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Ensemble. Foto: Thomas Bartilla
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Fanny als potenzierte Opernfigur – Musiktheater mit Kompositionen von Fanny Mendelssohn Bartholdy in der Werkstatt der Staatsoper Berlin

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Neben fünf Erwachsenen Profis spielen, singen und musizieren 27 Kinder in der jüngsten Produktion des Kinderopernhauses Lichtenberg. Sie bescherten der Neuen Werkstatt der Staatsoper sechs volle Häuser. Ganz ohne Dernière-Mätzchen und -Witzchen wurde auch die letzte Aufführung „Fanny! – Wer will mir wehren zu singen?“ von den Beteiligten mit Engagement und künstlerischem Ernst dargeboten und vom Publikum gefeiert.

Die 1805 in Hamburg geborene Fanny Mendelssohn Bartholdy wohnte gar nicht so weit von der Staatsoper Unter den Linden entfernt, weitgehend behütet von der sie umgebenden Umwelt, wozu der Gestank von Urin und Kot gehörte, der damals kanalisationslos durch die Straßen Berlins floss – worauf die Spielfassung von Cordula Däuper und Johannes Müller nachdrücklich verweist. Die Musiktheater-Produktion übt späte political correctness an jener Frau, die nach dem Willen ihres Vaters und auch ihres Bruders Felix nicht als Komponistin in Erscheinung treten durfte – mit Ausnahme der Auftritte in ihren häuslichen Salons. Betont gendergerecht wird Fanny als Bühnenfigur zu einer ganzen Schulklasse von Mädchen multipliziert, die mit geschneckelten und gezopften Haaren und Biedermeierkrägen in schwarze Mädcheneinheitskleidung  gezwängt sind (Kostüme Kristina Bell).

Im neunten Jahr seines Bestehens hat das Kinderopernhaus Lichtenberg eine von Regisseurin Cordula Däuper sicher einstudierte Produktion herausgebracht, die sich deutlich von den vorangegangenen Musiktheaterabenden unterscheidet. Statements der mitwirkenden Kinder sind dabei ebenso in den Spieltext eingeflossen wie Tagebucheintragungen und Briefausschnitte von Fanny Mendelssohn Bartholdy. Fünf Knaben, die sich in die Rolle ihres Bruders Felix teilen, amüsieren sich gemeinsam über einen Artikel aus dem Konversationslexikon von 1812, der die gegenüber den Männern niedrigere Position der Frauen pseudowissenschaftlich belegt.

Das solistische Singen überlassen die Kinder zwei Solistinnen der Staatsoper, der Sopranistin Sarah Aristidou und der Mezzosopranistin Corinna Scheurle, die sich aus unterschiedlicher zeitlicher Warte auch dialogisierend in autobiografische Lebensberichte der Heldin teilen. Immer wieder eingebunden, mal auch unisono chorisch gesungen, wird Fannys Heine-Vertonung des „Schwanenliedes“ – hier zum Ohrwurm getrimmt um die Bedeutung der jungen Komponistin mit ihrem „Es fällt ein Stern herunter“ doppeldeutig unter Beweis zu stellen.

Die anfangs zunächst sauber in Reih’ und Glied auf Kinderschulenstühlchen positionierten, brav vor jedem musikalischen Akzent erschreckenden Kinder legen später bildungsbeflissen Folien auf ein Episkop: Bilder von Fanny, ihrem Vater und ihrem Bruder sowie aus dem alten Berlin (Bühne: Sylvia Rieger).

Die Stimme von Fannys rigidem Vater, dem reichen Kaufmann Mendelssohn, ist nur aus einem Lautsprecher zu vernehmen, welcher später von den Kindern demontiert und gegen eine Spiegelkugel ersetzt wird, als Symbol für jenen im Jahre 1990 entdeckten Kleinplaneten, der nach Fanny „Fannyhensel“ benannt wurde.

Denn Fanny heiratete 1829 den Maler Wilhelm Hensel, was pantomimisch auch nicht ausgespart wird und wozu, im Arrangement des musikalischen Leiters und Pianisten Tobias Schwencke, der Hochzeitsmarsch ihres Bruders aus der Bühnenmusik zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ ertönt. Zwar ist die gemoppelte Gender- und Wissensvermittlungs-Szenenfolge von shakespearescher Dramaturgie weit entfernt, gleichwohl erstaunlich, was die 2009 als Initiative der Staatsoper Unter den Linden und des Caritasverbands für das Erzbistum Berlin e.V. gegründete Institution so Alles in die fünfviertelstündige Aufführung gepackt hat. Sogar der erste Satz von Fanny Mendelssohns Klaviertrio in d-Moll wird dargeboten, manchmal auch als gesungener Untertitel des Abends: „Wer will mir wehren zu singen?“

Beim Einsatz szenischer Mittel werden weder Strobo-Effekte, noch Goldglimmer gescheut, und zu einem Rap-Beat reißen sich die Kinder die biedermeierlichen Kostüm-Attribute vom Leib um anschließend darauf herumzutrampeln.

Sicherlich zu Recht betont der nunmehrige Allein-Intendant der Staatsoper Matthias Schulz im Vorwort des Programmhefts, dass mit dieser Produktion bei den Kindern „Spielfreude, Fantasie und Enthusiasmus für Musiktheater“ geweckt wurde. Den Bogen zu Schulz’ – nicht zuletzt für seine eigenen Kinder – kreiertem neuen Kinderorchester bildet kindlicher Instrumentaleinsatz: einerseits mit Schlagwerk, andererseits mit Violine, Violoncello und Kontrabass, Horn und zwei Trompeten als einer schrillen Manifestation heutigen Lebensgefühls. So entsteht ein Gegensatz zur Klangwelt der nach traurigem, kurzen Leben mit 41 Jahren verstorbenen, sicherlich hochbegabten Schwester das romantischen Komponisten.

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