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Erkki-Sven Tüür in der Alten Oper Frankfurt. Foto: Charlotte Oswald
Erkki-Sven Tüür in der Alten Oper Frankfurt. Foto: Charlotte Oswald
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Fein zermahlene Musik aus einem Klangbergwerk

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Die Alte Oper Frankfurt widmete dem estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür ein „Auftakt“-Porträt
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Für den Komponisten Erkki-Sven Tüür, Jahrgang 1959, war die westliche Avantgarde, inklusive dem progressiven Rock der siebziger Jahre, während der sowjetischen Besatzungszeit Lichtjahre weit weg. Während wir uns im Westen nach dem Motto „Sage mir, was du hörst, und ich sage dir, wer du bist“ während der siebziger Jahre im altrömischen Stil und dennoch rhetorisch wacker sowie ideologisch linientreu durchschlugen und aus dem Angebot „progressiver“ Musik von heute und damals nur auszuwählen brauchten, war man unter Hammer und Sichel schon fast ein Dissident, wenn das vermeintlich Falsche auf dem Plattenteller lag, falls man überhaupt an die begehrten Scheiben kam.

Tüür steuerte dagegen, gründete im sowjetischen Estland seinerzeit eine Rockband und war, wie er selber sagt, von „Led Zeppelin“ ebenso beeinflusst wie von Frank Zappa. Beim recht aufschlussreichen Symposion der Alten Oper zum diesjährigen Komponistenporträt des „Auftakt“-Festivals zeigte sich tatsächlich immer deutlicher, dass da ein Komponist ebenjenen inklusiven Kompositionsansatz lebt, der keine Musik gegen die andere ausspielt, aber schon fast alles gespielt hat. Ausgespielt hat sich der schlaksige Este als Frontmann seiner damaligen Rockband „in spe“ mit Sicherheit. In seinen Antworten auf die thematisch dichten und ziemlich eindringlichen Vorträge von Jörn Peter Hiekel, Kerri Kotta, Hartmut Lück, Wolfgang Sandner, Hans-Klaus Jungheinrich und Tomi Mäkelä ging es zwar immer um wesentliche Teilaspekte des mittlerweile alle Gattungen umfassenden Gesamtwerks. Dennoch wurde deutlich, dass Tüür sich auch beim Schreiben von Noten ebenjene Grundhaltung der Musik gegenüber erhalten hat, die ihn sicher schon als Rockmusiker, vor seinem Musikstudium in Tallinn, motivierte: Das Moment der klanglichen Realisation im Raum, kurz: die Bühne, der Auftritt, das Spielen ist der Ernstfall. Motorik, die oft gegeneinanderläuft, ist ihm dabei eine feste Kategorie der zeitlichen Gestaltung, wie Kerri Kotta in seinem Beitrag herausarbeitete.

Auf den Einfluss des Landsmanns Arvo Pärt verwies Jörn Peter Hiekel. Beide arbeiteten mit einem oft irritierenden Ausdruck von Schönheit, wobei Tüür dies mit gewollten Brüchen wieder in Frage stelle. Hartmut Lück zeigte den Opernkomponisten Tüür als auch gesellschaftlich verantwortungsvoll Handelnden – für jemanden, der seinen künstlerischen Freischwimmer im Becken des sozialistischen Realismus machen musste, sicher eine Verpflichtung.

In der Oper „Wallenberg“ greift Tüür das Holocaust-Thema auf und zeigt anhand des Verschwindens einer Person, dass daraus alle politischen Seiten möglicherweise einen Nutzen zogen: Die Hamletmaschine brummt. Tüürs Violinkonzert gehört für Wolfgang Sandner zu den zehn größten – im Unterschied zu den zehn „schönsten“. Gidon Kremer, wie man hörte, war seinerzeit zu beschäftigt, um sich diesem steil aufgefalteten Klanggebirge zu stellen. Das Konzert, folgt man Sandners Ausführungen, scheint derart eng verwoben mit den Orchesterstimmen und dabei derart gespickt mit klanglich virtuosen Verschleierungen, Ausbrüchen und Übermalungen zu sein, dass es gleichzeitig als Standortbestimmung des Violinspiels gelten kann. Was Sandner aber auch klarmachte: Tüürs Selektionsprozess beim Komponieren erzeugt einen nicht minder schroffen Gebirgsrücken der eben nicht gesetzten Töne. Das Verworfene als Kehrseite des Komponierten und Gespielten. Auch hier schimmerte der Performer Tüür durch die Zeilen.

Klangbergwerk

Das Ensemble Modern mit Musik Erkki-Sven Tüürs in der Alten Oper Frankfurt: „King Crimson“, „Yes“, „Zappa“, „Deep Purple“, „Jethro Tull“, „Led Zeppelin“ – die frühen Vorbilder des estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür, Jahrgang 1959, lesen sich wie ein Who‘s who der damals als „progressiv“ bezeichneten Rockmusik. Tatsächlich gab es in den siebziger Jahren auch in der Rockmusik eine geschichtsphilosophisch motivierte Diskussion über den Stand ihres musikalischen Materials. Über Westkontakte konnte Tüür einige der begehrten Scheiben ergattern und sich als komponierender Rockmusiker an ihnen orientieren. Fast alle genannten Bands hatten ein sehr ausgeprägtes, opernhaft-sinfonisches Formbewusstsein und liebäugelten mit orchestralen und oratorischen Dimensionen, waren in Fragen der musikalischen Form und Formverläufen durchaus klassisch geschult.

Das seinerseits an Frank Zappa geschulte Ensemble Modern kann solche Werdegänge, wenn auch unter politisch anderen Vorzeichen, am eigenen Klangkörper nachvollziehen und spielte Tüürs rhythmisch ziemlich beatartig dräuende Komposition „Oxymoron (Music für Tirol)“ im Mozart-Saal der Alten Oper Frankfurt mit entsprechendem Pfeffer. Es kam dem Umlegen eines Schalthebels gleich, als Schlagzeuger Rainer Römer in Tüürs kerniger Komposition für großes Ensemble vom Spieltisch an das Drum-Set wechselte und aus den immer wieder variierten, sich spektral aufschwingenden und aufgefächerten Akkord- und Skalenbrechungen hart skandiert Synkopen vom kompletten Bläsersatz herausgeschleudert wurden. Der Talliner Dirigent Olari Elts bewegt sich auf der gleichen ästhetischen Wellenlänge wie Tüür und spielte diese Tatsache dank entsprechend kantiger Einsätze eindrucksvoll aus. Was mit unzähligen rhythmischen Wiederholungen aus dem Reich der Obertöne begann, verschob sich allmählich zu einer niemals eindimensionalen Betonung der zweiten und vierten Zählzeit – Ensemble Modern in Rock.

Nicht minder akzentuiert hatte Elts den klanglich kunterbunten Abend mit Magnus Lindbergs klassizistischen „Jubilees“ eröffnet. Man könnte Lindberg vorwerfen, dies sei eben jene gut spielbare zeitgenössische Musik, die den Musiker im erlernt Klassischen bestätigt. Denkste! Dieser Klassizismus ist kein Schaf im Wolfspelz, sondern eine eigenständige, durchaus auch eingängige Alsob-Pop-Art. Wie ein Plakatmaler tunkt Lindberg den Pinsel in eindeutige Klangfarben. Deutlich stachen die Spitzentöne und gegeneinander antretenden Instrumentalspitzen aus diesem Stilblüten treibenden Material hervor. Das klang einfach und schön, war aber bei weitem nicht einfach nur schön. Die oft vermisste Sprachfähigkeit zeitgenössischer Musik erklang hier in nur halber Geschwindigkeit und dadurch viel zu tief. Über diesem Abgrund konnten die nordisch-baltischen Kinder Lindberg und Tüür dann doch noch zusammenkommen. Auskomponierte und überwundene Distanz war sodann das Prinzip in Tüürs „Abysses“ für Flöten und Ensemble. Geräuschhaft huschten die Klänge der sich stereophon gegenübersitzenden Flöten (Dietmar Wiesner und Miriam Arnold) durch den Raum. Das klang teilweise wie ein Orchester unter Tage.

Fein zermahlen von Tüürs kompositorischem Brechwerk, wurde der Mozart-Saal an diesem packenden Konzertabend zu einem schillernden Klangbergwerk. Tüürs Musik war ein Abräumer.

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