Es war einer seiner größten Erfolge: Gaetano Donizettis Tragedia lirica „Anna Bolena“. Deren Produktion, die im Dezember 202 der Zürcher Oper herauskam, war ein durchschlagender Erfolg. Nun feierte die hochgelobte Inszenierung von David Alden an der Deutschen Oper Berlin Premiere.
Finster-Realistische Machtdemonstration: Deutsche Oper Berlin zeigt David Aldens Inszenierung von Donizettis „Anna Bolena“
Als Donizettis „Anna Bolena“ am 26. Dezember 1830 am Teatro Carcano in Mailand uraufgeführt wurde, war die Oper über das Machtspiel zweier Frauen in der Bannmeile des grausamen Despoten König Henry VIII. von England etwas Neues. Diese Mischung von Sex, Gewalt, Intrige und Royalty, die von dem Librettisten Felice Romani in dramatische, bühnenwirksame Worte gefasst und von Donizetti in einer neuartigen Musiksprache vertont wurde, schnuppert ein bisschen Opern-Zukunft. Zwar atmet seine Partitur noch das Parfum Vincenzo Bellinis, des Belcanto-Stars seiner Zeit (er war Donizettis größter Konkurrent) und erweist auch Gioacchino Rossini Reverenz, das Werk trägt aber doch unverkennbar eine eigene musikalische Handschrift und ist einer stringenten, am Wort orientierten Dramaturgie verpflichtet, die schon fast in Richtung Musiktheater deutete. Dabei war es bereits die 35. Oper Donizettis, er war also kein Anfänger, aber mit „Anna Bolena“ hatte er einen derart durchschlagenden Erfolg (es war sein ganz großer Durchbruch) dass er fortan als größter lebender Komponist Italiens gefeiert wurde. Das Werk erlebte eine internationale Erfolgsgeschichte.
Mit dieser Oper gelang es dem 33-jährigen Gaetano Donizetti, aus dem Schatten Rossinis herauszutreten und diesem einen neuen, dramatisch expressiveren Stil entgegenzusetzen. Als Grundlage hatten sich Donizetti und Felice Romani, der bedeutendste Operntext-Autor seiner Zeit, einen der tragischsten und mithin auch wirkungsvollsten Stoffe der britischen Geschichte ausgesucht: den Prozess wegen angeblicher Untreue, mit dem der englische König Heinrich VIII. die Scheidung von seiner zweiten Frau Anne Boleyn betrieb und der mit der Hinrichtung der Königin endete.
Mit Witz und Unerbittlichkeit
Der britische Regisseur David Alden, der bekannt ist für seine Mischung aus Realismus, Psychologie, Ironie und (oft schwarzem) Humor, hat sich der 500 Jahre alten, aber keineswegs veralteten Story dieser privaten Tragödie (alles Politische bleibt schon bei Felice Romani außen vor) der letzten Tage der Königin Anna, ihrer Hinrichtung und Giovanna Seymours Aufstieg mit großer Sensibilität zugewandt.
Die Basis seiner Inszenierung ist ein großer weißer Raum, den ihm Ausstatter Gideon Davey gebaut hat. In ihm entwickelt sich die düstere Welt Enricos, wie König Henry bei Donizetti heißt: Eine kassettierte, braune Wand fährt herab, gelegentlich öffnen sich Logen eines imaginären Theaters, Requisiten werden herein- und wieder herausgetragen, darunter vor allem Machtinsignien. „Was die Kostüme angeht, so haben wir uns gegen historische Kostüme im engeren Sinne entschieden, denn die Dinge im britischen Königshaus ändern sich nicht wirklich, die Geschichte hätte auch in den 1940er/1950er Jahren passiere können. Die Kostüme sind eine fantasievolle Collage aus verschiedenen Epochen der britischen Königsfamilie. Natürlich gibt es Referenzen in die Historie, aber wir gehen damit sehr frei um.“ so David Alden über seine Inszenierung.
Seit drei Jahrzehnten gehört der New Yorker zu den international erfolgreichsten Regisseuren des Musiktheaters. Auch seine Sicht auf „Anna Bolena“ ist von der Balance zwischen Tragödie und augenzwinkerndem Humor bestimmt, die vor allem Aldens Sicht auf die Historienopern des 19. Jahrhunderts prägt. Alden spielt in „Anna Bolena“ virtuos mit den Zeitebenen, fährt eindrucksvolle Chortableaus auf, glänzt in der Kunst der Personenführung, lässt liebevolle Ironie walten und gestattet sich stilistische Zutaten aus dem England der Heute-Zeit – er vergleicht denn auch die Verbindung von Anne Boleyn und Henry VIII. mit jener von Meghan Markle und Prinz Harry. Er scheut nicht davor zurück, die Tragödie der Titelheldin schnörkellos und eindringlich mit krassem Realismus bis zum blutigen Ende zu erzählen. Eine sehenswerte, schöne Inszenierung trotz einiger Regiegags, demonstrativer Masken und Schattenspiele sowie zuweilen demonstrativer symbolischer Fingerzeige, etwa mit einem übergroßen Knochenmann.
Große Bandbreite eines gewaltigen Werks
Musikalisch liegt das Erfolgsstück mit seinem großen Showdown für eine Diva (zahlreiche Sopranistinnen, darunter Joan Sutherland, Montserrat Caballé, Leyla Gencer und Edita Gruberova, haben mit der Wahnsinnsarie der Anna Bolena Triumphe gefeiert) in Händen des als Donizettispezialist geltenden Dirigenten Enrique Mazzola. Es gehe ihm um die „Abgründe einer verlorenen Seele.“ Er dirigiert stilsicher, souverän, aber mit weit ausschwingender Amplitude zwischen Sensibilität und Dramatik, kantigem Fortissimo und feinen Piani, verinnerlichter wie markerschütternden Gangart (man spielt die historisch-kritische, von manchen Irrtümern bereinigte Anna Bolena-Edition der Fondazione Donizetti di Bergamo) das seit seiner Wiederentdeckung in den 1950er und 60er Jahren (nicht zuletzt wegen Maria Callas) gefeierte Werk.
Das Orchester und der Chor der Deutschen Oper Berlin lassen keinen Wunsch offen. Die Sängerbesetzung ist gut, lässt aber die letzten Geheimnisse und Finessen eines kantablen Belcanto wie eines „Canto espressivo“ vermissen. Virtuos, aber eben etwas seelenlos, schrill, zu laut und immer etwas angestrengt singen Federica Lombardi (Anna Bolena) und Vasilisa Berzhanskaya (Giovanna Seymour) die Rivalinnen. Riccardo Fassi (EnricoVIII.) hingegen überzeugt durch seinen kultiviert eingesetzten, wohltönenden Bass. Überzeugend sind auch die Sänger der übrigen Partien, die nicht zu unterschätzen sind. Mirabelle Heymann spielt stumm die gar nicht mehr so kleine Elisabeth als (angesichts der Ereignisse um sie herum) verstörten wie widerborstigen Königin der Zukunft, die ihre Pappkrone auf dem Thron zerreißt und davonläuft.
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