzt hatte Sir Simon schon bei Amtsantritt 2023 dem Orchestermanagement klar gemacht, dass er wissen und kennenlernen wollte, was so alles das Musikland Bayern ausmache und was es eben kann. Nach erster Information ließ er Aufforderungen landesweit verschicken und bekam über 110 Rückmeldungen und Bewerbungen. Gemeinsam wurde eine Vorauswahl getroffen und dann ging er selbst auf die Reise durchs Land. Aus dem volkstümlich bayerischen „Hoagascht“, dem gemeinsamen Beieinandersein-Musizieren-Trinken, erwuchs angesichts des vorhandenen Könnens die Idee eines „Symphonischen Hoagascht“ zusammen mit dem SO/Symphonieorchester. 

Um Nervositäten-Distanz-Niveau positiv zu ver- und bearbeiten, reiste Rattle zu den am Ende ausgewählten Ulrichsbläsern Büchlberg, zum großen Jugendblasorchester Marktoberdorf, der Blaskapelle Möckenlohe und der Brass Band Unterallgäu: gegenseitiges Kennenlernen, musikalische Besonderheiten entdecken, dazu ortstypisch kochen und essen – und natürlich auch gemeinsam proben.

Sogar die Isarphilharmonie erwies sich als zu klein: im „Showpalast München“, am Stadtrand nahe der Fußballarena, konnte eine über fünfzig Meter breite Bühne aufgebaut werden. Für das ganz andere Publikum aus Angehörigen, Volksmusikfreunden und neugierigem Konzertpublikum wurden dann von Kabarettistin Luise Kinseher und Trompeter-Moderator Dominik Glöbl die 292 Musiker vorgestellt. Die Aura „Einzigartigkeit“ begann den Raum zu füllen.

Dann bot federführend das Symphonieorchester unter Rattle den musikalischen Liederstrauß „Lincolnshire Posy“ von Percy Aldridge Grainger und schon da beeindruckten die zusätzlichen Blecheinsätze etwa der Unterallgäuer bis hin zum weichen Verklingen. 

Zum Jubiläum hatte der BR seinen Kulturauftrag ernst genommen und Lorenz Dangel (*1977) beauftragt: Der renommierte und eben für „Sterben“ mit dem Deutschen Filmmusikpreis ausgezeichnete Würzburger stellte sich der Herausforderung. Auch er besuchte alle vier Blaskapellen, registrierte Eigenheiten und Stilistik zwischen bayerischen und böhmischen Traditionen – und schuf dann mit dem gut halbstündigen Werk „Phon“ ein vielfältiges Klang-Potpourri. Gleichsam zum Spannungsabbau und Aufwärmen gab es quer über alle Gruppierungen ein Grummeln aus allen Tuben, dazu Bass- und Celli-Gewabere – räumlich wanderndes Stereo in singulärem Ausmaß … ebenso das bald folgende Fortissimo-Tutti … und dann zwischen Marching-Band-Passagen auch mal Böhmisch-Musikantisches, dann ein leicht dissonant anspruchsvoller Teil für das SO/Symphonieorchester allein, später alarmartige Attacken und anspruchsvolle Rhythmuswechsel – ein gelungenes Show-Stück, in dem mal die vier Gastensembles wie das Klassikorchester und dann auch nahtlos alle zusammen glänzen konnten.

Anspruchsvoll Gelungenes auch nach der Pause – nach Platzierung aller Musiker in Mischbesetzung in den Instrumentengruppen wie aus in Tracht und Schwarz-Weiß – die Wahl von Hector Berlioz’ „Grande symphonie funèbre et triomphale“: da können eben die Blechbläser die Toten der Märzrevolution von 1830 mit einem Trauermarsch ehren und dann im feinen Trauergebet „Oraison funèbre“ deren Umbettung in die neue Grablege an der Place de la Bastille beschwören – wo Felix Eckert, der Solo-Posaunist des SO/Symphonieorchesters, eben einen Ort jenseits des Todes Klang werden ließ. 

Zum Abschluss dann zwei zeitgenössische „Rausschmeißer“: Der pfälzisch-bayerische Timo Dellweg (*1979) hat mit seiner langjährigen Erfahrung im Luftwaffenmusikkorps einen neuen Klassiker komponiert – natürlich über „die“ Wittelsbacher Prinzessin als „Kaiserin Sissi“: da müssen zwar die Streicher pausieren, doch als da rund 240 Blechbläser zackig loslegten, wippten bei den „klassischen“ Damen und Herren doch Hände und Füße und mehrfach die Köpfe mit. Martin Scharnagls (*1988) Konzertmarsch „Euphonia“ setzte mit auftrumpfend schwerem Blech und kantigen Klängen einen abschließenden Höhepunkt – der ebenso euphorische Jubel über die Leistung aller Musizierenden samt Rattles fast durchweg lachend-strahlendem Gesicht und klaren Handzeichen hätte wohl endlose Zugaben erzwungen, doch die Fernsehaufzeichnung setzte ein Ende an ein singuläres Festkonzert.

Konzert-Mitschnitt in der BR-Mediathek

  • 10.07. – 11.05 h Radio-Reportage in Bayern 2
  • 19.07. – 18.05 h Radio-Konzert-Mitschnitt auf BR-Klassik
  • 21.07. – 21.45 h TV-Dokumentation über das gesamte Projekt

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