Zu Beginn der Ouvertüre sitzt eine ältere Dame auf der Bühne in nachdenklicher Pose. Ihr introvertierter Blick geht nach innen, richtet sich auf die Vergangenheit. Erinnerungen werden wach. Es sind die Geschehnisse von einst, als Leonore alias Fidelio einen Gefangenen vor dem sicheren Tod im Kerker des Despoten Don Pizarro gerettet hat. Die ältere Dame ist diese Leonore. Und mit ihr beginnt die Inszenierung von Beethovens Freiheits-Oper am Theater Hagen.
Jenny Erpenbeck, die Schriftstellerin und Bachmann-Preisträgerin hat 2007 eine neue, um eben diese älter gewordene und zurück blickende Leonore erweiterte Textfassung entwickelt, die in Klosterneuburg uraufgeführt wurde. Hagen bringt nun die deutsche Erstaufführung. Erpenbeck lässt Beethovens Libretto unangetastet, zieht mit dem, was sie anstelle der originalen Dialoge hinzufügt, aber eine weitere Ebene in die Handlung ein. Das macht aus „Fidelio“ sicher keine neue Oper, stellt ihr aber kommentierende Gedanken zur Seite, fasst die Bühnenhandlung zusammen, liefert hier und dort philosophische Überlegungen zum Thema Freiheit. Oder schlägt ganz einfach auch noch mal persönliche Töne an: „Was interessieren mich andere Gefangene?“ ruft Leonore, als sie die endlos lange Reihe der Gefangenen nach ihrem Geliebten durchsucht – wo es ihr doch nur um ihren Florestan und dessen Befreiung geht. Und eben nicht darum, die Zustände einer Gesellschaft (etwa der zur Zeit Beethovens) zu verbessern. Das Individuum und sein Weg zum Glück steht im Zentrum. Und das ist ganz klar ein zeitloses Thema. Ob Leonore aber nach erfolgreicher Befreiung ihres Gatten wirklich ihr Glück gefunden hat und es halten konnte, darf stark angezweifelt werden.
Regisseur Gregor Horres präsentiert seinen „Fidelio“ in einem eher neutralen Bühnenbild (Jan Bammes), geprägt von dem schmuck-, wenn nicht trostlosen Charme gekachelter Wände in den unteren Geschossen einer Machtzentrale. Gefangene in Einheitskleidung, ein Knastchef namens Don Pizarro in Leder-Outfit, Rocco dessen „ganz gewöhnlicher“ Vollzugsbeamter, Leonore im schwarzen Overall, die sich als Roccos Gehilfe ins System einschleicht – das alles ist handwerklich völlig in Ordnung und wird vom Opernchor und dem Philharmonischen Orchester Hagen unter Leitung von Florian Ludwig ordentlich umgesetzt: ein solider „Fidelio“, in dem die beiden als Gäste engagierten Hauptfiguren jedoch etwas enttäuschen: Richard Furman ist ein ziemlich lauter Florestan, metallisch hart, obertonreich – aber ohne grundtönigen Körper, ohne Sonorität in der Stimme. Die Leonore gibt Sabine Hogrefe, längst im dramatischen Wagner-Fach zuhause, hier bei der „Fidelio“-Premiere aber nicht immer ausgestattet mit der erforderlichen Durchschlagskraft. Darstellerisch sind beide sehr präsent, werden aber noch überboten durch Hagens Ensemble-Mitglied Rainer Zaun als Kerkermeister Rocco. Der liefert in jeder Hinsicht ein Meisterstück: stimmlich perfekt disponiert und vorbildlich in seiner Textverständlichkeit, verkörpert er die Rolle des „von oben“ mit dem Auftrag zum Mord an Florestan Betrauten voll und ganz überzeugend. Maria Klier und Kejia Xiong sind das „niedere“ Paar Marzelline/Jaquino, Kenneth Mattice der Minister Don Fernando, der am Schluss, wenn Beethoven die Freiheitstrompete blasen lässt, ganz in Weiß die Szene betritt.
Wie gesagt: eine gesellschaftspolitische Dimension, dass sich der Freiheits-Gedanke allüberall durchsetzt, bekommt „Fidelio“ in dieser Lesart nicht. Und deshalb bleiben die Verhältnisse trotz des jubelnden Original-Finales so, wie sie es schon anfangs waren. Ein nüchternes Fazit!
- Weitere Termine: 2. 5., 7. 5., 15. 5., 20. 5., 31. 5., 13. 6.; 21. 6. und 24. 6. 2014