Robert Schumann hat noch eine Zeit lang mit sich gerungen, wem er dienen wollte, der Poesie oder der Musik. Im gegenwärtigen Zeitalter der Multioptionalität hingegen fühlen sich immer mehr Künstler zum Allrounder berufen. Wolfgang Niedecken, Sänger der Kölschrock-Formation BAP, tauscht regelmäßig das Studio mit dem Atelier.
Umgekehrt der Maler und Bildhauer Markus Lüpertz. Der selbsternannte Malerfürst spielt nicht nur Klavier in einer Jazz-Formation (angeblich bis die Finger bluten), sondern schmiedet auch Verse, kraftvolle, bildhafte, phantasiebefeuernde. Kostprobe: „Die Schlange biss sich in den Schwanz, das Kind probierte die Margarine und schrie: Ranz! Ranz! Ranz!“.
Nur das Komponieren überlässt Lüpertz (noch) anderen – dem Duo Stefanie Schlesinger und Wolfgang Lackerschmid zum Beispiel. Das Musikerpaar aus Augsburg, sie Jazzsängerin, er Vibraphonist und Pianist, hat eine Reihe von Texten des Malers vertont, zehn davon wurden nun in der Bonner Bundeskunsthalle uraufgeführt, als verspäteter Beitrag zur Lüpertz-Retrospektive im vergangenen Herbst ebendort. Eine kleine Schar Interessierter ist gekommen, wer gehofft hat, den Malerfürsten höchstselbst zu sehen, wird allerdings enttäuscht. Roter Faden des Programms: die Liebe, als Rausch wie als Kummer, kurz: als Herzensangelegenheit.
Lüpertz dichtet, so merkt man rasch, wie er malt, nämlich dithyrambisch, also überschwänglich, schwärmerisch. „Erfindung von unsinnigen Gegenständen“, hat er das einmal genannt. „Herzschmerz sagt: sie liebt mich nicht“, heißt es gleich im Eröffnungslied, „Flatterherz hat Angst und Schmerz, Eisenherz will nicht mehr lieben, Blutrotherz will alle kriegen. Doch dein Herz aus Stein sagt nein.“
Karg, spröde ist die Melodie, gefügt aus lakonischen Gesten. Stefanie Schlesinger gibt ihrem Gesang einen Hauch von Kühle mit, die Vibraphonklänge lassen an jemanden denken, der schläfrig in einer Hängematte liegt.
Es sind keine Kunstlieder im akademischen Sinne, sondern unangestrengt wirkende Vertonungen, die den in Bildern schwelgenden Texten von Lüpertz Raum zur Entfaltung lassen. Die Intros nutzt Lackerschmid für improvisatorische Ausflüge auf Vibraphon oder Keyboard. Sanft schaukelnde Akkordmuster, zarte Klangspiele, bluesig angehauchte Passagen und pointierte Rhythmen führen in die jeweilige Atmosphäre hinein. Auch die Vokalpartien bleiben betont unkompliziert, sind gleichsam mit feinem Federstrich gezeichnet und lassen immer dem Wort den Vortritt. Sind Lüpertz’ Texte bildmächtig, vielleicht sogar kitschig („Mit zwei Händen brach sie mein Herz, aus beiden Hälften troff das Leben rot über ihre Ringe“ oder „Ich möchte deinen Samt vergolden, deinen Leib mit Nerz beschmieren“), so zeichnen sich die Vertonungen durch diskreten Charme und Eleganz aus.
Das Duo weiß, wessen Texte es vertonte. Lackerschmid spielte in Lüpertz’ Band, der Maler wiederum schuf die Kulisse für das „Bäsle-Musiclett“, das Lackerschmid und Schlesinger im letzten Jahr im Schaezlerpalais in Augsburg aus der Taufe hoben. Stilistisch bedienen sie sich bei diversen Genres, bei der Moritat, Chanson, Jazz-Ballade, Blues oder Samba. Eine herrlich ironische Note durchzieht das Lied „Maria Bahia“.
Die Ehe zwischen Joseph und Maria schreibt Lüpertz augenzwinkernd zur modernen Beziehungskiste um. Einen Neuanfang als Alleinerziehende wagt da die Gottesmutter. Joseph hinterlässt sie einen Zettel: „Komme nicht wieder, fahre mit Christus nach Bahia.“