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Fin-de-siècle-Parade

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Das Münchner Neue-Musik-Festival proVocazione
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In solcher Fin-de-siècle-Parade liegt die Gefahr des zufällig Zusammengestellten ebenso wie die Chance, Vernachlässigtes zu Tage zu fördern. Zwei Uraufführungen gab es: Olga Neuwirths „...ad auras...“ für zwei Geigen und Holztrommel und Moritz Eggerts „Croatoan“ für Schlagzeug und Streichquartett. Neuwirths karge Einton-Umspielung stand passend in Nachbarschaft zu Ustvolskaya (Duett für Geige und Klavier sowie 3. Klaviersonate) und Nonos „Hay que caminar“, soñando für zwei wandernde Geigen. Gegenüber der rituellen Strenge und nihilistischen Botschaft dieser Werke wirkte Neuwirths jüngstes Erzeugnis blass und kraftlos, war vielleicht allzu sehr auf Entsprechung der Erwartungen hin konzipiert. An den hochkonzentrierten Interpreten Isabelle Faust, Tedi Papavrami und Babette Haag lag es jedenfalls nicht.

Ein neues Festival für Neue Musik in München, einer Stadt, die mit Musica viva, Musiktheater-Biennale, Riedls Klangaktionen oder der Adevantgarde schon reichlich die Szene anspricht: Kann das funktionieren? In der Reithalle, einem etwas abgelegenen Kulturzentrum mit fantastischer Kammermusik-Akustik, fand erstmals das Festival „proVocazione“ statt, welches in neun Konzerten ein Spektrum „Jahrhundertmusik da capo 1900 al fine 2000“ aufreißen wollte. In solcher Fin-de-siècle-Parade liegt die Gefahr des zufällig Zusammengestellten ebenso wie die Chance, Vernachlässigtes zu Tage zu fördern. Zwei Uraufführungen gab es: Olga Neuwirths „...ad auras...“ für zwei Geigen und Holztrommel und Moritz Eggerts „Croatoan“ für Schlagzeug und Streichquartett. Neuwirths karge Einton-Umspielung stand passend in Nachbarschaft zu Ustvolskaya (Duett für Geige und Klavier sowie 3. Klaviersonate) und Nonos „Hay que caminar“, soñando für zwei wandernde Geigen. Gegenüber der rituellen Strenge und nihilistischen Botschaft dieser Werke wirkte Neuwirths jüngstes Erzeugnis blass und kraftlos, war vielleicht allzu sehr auf Entsprechung der Erwartungen hin konzipiert. An den hochkonzentrierten Interpreten Isabelle Faust, Tedi Papavrami und Babette Haag lag es jedenfalls nicht. Tags darauf, gespielt vom Vogler Quartett und Peter Sadlo, Moritz Eggerts jüngste Humoreske, eine Kettenreaktion rhythmisch vergnüglicher Scherze mit Körpertheater inklusive Schuhscharren, Kurzweiliges von einem ausgesprochenen Ulktalent, flankiert von Nicolaus A. Huber, Hartmann und Max Regers Es-Dur-Quartett op. 109 in einer in strukturellem Verständnis und Transparenz beeindruckenden Wiedergabe des vorzüglichen Vogler-Quartetts.

Überhaupt ist dies ein Festival der hochrangigen Interpreten, sei es nun Herbert Henck mit amerikanischer Klaviermusik, gekoppelt mit einer ausgiebigen Player-Piano-Session Jürgen Hockers mit Nancarrow, oder Paulo Alvares mit Ligeti-Etüden, denen Lukas Ligetis unverbindlicher African-Techno-Mischmasch mit den lautstarken Beta Foly folgte. Überragend war der Klavierabend der jungen Französin Marie-Josèphe Jude mit Debussy, Ohana, „4 Miroirs“ von Ravel, Messiaens „Cantéyodjaya“ und Dutilleux’ „Sonate“ von 1947 – eine große Entdeckung von eminenter Musikalität und staunenswerter physischer Begabung. Programmatisch beziehungsreich waren der Eröffnungsabend mit Gedichten von Abraham Sutzkever und dem Ensemble Triolog um den Klarinettisten Jörg Widmann – von dem, neben Messiaens bestechend natürlich wiedergegebenem „Quatuor pour la fin du temps“, ein klezmerumflortes Trio „Tränen der Musen“ zu hören war – wie auch die Kafka-Veranstaltung mit Kurtágs Kafka-Fragmenten (vortrefflich: Maria Husmann und András Keller) und einer kruden, musikalisch nichtssagenden Collage „Absender Kafka“.

Mit dreieinhalb Stunden Klaviermusik durchs ganze Jahrhundert und einem von Karl Amadeus Hartmann, dem musikalischen Gewissen der Münchner Moderne, dominierten Abend des Münchner Kammerorchesters – dabei das von Isabelle Faust eindringlich gestaltete „Concerto funebre“, alles schwungvoll geleitet von Christoph Poppen – klang das Festival proVocazione aus.

Hinsichtlich der Besucherzahlen konnte man leider noch nicht Fuß fassen, was sich allein mit der etwas ungewöhnlichen Spielstätte nicht erklären lässt. Die Veranstaltungen profitierten auch von dem besonderen Ambiente der Reithalle, wo die ungezwungene Begegnung mit den Künstlern nach dem Konzert Usus ist und so die Zielsetzung, ein weiteres Forum für zeitgenössische Musik zu etablieren, auch im sozialen Gesamtbild stimmig ist. Ein vielversprechender Aufbruch also.

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