Wer die zeitgenössischen Münchner Tanz- und Theater-Produktionen verfolgt, wird diesem Streichquartett bereits begegnet sein. Helga Pogatschar hatte es beim surrealistischen Spiel „Cadavres Exquis“ (Compagnie Drift Zürich) 2010 und bei „mystery – mach dir kein bild“ der 13. münchener biennale 2012 auf der Bühne platziert. Mit der Besetzung des Projektensembles beauftragt, setzte Bratscher Gunter Pretzel nicht etwa auf charakterliche Übereinstimmungen. Ganz im Gegenteil:
Er suchte die Gegensätze. Joe Rappaport und Luciana Beleaeva (Violine), Graham Waterhouse (Violoncello) sowie Pretzel verstanden es auch, die Reibungen explizit für ihr Zusammenwirken zu nutzen. Der Plan ging auf: In der Reihe „Komponisten in Bayern“ des Münchner Tonkünstlerverbandes im Einstein Kultur saß hier ein intensiv und angriffslustig zupackendes Ensemble, das an der Stuhlvorderkante blieb, bis der letzte Ton verklungen war.
Es war jedenfalls ein überaus vitaler und fesselnder Abend, der schnell vergessen ließ, dass sich schon längst mal Stimmen geregt hatten, die der Gattung des Streichquartetts aus Unzeitmäßigkeit den Untergang prophezeiten. Hier wurden sie Lügen gestraft: Die Positionen gegenüber der Gattung sind vielmehr vielfältiger geworden und nutzen diese nach wie vor überaus ansprechende Besetzung auf unterschiedlichste Weise. Zwischen 2007 und 2011 entstanden, war das Streichquartett Nr. 3 von Dorothee Eberhardt (Jg. 1952) in den kompositorischen Methoden der Tradition wohl noch am nächsten. Doch ihre Strategien im Einsatz der tradierten Mittel sind rhapsodischer Art. Indem sie unentwegt die Perspektiven auf ihre Thematik wechselt, entsteht eine konsistente Bildabfolge, die sich in der Interpretation des Pelaar-Quartetts auch dramaturgisch überzeugend und schlüssig entwickelte. Im zweiten und (attacca) dritten Satz schlug das Ensemble einen weiten Bogen ausgehend von flirrend hinterfangenen poetischen Visionen bis hin zu einem intensiv gesteigerten Schluss.
Bernhard Weidner (Jg. 1965) hatte das atmosphärische Element weiter zugespitzt. „Bruckner-Schemen“ (der/das Schemen = undeutlich erkennbare, verschwommene Gestalt) von 2005 ist de facto auch ein traumvisionäres Stück, in dem sich aus sphärischen Wirkungen immer wieder konkrete Formen ausbilden und greifbar werden, um sich jedoch alsbald ins Schemenhafte aufzulösen. Überraschende, ja vielleicht absurde Wendungen nicht ausgeschlossen.
Eine gänzlich andere Idee verfolgte Helga Pogatschar (Jg. 1966) in ihrem ursprünglich für ein Bühnenstück entstandenen Streichquartett „Erratischer Block“ von 2012. Ihr Findling ist jedoch kein starres Gebilde. Ganz im Gegenteil. Das Pelaar-Quartett formte hier in einer unentwegt wirbelnden Textur ein überaus plastisches Gebilde, das sich stark dynamisch verformte, aber auch immer wieder mit packenden Grooves verfestigt konkret greifbar wurde.
Vor wenigen Wochen im kleinen Kreis auf Schloss Kempfenhausen uraufgeführt, präsentierte Graham Waterhouse (Jg. 1962) sein „Alcatraz“ in vier Sätzen erstmals in München. Finanziert von der Christoph und Stephan Kaske Stiftung bekam Waterhouse die Gelegenheit, sein Erlebnis des als Gefängnis bekannten Eilands musikalisch zu verarbeiten. Es sei nicht programmatisch, versicherte der Komponist. Dennoch verwies er auf ein Vokabular, das schließlich doch bildhafte Assoziationen unvermeidbar machte. Waterhouse hatte einen Blick auf weite Zeiträume in der Existenz der Insel geworfen und sie als Heiligtum der Navaho-Indianer, als Vogelinsel sowie als Gefängnis aus dem Gedächtnis des Ortes heraus porträtiert. Im Schlusssatz „Testimony – Allegremente, precipitando“ fehlt jedoch auch die Kritik an der US-Gesellschaft nicht, die es glänzend versteht, selbst einen so geschichtsträchtigen Ort schließlich in eine Freizeit-Raststätte zu verwandeln.
Mit diversen spieltechnischen Finessen bis hin zu perkussiven Elementen überzeugte hier das Pelaar-Quartett mit einer fesselnden Führung durch Zeit und Raum mit all den akustischen Phänomenen der Insel von Vogelgesang bis zu fernen Geräuschen von San Francisco und nahem, hallendem Quietschen der Gefängnisgitter, wie es Al Capone laut Aufzeichnungen in den Wahnsinn trieb. Nicht erzählerisch, vielmehr als ein ferner Nachhall der Vergangenheit, der sich jeweils nach eigenen Gesetzen entwickelte und neu arrangiert so etwas wie ein Anagramm des Ortes wurde.