Die malerisch am Ammersee gelegene Marktgemeinde Dießen hat durchaus eine musikalische Tradition. Einerseits durch Konzerte im Imposanten Marienmünster, andererseits aufgrund der Tatsache, Carl Orffs letzter Wohnsitz gewesen zu sein. Heute ist der Präsident des Bayerischen Musikrats Dr. Thomas Goppel, MdL, die musikalische Institution am Ort. Als Konzertlandschaft ist die Ecke allerdings nicht gerade reich gesegnet. Friederike Haufe ist es jetzt gelungen, die Kräfte vor Ort zu bündeln und nach einem Probelauf im vergangenen Jahr nun ein ausgereiftes Festivalkonzept umzusetzen. Mit Dießen ist die Pianistin aus Hamburg über ihre Großeltern verbunden gewesen. Als Intendantin des Klavierfestes Ammersee kehrte sie nun zurück.
Fünf öffentliche Veranstaltungen an drei Tagen kamen in Anbetracht des eher dünn gesäten Konzertpublikums in Dießen recht geballt daher. Dennoch füllte sich der Theatersaal im Augustinum Ammersee gut, wenn auch nicht gerade von einem durchschlagenden Publikumserfolg gesprochen werden kann. Beim Liederabend mit Schuberts Winterreise – den sich auch Goppel nicht entgehen ließ –, war eine große Anziehungskraft gegeben, zumal neben dem großartigen Liedinterpreten Christfried Biebrach (Bariton) eine Koryphäe der Begleitkunst am Flügel saß: Norman Shetler. Nach einer fundierten Einführung von Dr. Gerold Gruber (Wien) erlebte man hier eine selten so fesselnde Einheit aus Gesangsstimme und Klavierpart mit gewandt umschlagenden Stimmungen und narrativen Klangbildern. Der große Andrang blieb dennoch aus.
Eine besondere Verbindung zum Ort war in der Eröffnungsveranstaltung das Thema. Verfemte Musik ist ein persönliches Anliegen des Klavierduos Friederike Haufe und Volker Ahmels. Das Ehepaar forscht nach verschollenen Werken und dokumentiert mit seinen Konzerten den Stand der Musikentwicklung, der durch Berufsverbote und Emigration sowie Ermordung von Komponisten unter dem Naziregime gewaltsam zum Ersticken gebracht wurde. Ein Schicksal, dem aber vor allem bildende Künstler, wie der damals in Dießen lebende Maler Fritz Winter, zum Opfer fielen. Nicht nur die ausgestellten Bilder Winters sollten den Themenkomplex erweitern, sondern auch ein Podiumsgespräch unter der gewandten Moderation von Marlen Reichert (BR). Michael Gausling, Galerist und Großneffe Winters, bestätigte für die Bildenden Künstler die besondere Kraft der Werke, die im Verborgenen oder in der (teils inneren) Emigration entstanden waren, und die in Klavierwerken von Leo Smit, Hans Gál, Ernst Toch sowie Arnold Schönberg und Paul Hindemith hörbar wurde. Das Konzert machte vor allem den Reichtum an Facetten der Musik jener Zeit deutlich, der zwischen Bach-Parodie (Hindemith) über folkloristische Grenzgänge (Gál) bis hin zu Jazz-Anleihen (Smit) reichte.
Ein Klavierfest ist ohne Solo-Recitals wohl nicht denkbar. Gleich drei davon standen hier auf dem Programm, wenn auch jeweils in einem anderen Kontext. Während der Niederländer Jasper van’t Hof mit seinem berüchtigten ekstatischen Soloprogramm „Axioma“ die Jazzimprovisation zum fulminanten Schlussakkord machte, präsentierte sich die 21-jährige Annika Treutler als Finalistin und Stipendiatin des Deutschen Musikwettbewerbs. Der Vorteil des Verzichts auf Pausen beim Klavierfest Ammersee machte sich in Treutlers Auftritt bemerkbar. Auf diese Weise vertiefte sich die junge Pianistin immer weiter in ihr Spiel, sodass nach Beethovens op. 109 schon Griegs Ballade op. 24 einen dichten Spannungsbogen im Kontrastprogramm der Gefühle aufwies, sich dann über Messiaen zu Brahms (Sieben Fantasien op. 116) ergreifend emotional steigerte bis hin zu tief empfundener Hingabe.
Der französische, in München lebende Pianist Henri Bonamy hatte vor seinem Auftritt im Rahmen des Projekts „Taste for School“ zwei Schulbesuche in Dießen absolviert. 80 begeisterte Grundschüler und 50 offenbar weniger kulturaffine Gymnasiasten hatten die Gelegenheit, der Musik in Wort und Klavierspiel unmittelbar zu begegnen. Die aufgeschlossenen Grundschüler erschienen dann auch zahlreich in der Klaviersoiree des Pianisten, in der Werke von Chopin, Debussy und Strawinsky – in den Zugaben Liszt und Kapustin – in feinsinnig-kultivierter Pianistik zu hören waren. An Kinder und Jugendliche richtete sich auch der Meisterkurs von Volker Ahmels. Dieses Angebot vervollständigte das übliche Repertoire eines Festivals, trat aber noch etwas bescheiden in Erscheinung. Auf die Weiterentwicklung kann man gespannt sein.