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In Falstaffs Kochstudio: Giuseppe Verdi à la Komische Oper Berlin. Foto: © Iko Freese/drama-berlin.de
In Falstaffs Kochstudio: Giuseppe Verdi à la Komische Oper Berlin. Foto: © Iko Freese/drama-berlin.de
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In Falstaffs Kochstudio: Giuseppe Verdi à la Komische Oper Berlin

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Beim Festival d'Aix-en-Provence und an der Opéra National de Lyon war Barrie Koskys Inszenierung von Verdis „Falstaff“ nach Shakespeares „Die lustigen Weiber von Windsor“ schon im letzten Jahr zu sehen. Intendant:innen setzen gegen Ende ihrer Amtszeit gern Verdis letzte Oper mit der objektivierenden Schlussfuge „Alles ist Spaß auf Erden“ auf den Spielplan. So auch Kosky, der an der Komischen Oper Berlin mit einem Feuerwerk an Einfällen die Motorik der lyrischen Komödie wirkungsvoll bediente. Das exzellente Ensemble machte mit und der Applaus ging ab wie eine Rakete. Chefdirigent Ainārs Rubiķis blieb pauschal und wenig elegant.

„Essen ist der Sex (nicht nur) des Alters.“ behauptet neben Helge Schneider und Irmgard Knef auch Barrie Kosky. Während der Umbaupausen kulminiert der laszive Tonfall italienischer Off-Stimmen in Servierideen zu kräftigen Saucen-Spritzern auf frischem Fleisch. Wenn die knallbunten Weiber von Windsor später ihre Sahnepistolen zücken, ist das also nur konsequent. Auf die größere Tortenschlacht verzichtet man allerdings – wahrscheinlich wegen begrenzten Ausstattungsetats und knapper Ressourcen.

Dafür gerät Barrie Koskys „Falstaff“ (ist ja auch ein beliebter Kneipen- und Restaurant-Name) über weite Strecken zum Food Design. Bei Kochvorbereitungen tritt das nerdige Super-Original Falstaff in Konkurrenz zu Alfons Schuhbeck. Nur ist Falstaffs Schürze, vor allem hinten, fast irritierend knapp geschnitten und nicht ganz so sauber wie die des Paradekochs. Ein Großteil des Ensembles zeigt sich dazu in Garnituren mit knackfrischen Frühlingsfarben von seiner besten Seite. Über weite Strecken balgen und balzen sie mit ultimativer Genussfreude. An Sättigungsbeilagen wurde mehr gespart als an den Desserts. Falstaffs Verführungsszene mit den verheirateten Frauen von Windsor spielt im rosaroten Paradebett hinter einem Tortenparadies aus Haribo-Farben. Wie bei der „Falstaff“-Inszenierung seiner Kollegin Karen Stone in Magdeburg ist bei Kosky der knallige Trubel vor der der Täuschungs-, Jagd- und Hochzeitspartie im nächtlichen Park von Windsor vorbei. Falstaff trifft seine Vereinbarungen mit Mrs. Quickly und Ford in einer einfachen Trattoria vor vergreisendem Speisepublikum – säkulare Symbolik der Vergänglichkeit allen Fleisches. Dahinter ragt in Katrin Lea Tags Ausstattung eine kahle Betonwand mit netter Tapete.

Das, was Verdi mit blitzschneller Agitation aus Reminiszenzen an eine große Opernlebensära und fast moderner Akzentuierung entfesselt, liefert Kosky allerdings erst in seiner Einladung zur ersten öffentlichen Premierenfeier seit zwei Jahren: Die Täuschungsabsichten und das Getäuscht-Werden versanden im Trubel der animierten Farben. Aber nachts werden alle Gespielinnen und Gespielen grau: Unter Schleiern bieten sich Chorfrauen in langer Schlange dem Sir John Falstaff an. Solche Chormomente geraten brillant (Leitung: David Cavelius). Dass Ruzan Mantashyan als Alice Ford Verdis weibliche Hauptpartie und im Stück die Mutter einer ihrerseits recht attraktiven Tochter ist, kann man nur ahnen. Alma Sadé singt besagte Nannetta betörend naseweis. Erstaunlich gerät der lang wallende Kopfputz der vier Solistinnen, welcher ihre feinen Gesangsleistungen fast in den Schatten stellt: Karolina Gumos, die Sängerin der Mag Page, wurde nach der Vorstellung auf der Bühne von Kultursenator Klaus Lederer mit dem Bariton Günter Papendell (ein fulminanter Ford) zu Berliner Kammersänger:innen ernannt. – Als Publikumsbrüllerin sahnt Agnes Zwierko noch dann ab, wenn sie Falstaffs Kopf zum bereits dritten Mal an ihre machtvolle Büste drückt. Na klar hat sie voll Spaß in dieser guten Partie der Erotik-Moderatorin und Affären-Einpeitscherin. Dazu assistiert ihr in Barries Comedy eine Handvoll pfeilscharf passender Typen. Bravourös der tänzerische James Kryshak als Bardolfo, eher kauzig Ivan Turšić als Doktor Cajus mit Jens Larsen als Pistola. Für das nicht gänzliche Entschwinden der poetischen Dimension sorgt in Schuluniform der ukrainische Tenor Oleksiy Palchykov als Fenton. Seine Romanze gerät zur allzu knapp bemessenen Belcanto-Streicheleinheit.

Doch eigentlich liebt Kosky nur Falstaff, dessen vielschichtigen Charakter Scott Hendricks in allen Facetten zum Schillern bringt. Der Nudist unter der Gourmand-Schürze entwickelt später als Outfit-Chamäleon eine sagenhafte Charme-Offensive. Zur Düpierung, die überhaupt erst Anlass zu Falstaffs Suada über Spaß und Ernst ist. kommt es nur ungefährlich und flach. Dabei generiert Hendricks fabelhafte Töne.

Täuschungen und Ent-Täuschungen geraten insgesamt zu einem Gummiboot-bunten Surrogat. Auch die musikalische Seite durch das eigentlich vorzügliche Orchester der Komischen Oper Berlin bleibt etwas glatt. Ainārs Rubiķis legte mehr Empathie in seine Kniefälle vor dem Publikum als in Verdis Partitur. Das erste Bild beginnt kantig. Auch später bleibt alles unentschlossen zwischen analytischen Konturen, mit denen dieses Orchester italienische Oper an anderer Stelle spannend macht, und einem wenig sensitiven Zugriff, der für diese Musik unverzichtbar ist. Der Spaß auf Erden kommt in eher vordergründiger Spielart dennoch zu seinem Recht. Dafür gab es am Samstagbend Jubel-Explosionen.

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