Vermutlich hat bereits Richard Wagner in seiner Züricher Bearbeitung, ganz sicher aber Gustav Mahler in Wien das lieto fine des „Don Giovanni“ weggelassen, um die Handlung vom bestraften Wüstling mit dessen Höllenfahrt dramatisch zu beenden.
Dass gerade an der Komischen Oper Berlin nun diese Szene durch den als „Meister des theatralen Wahnwitzes“ angekündigten Regisseur Herbert Fritsch unterblieb, mag als Steigerung jenes Wahnwitzes deutbar sein.
Mozarts „Dramma giocoso“ wurde aufgrund dieser Gattungsbezeichnung in der Rezeptionsgeschichte oft schon als „ergötzliche“ Komödie gedeutet, wobei die groben Späße des Don-Juan-Spiels forciert wurden. Die Romantik versuchte, die dramatische Dimension aufkosten der commedia-Elemente hervorzukehren und das 20. Jahrhundert erfreute sich insbesondere an der ersten 12-Ton-Abfolge in einer Oper, die der Komponist zur Charakterisierung der Bestrafung und Höllenfahrt des negativen, gleichwohl faszinierenden Titelhelden einsetzt.
Das Regiedebüt des Castorf-Schauspielers und kruden Komödienregisseurs Herbert Fritsch an der Komischen Oper Berlin beginnt mit dem stummen Spiel des in dieser Inszenierung aktionistisch aufgewerteten, von Victoria Behr originell in plakativen Farben gedressten Chores.
Die in Da Pontes Libretto im spanischen Burgos spielende Handlung wird auf der leeren Bühne angesiedelt. Häkel-Vorhänge senken sich herab, die fast ständig in Bewegung bleiben, vertikal und horizontal gegeneinander verschachtelt und verschoben werden, als wenig aussagender Aktionismus des Szenenbildes. Wie Hans Pfitzner in seiner Bearbeitung von Heinrich August Marschners „Der Vampyr“, verrückt auch diese Neuinszenierung die Ouvertüre: sie erklingt erst nach der ersten Szene.
Vieles in der quirligen Erzählweise des Regisseurs Fritsch ist gleichermaßen ungewöhnlich und wenig erhellend. Der Komtur ist blind und ersticht sich selbst, die Champagner-Arie wird als Rittnummer von Herr und Diener gedeutet, in umgekehrter Assoziation zu Sancho Pansa und Don Quichote. Donna Anna und Donna Elvira heben ihren männlichen Begleiter Don Ottavio beim Maskenterzett zwischen sich hoch, so dass dessen eilfertig rennende Beine ins Leere laufen.
Das erste Finale nimmt die Höllenfahrt vorweg, zumal der Hauptvorhang Giovanni vom Ensemble trennt und er nach Verstummen des Pausenbeifalls dem Publikum ein „Bu!“ zuruft. Nach der Pause sucht ihn das Ensemble in einem rauchenden Bodenloch, aber er steht hinter ihnen und wiederholt sein „Bu!“. Die Tafelszene ist als Pantomime umgesetzt und folgt damit der Idee, Leporello im Kostüm-Gemisch von rotem Harlekin und schwarzem Brighella als Commedia-Figur zu deuten.
Eine leuchtende Zeigehand anstelle der als Slapstick abgebrochenen Hand des Komturs weist Giovanni in eine zentrale Versenkung. Darin verschwindet er langsam und daraus taucht dann beim Applaus der Regisseur, mit erhobener Zeigehand, wieder auf.
Das in der vorangegangenen Ära für seine ungewöhnlich griffigen, neuen Übersetzungen geschätzte Haus, hatte diesmal eine „deutsche Textfassung von Sabrina Zwach“ angekündigt, aber es sind die alten Texte und Reime von Georg Schünemann, bisweilen zugespitzt durch Worte, wie „Hure“ und „Schlampe“. In den Rezitativen sind sie häufig durch Nonsens ergänzt. So wird Leporellos Stottern „da... da...“ mehr als einmal zu „Dada“. Der verkleidete Giovanni übt sich in Versprechern, macht aus Leporello „Prosecco“, den „Pimmel von Don Giovanni“ und bezeichnet sich selbst als „Don Johnson“.
Beim Verprügeln und Erschießen Masettos kommt der Damenchor a cappella mit neutönerischem Gejaule zum Einsatz, welches schweigt, sobald Giovanni sich einen Lärmschutzkopfhörer aufsetzt und wieder aufbrandet, wenn er das Bauarbeiter-Untensil abnimmt. Auf Masettos altertümelndes Wort „Händel“ reagiert seine Braut mit „Halleluja!“. Das Klopfen des Komturs wird elektronisch erzeugt und szenisch als Boxschläge Giovannis gegen die Statue gedeutet.
Körpersprache
Fritsch hat mit den Sängerdarstellern intensiv auf Köpersprache gearbeitet, so dass diese sich beim Singen grotesk verrenken können. Überaus witzig gelingt Günter Papendell als Don Giovanni mit grinsender Joker-Face-Maske die Mandolinenpantomime bei seinem Ständchen zur unsichtbar bleibenden Kammerzofe der Elvira. Dabei intoniert er stets mitreißend, häufig mit skurrilen Momenten in Diktion oder Tonfärbung, zumeist aber mit Belcanto.
Peter Larsen als Leporello verblüfft durch das Prestissimo, mit dem er die Rezitativtexte gerade noch nachvollziehbar hervorsprudeln lässt. Weniger stimmlich als darstellerisch überzeugt Larsens Leistung bis in kleine Zungenstoß-Übungen beim Gesang und mit exzentrischer Mimik und Körperverbiegungen. Der Diener ist seinem Herren körperlich zweimal über den Kopf gewachsen, aber wie dieser glatzköpfig, so dass die blonde Perücke des Giovanni zum Hauptverkleidungsmoment, aber auch Handicap wird, da deren Strähnen Leporello immer wieder in den Mund hängen.
Auch die Gegenspieler Don Giovannis überzeugen mit virtuos quirligem Spiel und überdurchschnittlichen vokalen Leistungen: Erika Roos ist eine hinreißende, mehr als einmal über ihren eigenen, hochdramatischen Schatten springende Anna, Nicole Chevalier eine tangobiegsame, dramatisch lodernde Elvira, Alma Sadé eine skurrile Braut Zerlina, Adrian Strooper ein knickbeiniger, sich zumeist sein Geschlecht haltender Dauerzuspätkommer Ottavio und Philipp Meierhöfer ein Möchtegern-Macho Masetto. Dahinter bleibt nur Alexey Antonov als weniger wortgewandter, als Statue naturgemäß statischer Komtur zurück.
Pluspunkte
Zu den Pluspunkten der Aufführung gehört auch das Orchester der Komischen Oper, insbesondere auch die hier live auf der Bühne mitspielenden Musiker bei den drei Tänzen des ersten Finales, sowie das Bläser-Nonett bei der Tafelszene. In der musikalischen Umsetzung der um die Arien von Don Ottavio und Donna Elvira erweiterten Prager Fassung erweist sich Henrik Nánási als gehorsamer Sachwalter der Szene. So werden durchaus Takte zugunsten der komischen Wirkung wiederholt, etwa wenn Giovanni als Slapsticknummer vergeblich versucht, seinen Degen zu finden oder zu ziehen. Betont frei ist der Umgang mit den Rezitativen. Da gibt es gesummte Einschübe, und einer der Rezitativ-Sätze Don Giovannis wird gesprochen.
Nach der Pause hatten sich die Plätze des restlos ausverkauften Hauses gelichtet. Doch der zweite Akt ist in der Personenführung verdichtet und durchwegs überzeugender gelungen. In die Stille des Wartens auf die ausbleibende letzte Szene, das lieto fine mit dem finalen Rundgesang der Überlebenden, branden erste Buhrufe auf, die später partiell auch den Dirigenten und massiv das Team um Herbert Fritsch treffen.
Da Berlins regierender Bürgermeister sein Amt in Bälde beenden wird, hatte der Premierenabend mit einer Laudatio des Hausherrn Barrie Kosky und der Aufforderung zum Applaus für Klaus Wowereit begonnen: „unser Klausi ist wirklich sehr einzigartig“. Für den Chor und für die ausgezeichneten Solisten gab es nach dreieinhalb Stunden forcierter Ergötzlichkeit einhelligen, berechtigten Applaus mit zahlreichen Bravorufen.
Weitere Vorstellungen: 6., 14., 17., 25. Dezember 2014, 11. Januar, 4. April., 11. April., 3., 17. Mai, 23. Juni, 11. Juli 2015.